Friederike Kempner: Die dichtende Jungfrau aus Schlesien

von Roma Szczocarz

„Zweifellos….gelang es Friederike Kempner, mit ihrem schriftstellerischen Talent, dem Leser gute Laune und Seelenfrieden zu verbreiten.(…)Zeitgenössische Literaten erzielen oft die gegenteilige Wirkung!“ Zitat aus der Website der Friederike- Kempner- Gesellschaft

Lebensweg der schlesischen Dichterin

Friederike wurde als Tochter des Rittergutbesitzers Joachim Kempner und seiner Frau Marie, geb. Aschkenasy, 1836 in Opatow, Provinz Posen geboren. Zuerst lebte sie in Opatow, 1844 zog die Familie nach Droschkau in Schlesien, ihr Vater hatte dort ein Rittergut erworben. Ihre Erziehung lag in den Händen der Mutter, die sie in der französischen Sprache, der Literatur und der jüdischen Aufklärung gut ausbildete. Kempners waren eine emanzipierte und erfolgreich assimilierte jüdische Familie: Der Bruder David Kempner wurde Stadtverordneter in Breslau und auch Schriftsteller. Eine Schrift ihrer Schwester Luise, verheiratete Stadthagen, hat Friederike postum herausgegeben. 1864 hat Friederike ihr eigenes Gut: Friederikenhof bei Reichthal (heute Bogatynia) bezogen. Derzeit entwickelte Friederike sich zu dem, was man seinerzeit ein „spätes Mädchen“ nannte, und widmete sich Höherem: sie begann zu dichten. So wie zum Beispiel:“In den Augen meines Hundes liegt mein ganzes Glück, all mein Inneres, Krankes, Wundes heilt in seinem Blick.“ Man nennt es gern: Banalität, aber es ist ein Meisterstück. 1868 starben beide Eltern, besonders der Tod der Mutter war für die Dichterin ein traumatisches Erlebnis, an das sie später in vielen Gedichten erinnerte:“

Wer weiss, ob nicht in jener Welt

Ein Geist wird einsam sein,

Ob jedem Geist nicht eine Welt

Beschieden auch wird sein.“

Sozialreformerisches Engagement der Dichterin

Bild: Joachim Specht [Public domain]

Die Dichterin engagierte sich aktiv und lebenslang in der Krankenpflege und Armenfürsorge. 1869 begann Friederike ihre Aktion zur Reform des Gefängniswesens: Sie kämpfte gegen Einzelhaft. Sie wurde auch für philanthropische Aktionen bekannt: Brot mit Münzen darin für Kriegswitwen. Für ihr Engagement wurde sie 1871 mit der „Gedenkmünze für Pflichttreue im Kriege“ ausgezeichnet.

Scheintod als Albtraum der Dichterin

Wie andere Menschen ihrer Epoche am Ende des 19. Jahrhunderts hatte Friederike die Frucht vor dem Lebendig- Begraben- Werden:               „Ob man lebendig muss ins Grab!“ Tatsächlich dominierte dieses Thema – Leichenhäuser und die Verlängerung der Karenzzeit zwischen Tod und Bestattung – im sozialen Engagement und in ihrem Dichten. Es ging um das wichtige und traumatische Problem des damals medizinisch oft nicht erkannten Scheintods. Über dieses Problem schrieb sie ein Gedicht, das als Appell formuliert wurde:

„Ein Leichenhaus, ein Leichenhaus,

Ruft er aus vollem Halse aus,

Für Tote haben Gelder wir……“

1871 ordnete Wilhelm I an, dass zwischen Tod und Begräbnis eine Wartefrist von fünf Tagen einzuhalten sei.

Misstrauisch

Die Dichterin, die im Jahre 1904 verstarb, bestimmte dennoch in ihrem Testament, dass in der Kempnerschen Familiengruft Klingelleitungen anzulegen seien; mit einem Druckknopf im Sarge hätte dann der/die Bestattete den Friedhofswärter alarmieren können – zum Glück hat Friederike nicht geklingelt. Ihr Urnengrab befindet sich auf dem Alten Jüdischen Friedhof in Breslau. Auf ihrem Grabstein steht zu lesen:
„ Ihr Leben war geistiger Arbeit und Werken der Nächstenliebe geweiht.“

Meisterhafte Verse

Frederike Kempner verband ihr soziales Engagement mit der schöngeistigen schriftstellerischen Tätigkeit. Die Schöpferin war als Autorin von Streitschriften, Novellen und Dramen bekannt. Bis heute aber verehrt man sie als „Genie der unfreiwilligen Komik“, auch als Großmeistern der Pointe wird sie bezeichnet. Ihre Verse waren auch am hohen Ton der nachklassischen Lyrik ausgerichtet. Beispielsweise: “Amerika, Du Land der Träume,

Du Wunderwelt so lang und breit,

Wie schön, sind Deine Kokosbäume,

Und Deine rege Einsamkeit!“.

1880 hatte der Schriftsteller und Literaturkritiker Paul Lindau ihre Gedichte in der von ihm selbst herausgegebenen Wochenschrift „Die Gegenwart“ auf höchst ironische, verspottende und gemeine Weise vorgestellt. Heutzutage heißt das „hate crime“.
Kurz nach Paul Lindaus Rezension erschienen erste Parodien und Nachahmungen auf Kempners Gedichte. 1885 wurden die Parodien von einem Anonymus publiziert. Die Parodien erschienen auf den Markt unter dem Titel „Dichtergrüße an Friederike Kempner von Methusalem“. Oh Ironie, die Parodien haben seit spätestens Mitte des 20. Jahrhunderts eine Karriere gemacht. 1896 wurden die Gedichte der Dichterin durch zahlreiche Verfasser parodiert. Beispielweise: Bekannt sind die Verse auf den Astronomen Johannes Kepler:

„Ein ganzes Blatt der Weltgeschichte

Du hast es vollgemacht!“,

die sie nicht geschrieben hat. Nun haben die Literaturforscher ein kaum zu lösendes Problem: Original oder Parodie?

Zurückgekehrt nach Jahren

Nach der langen Pause wurde der Name der Dichterin plötzlich in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts wieder bekannt: 1989 wurde in Freiburg die Friederike- Kempner- Gesellschaft gegründet, auf deren Website die Beschreibungen zu Leben, Aktivität und Werke der Schöpferin dargestellt sind.

„ Gräbt die Nachwelt einst mein Bild in Erz“

Mehr über die Dichterin:

www.fembio.org/biographie.php/frau
https://de.wikipedia.org/wiki/Friederike_Kempner
https://de.wikipedia.org/wiki/Paul_Lindau