von Ute Lenke
Wer nach Amsterdam fährt wird in der Regel das Rijksmuseum besuchen wollen und vielleicht auch andere Museen oder eine Stadtbesichtigung planen. Mit diesen Zielen war eine Busreise von der Volkshochschule angeboten; da wir nicht selber mit dem eigenen PKW fahren mochten, schlossen wir uns der Reisegesellschaft an. Unser Ziel war jedoch ein anderes Museum: eine Kirche auf dem Dachboden eines Bürgerhauses: Ons lieve Heer op Solder.
Anreise
Der Bus startete am Heimatort zum 7 Uhr morgens und sollte gegen 11 Uhr in Amsterdam sein, die Rückfahrt um 17 Uhr beginnen. Viel Zeit hatten wir also nicht, denn das Rijksmuseum wollten wir ja auch besichtigen. Im Bus versorgte uns der Reiseleiter mit allen nötigen Informationen; er warnte ausdrücklich, in die Nähe des Bahnhofs zu gehen, denn dort sei die Drogenhochburg und die Kriminalität besorgniserregend. Unser eigentliches Ziel lag jedoch genau dort. Mit einem notdürftigen Stadtplan versehen machten wir uns nach dem Pflichtteil im Rijksmuseum frohgemut auf den Marsch in die Innenstadt.
Stadtspaziergang
Es sah auf dem Plan eigentlich recht nah aus: nur über ein paar Brücken, eine lange Straße entlang und der Hauptbahnhof, in dessen Nähe unser Wunschziel lag, müsste zu finden sein. War er aber nicht. Was auf dem Stadtplan nach gerader Straße und ganz nah aussah, führte in der Realität ziemlich verwinkelt immer in eine andere Richtung; auf dem Plan hatten die Straßen Namen, aber in Wirklichkeit nicht – Amsterdamer finden sich wohl ohne Straßennamen zurecht und Touristen gab es in dieser Gegend kaum. Ein schwäbisch sprechender – offenbar Drogenabhängiger zeigte uns schließlich für ein paar Euro den richtigen Weg: unser Ziel lag fast direkt vor uns, wir hatten es nur noch nicht entdeckt.
Museum Ons lieve Heer op Solder
Das Museum ist neben dem Rijksmuseum das älteste Museum der Stadt. Es liegt inmitten der typischen Amsterdamer Bürgerhäuser aus dem 17. Und 18. Jahrhundert an einer Gracht: die Hausfront eng und schmal, mehrere Stockwerke hoch mit dem Kran am Giebel, mit dem man die Möbel ins Haus transportierte, denn durch die Haustür und ein enges Treppenhaus passten sie nicht. Auf dem Dachboden dieses Hauses befindet sich seit über 350 Jahren eine katholische Kirche, dem HL. Nikolaus geweiht, „Het Hart“ genannt und bis heute in Gebrauch. Den Namen „Ons lieve Heer op Solder“, englisch: „Our Lord in the Attic“ erhielt sie erst später.
Der besondere Reiz dieses Museums liegt darin, dass es in seinen unteren Stockwerken ein Bürgerhaus aus dem 17. Jahrhundert mit prächtigen Wohn- und Empfangsräumen im altholländischen Stil beherbergt: es sieht noch heute so aus wie in den Gemälden der alten holländischen Meister. Auf dem Dachboden – dem Solder – befindet sich dagegen eine kleine, gemütliche katholische Kirche, mit Altargemälde, Beichtstuhl, Orgel, Weihwasserbecken etc., die Platz für 90 Menschen bietet; heute wird sie manchmal noch für Hochzeiten und für Konzerte genutzt.
Die Geschichte des Hauses
Jan Hartmann, ein deutscher Bäckergeselle aus dem katholischen Münsterland versuchte nach den Verwüstungen in seiner Heimat durch den 30jährigen Krieg sein Glück im damals reichen Holland. Er arbeitete sich hoch zum Zollmeister und erwarb sich ein stattliches Vermögen. Ein standesgemäßes Wohnhaus am Oudezijds Voorburgwal verbesserte seinen Status erheblich. Das Nachbarhaus in der Seitengasse, im Heintje Hoekssteeg erwarb er gleich dazu. Die Dachböden beider Häuser ließ er zusammenlegen und darin eine katholische Kirche für die Katholiken seines Wohnviertels einrichten. Die unteren Räume des Nachbarhauses wurden an einen befreundeten Augustiner-Pater vermietet, der für das Seelenheil der Katholiken und die Gottesdienste sorgen sollte.
Lange hatte Jan Hartmann an seiner Kirche keine Freude: 1663 war sie vollendet, aber 1667 verarmte er, weil die Zolleinnahmen sanken, 1668 starb er; seine Frau konnte das Haus nicht mehr finanzieren und zog zu ihrem Sohn aufs Land. Neue Besitzer ließen die Kirche bestehen,1888 wurde sie in ein Museum umgewandelt, so dass sie bis heute erhalten werden konnte.
Die Kirche
Amsterdam war seit 1578 reformiert, der römisch-katholische Glaube verboten und alles katholische Leben aus der Stadt verbannt. Doch die Amsterdamer sind Kaufleute – sie duldeten, dass die von der aufstrebenden Weltmacht Holland dringend benötigten Einwanderer ihren Glauben pflegten, solange sie es unauffällig taten.
So kam es, dass Jan Hartmann auf dem Dachboden seiner Häuser eine versteckte, „geheime“ Kirche errichten konnte, die von den Gläubigen durch eine schmale Tür in der Seitengasse betreten wurde; vorbei an der Wohnung des Paters und der Sakristei im 1. Geschoß gelangten sie über eine schmale Treppe auf den Dachboden in die Kirche.
Im Mittelschiff fällt der Blick auf ein Altargemälde: es ist von Jacob de Wit und stellt die Taufe Jesu im Jordan dar. Das Bild wie auch ein imposanter Leuchter an der Decke sind spätere Zutaten aus dem 18. Jahrhundert.
Die Gläubigen fanden im Mittelschiff, in 2 Seitenschiffen und auf den Galerien Platz. Hinter dem Kirchenschiff, also eigentlich im Treppenhaus des Nachbarhauses, befinden sich ein Beichtstuhl, eine kleine Marienkapelle und ein Wandschrank mit Gewändern und Gerätschaften für den Gottesdienst.
Rückweg
Obwohl wir nicht viel Zeit für eine ausführliche Besichtigung hatten, das Museum auch gerade umgebaut und renoviert wurde, hat es uns doch sehr beeindruckt. Es zeigte mehr aus dem holländischen Alltag und der Geschichte der Niederlande als das Rijksmuseum mit seiner kaum zu bewältigenden Fülle an Exponaten.
Auf dem Rückweg zu unserem Bus verstanden wir auch die Warnung des Reiseleiters: der Weg führte vorbei an Kneipen, aus denen ein seltsam süßlicher Qualm kam und vorbei an Schaufenstern, in denen Damen sich präsentierten und auf Kundschaft warteten, obwohl es noch heller Nachmittag war…
Es war nur eine Tagesreise, aber: „wenn Einer eine Reise tut, dann kann er was erleben“.
Weiterführende Informationen und Fotos
Für zahlreiche Fotos zum Text und weitere Erläuterungen verweise ich auf meinen Blog:
Quellen & Adressen:
Ons´Lieve Heer op Solder
Oudezijds Voorburgwal 40
1012 GE Amsterdam
www.opsolder.nl
Kanalgeschichten: Spazierroute (dt./franz)
Herausgegeben von Amsterdam Museum ua., © 2013