von Erdmute Dietmann-Beckert
Die Lust zu reisen
Ich weiß nicht mehr, ob ich es in einer Zeitschrift der Evangelischen
Jugend oder durch Freunde erfahren hatte: „Du kannst dich für eine
Singefreizeit anmelden.“
Singen, ja, das liebte ich. In meiner
Familie wurde viel gesungen, häufig mit Klavierbegleitung. Dann saß
meine Mutter am Klavier, vor sich das bunte Liederbuch mit Noten. Wir
Kinder standen hinter ihr und sangen. Wanderlieder, Frühlings-und
Winterlieder, Kirchenlieder und Choräle.
Die Freizeit des CVJM
sollte auf der Insel Mainau im Bodensee sein und es sollten außer
Jugendlichen aus Westdeutschland, auch Jugendliche aus der Schweiz und
Ostdeutschland daran teilnehmen. Das wollte ich erleben.
Über den Pfarrer konnte ich mich anmelden.
Vorbereitungen
Ich erhielt die Einladung und ich musste mich um Reisemöglichkeiten
kümmern. Mit der Bahn konnte ich mit mehrfachem Umsteigen in Wetzlar,
Frankfurt, Mannheim und Freiburg, bis an den Bodensee nach Konstanz
kommen. Von dort ging es mit dem Schiff bis zur Mainau. Die Fahrkarte
konnte ich am Bahnhof kaufen.
Ich hatte keinen Rucksack. Es war der
alte Koffer meiner Tante, die gerne reiste. Was ich neben
Waschutensilien auf keinen Fall vergessen durfte, war der Badeanzug. Ich
hatte gehört, dass es möglich war, im Bodensee zu schwimmen. Darauf
freute ich mich.
Ja, und ein Liederbuch sollte ich mitbringen. Ich habe vergessen, wie es hieß.
Die Reise
Zugfahren ist schön, aber umsteigen beschwerlich. Da ich niemand
kannte, reiste ich allein und es gefiel mir, auch wenn das
Kofferschleppen beim Umsteigen hinderlich war. Heute hat ein Koffer
Rollen und Bahnsteige zu wechseln ist mit Aufzügen und Rolltreppen kein
Problem.
Ich weiß nicht mehr wie lange die Reise bis Konstanz
dauerte. Jedenfalls bin ich schon am frühen Morgen am Bahnhof gewesen
und erst am Nachmittag in Konstanz angekommen. Mit dem Boot gelangte ich
auf die Insel und zur Gruppe.
Unterkunft und Teilnehmer
Auf dem Boot hatte ich schon andere Jugendliche gesehen, die
wahrscheinlich auch zu der Freizeit wollten. Am Landesteg wurden wir
begrüßt und zum Schloss geleitet. Wir waren im Schloss untergebracht.
Wahrscheinlich war es die erste Singe-Freizeit, die auf der Insel
durchgeführt wurde. In den nachfolgenden Freizeiten, schliefen wir nicht
mehr im Schloss, sondern in Baracken. Diesmal breiteten wir unsere
Schlafsäcke in einem Saal des Schlosses aus. Ich erinnere mich noch an
die hohen Fenster.
Für die Mahlzeiten waren Tische und Bänke außerhalb des Hauses in offenen Baracken aufgestellt.
Bei der gegenseitigen Vorstellung zeigte sich, dass die Jugendlichen
nicht nur aus Nord- Süd-und Westdeutschland gekommen waren, sondern auch
aus Ostdeutschland und der Schweiz, die meisten in Gruppen.
Bibellesen, Singen und Musizieren
Die Leiter der Freizeit waren Mitarbeiter des CVJM. Ich erinnere mich
an Erich Gruber und Pfarrer Mrozek. Sie haben die Bibelarbeiten und die
Morgen-und Abendandachten geleitet. Vor allem die Bibelarbeit mit Erich
Gruber bleibt mir für immer im Gedächtnis. Er war so unkonventionell.
So schilderte er die Geschichte, von Petrus, den der römische Hauptmann
zu sich gerufen hatte, in der Art eines Berichts über eine Freizeit in
unserer Zeit.[1]
Erich Gruber hat auch das Singen im Chor geleitet.
Die Jugendlichen hatten sicher alle Vorkenntnisse im Chorsingen und
wussten, in welcher Stimmlage sie singen wollten. Es waren auch viele
Instrumentalisten dabei. Die begleiteten den Chor, oder gaben zu
bestimmter Gelegenheit ein Konzert. Unvergesslich ist mir Mozarts
„Kleine Nachtmusik“ in der Kapelle. Pfarrer Mrozek spielte die „Erste
Geige“ mit einer solchen Verve, dass ich heute noch die Musik „höre“.
In dieser Schlosskapelle gab es auch für Frühaufsteher jeden Tag eine Morgenandacht.
[1] Apostelgeschichte 10
Freie Zeit
Es war Sommer und selbstverständlich auch Badezeit. Der See lud
geradezu ein, am frühen Morgen hinein zu springen und hinaus zu
schwimmen.
Unvergesslich sind mir die Gartenanlagen. Das Klima auf
der Mainau bietet südländischen und anderen exotischen Blumen und Bäumen
optimale Bedingungen.
Einmal gab es auch eine Schifffahrt auf die
schweizerische Seite des Sees. Für mich und einige andere war diese
„Reise“ nicht angenehm. Mit grün-bleichen Gesichtern hingen wir an der
Reling.
Heimreise
Ich saß nicht mehr allein im Zug. Viele andere Jugendliche saßen mit im Abteil und wir haben dort weiter gesungen.
Weil es so schön gewesen war, haben wir uns für das nächste Mal
verabredet. Da waren allerdings die Jugendlichen aus der SBZ nicht mehr
dabei.