von Dietrich Bösenberg
Aus Portugal emigrierte Juden (Sefarden) spielten seit Ende des 16. Jahrhunderts eine bedeutende Rolle im Wirtschafts-und Geistesleben der genannten Städte.
Ein Blick auf die Vorgeschichte
In Spanien und Portugal (hebräisch Sefarad) lebten Juden über Jahrhunderte in Frieden und in fruchtbarem Austausch mit den anderen Religionen. Am Aufblühen der Wissenschaften, namentlich Astronomie, Geographie, Mathematik, Kartographie, hatten sie zusammen mit den Arabern maßgeblichen Anteil.
Auch nach der Reconquista, der Rückeroberung der iberischen Halbinsel durch die Christen waren sie weithin wohlgelitten und u.a. als Ratgeber, Financiers und Ärzte der Könige und des Adels tätig.
Die Katastrophe
Am 1. April 1492 brach über die Juden Spaniens eine Katastrophe herein. Im sog. Alhambra-Edikt hatten die Katholischen Könige, Ferdinand und Isabella, verfügt, dass alle Juden das Königreich zu verlassen hatten, sofern sie nicht zum Christentum übertreten und sich taufen lassen würden.
Tatsächlich konvertierten in der Folge viele Juden zum christlichen Glauben, man schätzt eine Zahl von 25 000 Menschen. Sie wurden jedoch von der christlichen Umgebung mit Misstrauen betrachtet, da man den Verdacht hegte, dass sie heimlich am Judentum festhielten. Die 20 Jahre zuvor gegründete spanische Inquisition beobachtete die „conversos“ mit Argwohn und führte gnadenlose Prozesse gegen sie, wenn auch nur ein geringer Verdacht auftauchte. Ca. 10 % der Neuchristen fielen so dem Tod auf dem Scheiterhaufen anheim.
Geschätzte 300 000 Personen verließen Spanien aufgrund des Ediktes. Ihre Ziele waren Nordafrika, das Osmanische Reich und auch einige Länder in Europa.
Die Situation in Portugal
Viele der nicht taufwilligen spanischen Juden flohen in das benachbarte Portugal, wo sie sich in Sicherheit wähnten. De facto wurden sie vom regierenden portugiesischen König D. Joao II mit offenen Armen aufgenommen. Er hatte für seine kriegerischen Pläne dringenden Geldbedarf und kassierte daher ein erhebliches Eintrittsgeld von den Flüchtlingen. Bei ca. 70 000 Zuwanderern ergaben sich daraus erhebliche Summen. Allerdings war der Aufenthalt auf acht Monate begrenzt, danach drohte Versklavung für nicht übertrittswillige Juden.
Sein Nachfolger König D. Manuel I. gestattete ihnen zunächst uneingeschränkten Aufenthalt im Lande, erließ jedoch 1496 ein eigenes Edikt: Taufe innerhalb 12 Monaten oder Auswanderung. Als die zugewanderten Juden keine Reaktion zeigten, verfügte er die Zwangstaufe, da er auf die Wirtschaftskraft der Juden nicht verzichten wollte. Mit brutaler physischer Gewalt wurden die Juden zur Taufe in die Kirchen geschleppt.
Die weitere Entwicklung
Den nun sog. Neuchristen gewährte der König bald zahlreiche Privilegien. Sie waren den Altchristen gleichgestellt, konnten frei Handel betreiben, durften an den Universitäten studieren und schafften teilweise sogar den Aufstieg in Adel und Klerus.
Insgeheim waren viele „Conversos“ ihrer alten Religion treugeblieben, ohne groß behelligt zu werden. Erst als durch Missgunst und Eifersucht der einheimischen Bevölkerung Streitigkeiten auftraten, verschlechterte sich die Lage. 1504 und 1506 kam es zu blutigen Pogromen in Lissabon. Schließlich wurde 1536 in Portugal ebenfalls die Inquisition eingerichtet, die sofort die Überwachung der Glaubenstreue der Neuchristen als Hauptaufgabe praktizierte. Auch hier kam es beim leisesten Verdacht zu zahllosen Verurteilungen zum Tod durch Verbrennen.
Flucht aus Portugal
Aufgrund der harten Verfolgungen entschlossen sich im Laufe des 16. Jahrhunderts viele getaufte Juden, das Land zu verlassen. Teilweise setzte eine Rückwanderung nach Spanien ein, wo man günstigere Lebensbedingungen erhoffte. Da jedoch auch hier eine starke Verfolgung durch die Inquisition herrschte, suchten sie andere Zufluchtsländer. Um einen Auswanderungsverdacht bei Abreise per Schiff zu vermeiden, benutzte man den Landweg in das benachbarte Frankreich, wo in den Städten Bayonne und Bordeaux zeitweise sefardische Siedlungen entstanden. Von dort aus konnten sie per Schiff die eigentlichen Zielländer und -orte in Nordeuropa ansteuern, insbesondere Amsterdam und Hamburg.
Amsterdam
Viele der portugiesischen Juden, die ab Ende des 16. Jahrhunderts ihre Heimat verließen, waren erfahrene Kaufleute. Für sie stellten Hafenstädte wie Amsterdam ein interessantes Ziel dar. Hier fragte man nicht nach der Religion der Ankommenden, die formal katholische Christen waren, sondern sie waren wegen ihrer internationalen Verbindungen sehr willkommen. So konnten sie sich frei entfalten und entwickelten weitgespannte Handelsbeziehungen, nicht zuletzt mit den überseeischen Territorien. Ihr Geschäft war u.a. der Import von Gewürzen, tropischen Hölzern und Rohstoffen. Der Handel mit Diamanten und das Schleifen der Steine waren fest in jüdischer Hand.
Im Laufe der Jahre entfaltete sich in der Stadt ein lebhaftes sefardisches Gemeindeleben, die Zuwanderer waren vielfach zum alten Glauben zurückgekehrt, den sie ungehindert ausüben konnten. Sie erlangten volle rechtliche Anerkennung und waren geschätzte Bürger der Stadt.
Das Geistesleben in Amsterdam
Nicht nur im kommerziellen Bereich, sondern auch zum Aufblühen des Geisteslebens leisteten die portugiesischen Juden einen wichtigen Beitrag. So entstanden bedeutende Druckereien und Verlagshäuser, die die Werke einheimischer und fremder Autoren druckten und für ihre Verbreitung sorgten. Beispielhaft sei an dieser Stelle an den großen Philosophen Baruch Spinoza (1632 – 1677) erinnert. Als Sohn neuchristlicher Eltern aus Portugal in Amsterdam geboren, war er hier zum Judentum zurückgekehrt. Seine kritische Einstellung zu religiösen Fragen und sein freier universaler Geist übten großen Einfluss auf das Geistesleben seiner Zeit aus.
Die portugiesisch-sefardischen Juden hatten neben den inzwischen aus dem Osten zugewanderten aschkenasischen Juden bis in unsere Zeit eine bedeutende Position in Amsterdam. Sie endete erst mit der nationalsozialistischen Besetzung der Niederlande und der brutalen Judenverfolgung.
Hamburg
Gegen Ende des 16. Jahrhunderts kamen die ersten jüdischen Glaubensflüchtlinge aus Portugal nach Hamburg. Sie waren als Neuchristen in ihrem Land in eine schwierige Lage geraten, als die Inquisition auch hier mit aller Macht diese Menschen überwachte, um ggf. Scheinchristen zu finden. Dies bedeutete beim leisesten Verdacht den Tod auf dem Scheiterhaufen.
Da viele dieser sefardischen Juden international tätige Kaufleute waren, gehörte die aufstrebende Seehandelsstadt Hamburg zu den bevorzugten Fluchtzielen.
Von den Hamburger protestantischen Bürgern wurden sie als katholische Christen wahrgenommen und durchaus wohlwollend aufgenommen. Allerdings kehrten viele der Zuwanderer bald zum Judentum zurück.
Wirtschaftlicher Erfolg
Die Portugiesen, wie sie pauschal genannt wurden, betätigten sich zum Wohle der Stadt als erfolgreiche Überseehändler, u.a. als Importeure von begehrten exotischen Waren wie Gewürze, Gold, Edelsteine und auch Sklaven. Auch als Bankiers und geschickte Financiers sowie als Makler an den entstehenden Warenbörsen waren sie tätig. Ihr wirtschaftlicher Erfolg zeigte sich auch in ihrem Lebensstil, den sie gerne zur Schau stellten. Sie wohnten in prachtvollen Häusern und zeigten sich in der Öffentlichkeit in reicher Kleidung, begleitet von jüdischem und christlichem Dienstpersonal. Ihr Prunk wurde von der einheimischen Bevölkerung teilweise mit Neid betrachtet, so dass die Stadtregierung (Senat) zur Mäßigung mahnen musste. Aufsehen erregten einige von Ihnen auch als „Residenten“ auswärtiger Fürsten und Könige, die sie, wie z. B. Schweden, als konsularische Vertreter einsetzten.
Sefardische Ärzte und Philosophen
Aber nicht nur als Kaufleute und Diplomaten brachten die portugiesisch/sefardischen Juden große Vorteile für Hamburg. Auch zeitgenössische Schriftsteller, Buchdrucker, Philosophen und Ärzte gingen aus ihren Reihen hervor. Besonders erwähnt werden müssen die vielen Ärzte, die sich große Verdienste bei der Pestepidemie 1596 erwarben. Ganz offensichtlich war die Kenntnis der Medizin auf der iberischen Halbinsel dem Stand im nordeuropäischen Raum weit voraus.
In der Ausübung ihrer Religion hatten die Portugiesen keine Restriktionen. Schon Anfang des 17. Jahrhunderts gab es drei Synagogen, um 1650 zählte die sefardische Gemeinde ca. 1200 Mitglieder. Im Lauf der Jahre kam es jedoch auch zu Abwanderungen. Hier war besonders das liberale Amsterdam attraktiv, andere Gruppen zogen in das benachbarte Altona oder nach Glückstadt an der Elbe, die beide zum Königreich Dänemark gehörten.
Die Gegenwart
Das endgültige Aus für die portugiesischen Juden in Hamburg brachte die NS-Zeit. Ein Teil der Mitglieder konnte vor 1942 noch emigrieren, andere, die es nicht mehr geschafft hatten, wurden von den Nazis deportiert und kamen um.
Steinernes Zeugnis der sefardischen Vergangenheit stellt der portugiesische Friedhof in Altona dar. Die fast ausschließlich liegenden Grabplatten sind reich mit Symbolen und anderen Verzierungen wie Familienwappen, Bibelszenen und allegorischen Figuren versehen, mit ihren portugiesischen Inschriften stellen sie eine Besonderheit dar. Der Friedhof wurde in jüngster Zeit als Weltkulturerbe vorgeschlagen.
Literaturempfehlung
Bossong, Georg: Die Sepharden, Geschichte und Kultur der spanischen Juden, C.H. Beck Wissen, München 2008
weitere Ausführungen zum Thema
http://www.zentralratdjuden.de/de/article/4938.zwischen-sefarad-und-aschkenas.html
ein guter Überblick
aus dem ViLE-Projekt „Jüdische Friedhöfe in Deutschland“
http://www.juedische-friedhoefe.info/friedhoefe-nach-regionen/hamburg/die-friedhoefe/altona.html