Lesen pro und contra

von Ute Lenke

Lesen ist eine der beliebtesten Freizeitbeschäftigungen vor allem der älteren Generationen, für die nicht mehr die Pflichtlektüre von Schule, Ausbildung oder Beruf, sondern das freiwillige, genussvolle Lesen im Vordergrund steht. „Lesen bildet“ sagt man, aber auch: „Bildung ist Macht“. Im Idealfall macht Lesen aus unmündigen Bürgern denkende, kritische Zeitgenossen, die sich gegen Unrecht, Elend und Missbrauch der Herrschaft auflehnen.

Lesen „schadet Ihrer Gesundheit“

Lesen hat also auch negative Aspekte, z.B.: autoritäre Regime halten nichts von „Aufklärung aus der selbstverschuldeten Unmündigkeit“ (Kant), von Gedankenfreiheit, die das Lesen von Büchern, Zeitschriften mit sich bringen kann. Darum werden unliebsame Schriftsteller verfolgt, erhalten Schreibverbot, ihre Bücher werden verbrannt oder indiziert. Diese Methoden sind alt und immer wieder „gern“ praktiziert. Und wir müssen gar nicht einmal lange suchen, wann und wo so etwas sogar ganz in unserer Nähe geschehen ist – und gerade jetzt wieder geschieht.

Lesen ist gefährlich

Was macht das Lesen für die Einen so gefährlich, dass sie es verbieten, für Andere so verlockend, dass sie weder Kosten noch Mühen noch Gefahren scheuen, um ihrem Hobby zu frönen? Was geschieht überhaupt mit uns und in uns, während wir lesen? Um die Antwort vorweg zu nehmen: Wissenschaftler haben sich mit diesen Fragen seit langem beschäftigt und noch immer keine befriedigende Antwort gefunden. Einigkeit herrscht darüber, dass Lesen ein höchst komplizierter, komplexer und ganz individueller Prozess ist, ähnlich wie das Denken, „…. ein schöpferischer Prozess , der das disziplinierte Bemühen des Lesers zum Ausdruck bringt, mit den Mitteln der Sprache eine oder mehrere Bedeutungen zu konstruieren“ (zit. n. Alberto Manguel, Eine Geschichte des Lesens, S. 68).

Der stille Leser

Unsere heutige Art zu lesen, nämlich still, konzentriert in ein Buch vertieft, ohne die Welt um uns herum wahrzunehmen (von den Psychologen flow genannt) ist noch gar nicht so alt: früher las man laut, stilles Lesen war so bemerkenswert, dass einige antike Schreiber es ausdrücklich erwähnten; bei Augustinus findet sich in den Bekenntnissen eine Beschreibung für stilles Lesen, das er staunend an Bischof Ambrosius von Mailand beobachtet hatte: „seine Augen (überspannten) die Seiten, und mit dem Herzen nahm er die Bedeutung der Worte auf. Seine Stimme schwieg, und seine Zunge blieb unbewegt.“ (ebd. S. 73).

Vielleicht ist es das?

Das Gelesene still, nur mit den Augen und dem Herzen aufnehmen, die Bedeutung für sich selber finden und diese, wenn überhaupt, nur mit Gleichgesinnten teilen, in eine andere, vielleicht bessere oder abenteuerliche Welt entfliehen: das macht Lesen zum Genuss für den Leser, aber für Außenstehende verdächtig, denn „die Gedanken sind frei – wer kann sie erraten…“. Und für den Leser kann es dann gefährlich werden, wenn er seine Erkenntnisse benutzt, um sich gegen Unbildung, Machtmissbrauch aufzulehnen, bestenfalls wird er als neurotisch oder als „Intellektueller“ beschimpft, schlimmstenfalls als Ketzer verbrannt.

Trotzdem gilt: „Sorge dich nicht, lese!“

Bild von Pexels auf Pixabay

Lesen Sie weiter:

Wikipedia: „Lesen“

Alberto Manguel, Eine Geschichte des Lesens, 2012.

Handbuch „Lesen“, hrsg. i.A. der Stiftung Lesen und der Deutschen Literaturkonferenz, München 1999.

Jürgen Roth et al, Sorge dich nicht, lese. Siebenunddreißig Glossen gegen den Bestseller“, 1997