Einblicke in die Baugeschichte der Stadt Ulm vom Mittelalter bis heute

von Bertram Wegemer

Ulm hat eine interessante Baugeschichte von der mittelalterlichen freien Reichsstadt bis in die moderne Neuzeit. Durch meine über 20 jährige berufliche Tätigkeit als Zimmermeister im Bereich der Restaurierung denkmalgeschützter historischer Bausubstanz in Ulm habe ich einen besonderen Zugang zu diesem Thema. Da ich auch Kulturwissenschaften studiert habe, interessieren mich ebenfalls die sozialen und gesellschaftlichen Zusammenhänge zwischen den Bauwerken und der Geschichte der Bewohner und Bewohnerinnen.

Spaziergang durch Ulm

Ich möchte Sie mit diesem Beitrag zu einem Spaziergang durch unsere Stadt Ulm einladen. Ich möchte Sie an ausgewählten Beispielen auf Merkmale an Gebäuden hinweisen, die uns etwas über die Geschichte der Menschen erzählen, welche sie gebaut und bewohnt haben. Dazu werde ich auf meiner Tour Beispiele aus sechs Jahrhunderten Geschichte zeigen, an deren Renovierung ich mit meinem Team zum Teil mitgewirkt habe. Natürlich kann dieser Rundgang nur einen kleinen Einblick geben in die Entwicklung der über 600j. Baugeschichte, aber vielleicht können diese Ausführungen verdeutlichen, wie viel „Geschichte“ oft hinter den Fassaden alter Häuser steckt, an denen wir heute oft achtlos oder auch bewundernd vorbeigehen.

Ulm als mittelalterliche Stadt und freie Reichsstadt war geprägt vom Holzbau, in der Regel als Fachwerkbau. Als Bauholz wurde fast ausschließlich Fichte-Holz aus dem Allgäu verwendet, das günstig auf der Iller, welche gegenüber von Ulm in die Donau mündet, geflößt werden konnte.

Im Laufe der Jahrhunderte veränderten sich die Baustile, die äußere Fassadengestaltung überdeckte oft die grundsätzliche Baustruktur – was man heute von außen ja meist nicht sieht. Auch wenn mit der Zeit zunehmend massiv gemauerte vertikale Tragstrukturen vor allem an größeren Gebäuden aufkamen, wurden die horizontalen Strukturen (Holzbalkendecken) und die Innenwände weiterhin in Holzbauweise ausgeführt. Trotz aller Veränderungen blieb der Holzbau die bestimmende Konstruktionsweise, bis die Erfindung des Stahlbetons die Bauweise grundsätzlich veränderte.

Station 1

Mittelalterliches Bauernhaus

Verlauf der Tour in der Innenstadt von Ulm: Büchsengasse – Kornhaus – Grüner Hof – Neue Mitte. Der Rundgang beginnt bei den frühen mittelalterlichen Bauernhäusern der Büchsengasse.

Mittelalterliches Bauernhaus

Dies ist in der Grundstruktur ein typisches städtisches Bauernhaus aus dem 12. Jh.

Es wurde in der geschlossenen Enge der Stadt in der Nähe der Stadtmauer errichtet, Scheune, Ställe für Vieh und Wohnung lagen eng beieinander, die Felder lagen unmittelbar jenseits der Stadtmauer. Hier wohnten sogenannte Ackerbürger, d.h. Bauernfamilien, die eine gesicherte Existenz und die Bürgerrechte inne hatten, was in Ulm in dieser Zeit bei ca. 30.000 Einwohner/-innen nur ca. 3.000 Bewohner/-innen hatten. Die innere Ausstattung des Hauses mit den dicken Balken und der große Gewölbekeller, der zur Vorratshaltung diente, erweist sich auch heute noch als solide tragende Grundstruktur, die bei der Restaurierung weitgehend erhalten bleiben konnte. Es wurde innen vorsichtig restauriert und umgebaut, die Konstruktionsstrukturen blieben erhalten. Darin wurden dann die den heutigen Wohnanforderungen gemäßen Strukturen und Einbauten installiert (Heizung, Dämmung, Sanitär- und Elektroinstallation, Schall-und Brandschutz).

Die Außenfassade zeigt heute ein Bild, wie es sich im ausgehenden Mittelalter, d.h. vor dem Beginn der Renaissance, dargestellt hat.

Am Beispiel der Öffnung des Scheunentores auf der Rückseite des Gebäudes, welches heute als Büroraum genutzt wird, kann man die ursprünglichen Strukturen noch erkennen. Als Besonderheit weist dieses Gebäude noch einen typischen Ulmer Dachaufbau auf, ein sogenanntes Guckenhürle, ein kleiner, alle Dächer überragender Ausguck, der aller Wahrscheinlichkeit nach zur Feuerschau diente.

Veränderungen der Bautechnik

gotische oder alemannische Fachwerkverbindung

An der Bausubstanz des mittelalterlichen Ulms sieht man die Entwicklung des Fachwerkbaus vom alemannischen oder auch gotischen Fachwerkverbindung (Bild 4) mit überplatteten Verbindungen hin zum Riegelfachwerk des ausgehenden Mittelalters (Bild 5), mit Zapfenverbindungen und deutlich schlanker werdenden Querschnitten. Die Veränderung der Bautechniken hatte auch damals schon ökonomische Gründe,

Riegelfachwerk

das Überplattungsverbot in der Fachwerkbauweise wurde mit dem geringeren Holzverbrauch der „neueren“ Technik Riegelfachwerk begründet. Auch das Sichtfachwerk fand schon mit Beginn des 14. Jahrhunderts sein Ende im Verputzgebot aller Fassaden, um einen höheren Brandschutz zu gewährleisten. So mussten alle Gebäude, von denen eine erhöhte Feuergefahr ausging (z.B. Bäckereien, Schmiede ) einen Abstand zum nächsten Gebäude aufweisen, was zu einem typischen Ulmer Merkmal führte, dem „Ulmer Winkel“, ein schmaler, oft kaum begehbarer Gang zwischen den Gebäuden.

Mittelalterliche reichsstädtischen Lagerhäuser

Stadel

Meine Führung führt nun zu einem anderen Typ mittelalterlicher Bebauung, zu den reichsstädtischen Lagerhäusern, dem Büchsenstadel, dem Kornhaus und dem Grünen Hof. Diese sogenannten Stadel entstanden als Lager und Handelshäuser und waren im Besitz der freien Reichsstadt Ulm. Es handelt sich damals um öffentliche Gebäude, die in ihrer Bauweise massiver, größer und reicher ausgestattet waren als die private Gebäude. Sie wurden von den Zünften als Lager-und Handelshäuser für Salz (Salzstadel), Korn (Kornhaus), Waffen (Büchsenstadel), Ausrüstung (Zeughaus), allgemeiner Handelsplatz (Neuer Bau), etc. genutzt. Im Salzstadel befindet sich heute das Museum für Brotkultur (nähere Beschreibung siehe Ausgabe LernCafe 70), bei seinem Besuch kann man die eindrucksvoll hölzerne Tragstruktur sehen. Dasselbe gilt für den unweit davon gelegenen Büchsenstadel, der als Jugendzentrum genutzt und teilweise öffentlich zugänglich ist. Der sog. grüne Hof war ein sogenannter Pfleghof, also eine in der Stadt gelegene Dependance eines Klosters. Heute befindet sich dort der Generationentreff Ulm/Neu-Ulm und ist daher zu Öffnungszeiten zugänglich. Auch hier sind großartige Holzkonstruktionen erhalten, sehenswert ist der Heilmayer Saal mit aufwändig gestalteten Holzstützen.

An diesen Beispielen kann man deutlich erkennen, dass die großen, öffentlichen Gebäude der freien Reichsstadt  in ihrer äußeren, gemauerten Hülle Holzkonstruktionen von enormen Ausmaßen und aufwändiger Gestaltung beinhalten.

Barock und Renaissance

Kornmesserhaus der Stadt Ulm

Mit dem Aufkommen des Barocks und der Renaissance werden die Fassaden aufwändiger gestaltet und die ursprüngliche Konstruktion tritt hinter die Dekoration zurück. Auch mittelalterliche Gebäude werden dem Zeitgeschmack angepasst und entsprechend gestaltet.

Ein sehr gutes Beispiel hierfür ist das sogenannt „Kornmesserhaus der Stadt Ulm“ (Bild 8), ein eigens von der Stadt Mitte des 14. Jhdt. erbautes Amtshaus mit drei Wohnungen und Amtsräumen für die städtischen Kornmesser des danebenliegenden Kornhauses.

barocke Fassade des Kornmesserhauses

Bei der aufwändigen Sanierung des Gebäudes 2005 zeigte sich, dass die Fassade von Anfang an verputzt war, also nicht als Sichtfachwerk gebaut worden ist. Deshalb entschloss man sich, der Fassade ein barockes Erscheinungsbild zu geben, wie es Mitte des 17. Jhdt. üblich war. (Bild 10). Gut zu erkennen ist die mittelalterliche Fassadengliederung mit auskragenden Geschossdecken und niedriger Geschosshöhe. Eine Besonderheit stellen die drei kleinen Fenster in der Längsfassade dar: Dort befand sich im 1.und 2. OG. jeweils ein Abtritt (Klo) mit im Keller liegender Grube darunter, eine im Mittelalter durchaus luxuriöse Ausstattung Auch hier entschied man sich, die kleinen Öffnungen zu belassen, um auf die ursprüngliche Funktion aufmerksam zu machen. Heute liegen dahinter jeweils die Küchen der Wohnungen. Die kleinen mittelalterlichen Fensteröffnungen wurden ebenfalls erst Anfang bis Mitte des 17. Jhdt vergrößert, Glas war bis dahin ein großer Luxus.

„Zum Engländer“

der „Engländer“

Betrachtet man dagegen Häuser, welche ihre Fassade sozusagen passend zur Bauweise ihrer Entstehungszeit bekommen haben, gibt es keine solchen Brüche zwischen innerer und äußerer Form. Ein gutes Beispiel ist der sogenannte „Engländer“, als Erweiterungsbau mit Tanzsaal zum nebenan liegenden Traditionsgasthof „Zum Engländer“ Mitte des 18.Jhdt. Entstanden, mit Renaissance-Fassade und Ziergiebel. Auch bei der Farbgebung der Fassade hielt man sich eng an die historische Vorgabe (Bild 7).

Neogotik

neogotische Fassade

Ein sehr schönes Beispiel für repräsentative und aufwändige Fassadengestaltung liegt am Nördlichen Münsterplatz. Um 1900 im neogotischen Stil errichtet, beherbergte das Haus eine große Gaststätte über 2 Geschosse, Wohnungen für den Wirt und Angestellte mit internen Verbindungstreppen in die Wohnungen, aber auch in die Vorratskeller. Außerdem auch Büro oder Kanzleiräume. (Bild 6).

Neue Mitte

Wenige Schritte weiter kommt man in die Neue Mitte von Ulm, modernste Architektur trifft auf historische Bausubstanz,vorneweg der wohl weit über Ulm hinaus bekannte Gegensatz Ulmer Münster – Stadthaus von Richard Meyer, aber auch die moderne Bebauung der ehemaligen Stadtautobahn (Bild 3) gegenüber des mittelalterlichen Rathauses und der Glaspyramide der Stadtbibliothek. Insgesamt ein Thema, das einen weiteren Rundgang wert ist.

Ich hoffe mein kleiner Rundgang hat ihr Interesse geweckt und vielleicht schauen Sie sich alles einmal in Natura an.

Bildnachweis

Alle Bilder: Bertram Wegemer