Die große Emigration der Salzburger Protestanten 1731

Aussschnitt „Die verfolgten
Salzburger Protestanten“
(Privatbesitz)

von Anna Luise Müller

Der Artikel ist eine gekürzte Fassung eines Kapitels aus der Familienchronik der Familie Schwarz; Kürzungen: Ute Lenke

Im Treppenhaus unseres Großvaters hing ein altes Bild, das uns als Kinder faszinierte und zugleich traurig stimmte. Schließlich erzählte der Großvater, was es mit diesem Bild auf sich hätte: es zeigt die Vertreibung der Salzburger Protestanten in einem Moment, da sie verzweifelt auf ihre verlorene Heimat zurückblicken.

Zur Vorgeschichte

Im Zuge der Reformation hatte sich lutherisches Gedankengut auch im Fürstbistum Salzburg schon über zwei Jahrhunderte verbreitet. Insbesondere unter den Gebirglern hatte sich eine Art „Geheimprotestantismus“ entwickelt, dessen Anhänger von den jeweiligen Erzbischöfen als den Landesherren mehr oder weniger geduldet oder drangsaliert wurden, zuweilen aber auch verfolgt, eingekerkert oder des Landes verwiesen.
Unter Erzbischof FIRMIAN wuchsen sich die Unterdrückungsmaßnahmen zur Tragödie für etwa 20 000 evangelische Salzburger aus.
Ihre Bittschriften auch an Kaiser Karl VI., blieben zwar nicht ohne Gehör, aber letztlich ohne Erfolg. Im Gegenteil: Die Lage der evangelischen Salzburger wurde immer verzweifelter.

Das offene Glaubensbekenntnis der Protestanten

Am 13. Juli 1731 versammelten sich 150 von ihnen zu der denkwürdigen Salzfaß – Abstimmung in Schwarzach. Sie beschlossen, sich künftig offen zu ihrem Glauben zu bekennen. Außerdem verfassten sie ein Bekenntnis, das der Kommission des Hofkanzlers an jedem Ort übergeben werden sollte. Der Text enthielt die Versicherung, „sie wollten ihrer Obrigkeit gehorsamb sein …, ausgenumben, was die Lehr anbelanget, die ist nit unser, sondern Gottes, und Gott sein mir einen größeren Gehorsamb schuldig, alß den Menschen.“

Die Zustände in den 7 Salzburger Pfleggerichten schaukelten sich danach rasch auf, und dies umso heftiger, als Ebf. Firmian seine gegenreformatorischen Bemühungen zunehmend seinem fintenreichen Hofkanzler Christani di Rallo überließ. Dieser – als „Welschtiroler“ wie Firmian ein Landesfremder – stand den lutherischen Gebirglern völlig verständnislos und von vornherein feindselig gegenüber. Für ihn waren sie gefährliche Aufrührer, die den kirchlich-weltlichen Staat Salzburg bedrohten und daher unverzüglich eliminiert werden mussten, bevor die Bewegung sich weiter ausdehnte. Es kam zum Eklat:

Das Emigrationspatent von 1731

Am 31. Oktober 1731 unterzeichneten Erzbischof Firmian und sein Kanzler Christani di Rallo das EMIGRATIONS-PATENT. Darin wurden die lutherischen Salzburger zu Rebellen erklärt und mit dieser unbewiesenen, aber folgenschweren Begründung zur Auswanderung gezwungen.

Die Emigration war schnellstens und „rigorissime“ zu vollziehen: Die „Unangesessenen“, das waren die Knechte, Mägde, Dienstboten und Tagelöhner, hatten innerhalb von acht Tagen abzuziehen, den „Angesessenen“, also den Bauern als Besitzern von Grund und Boden, wurde eine Frist von drei Monaten zugestanden, um ihnen den Verkauf ihrer Güter zu ermöglichen.

Die Vertreibung der „Unangesessenen“.

Das Emigrations-Patent, der Befehl zur Auswanderung, wurde am 11. November 1731, einem Sonntag; im ganzen Land angeschlagen und nach dem Gottesdienst verlesen.

Es herrschte Winter im Gebirge, Straßen und Pässe waren tief verschneit. Hofkanzler Christani bestand dennoch auf sofortigem Vollzug, „auf alle Weise und ohne Widerred…um ein Exempel zu machen…“.
Als Erste traf es die Unangesessenen im Bezirk Goldegg-St. Veit im Pongau. Soldaten drangen in die Häuser ein und zwangen sie, ohne Gepäck oder doch wenigstens Reiseverpflegung mitnehmen zu können, unter militärischer Begleitung nach Salzburg zu ziehen. Hungrig, frierend und erschöpft erreichten sie nach zwei weiteren Tagesmärschen die Landesgrenze. Drei Wochen verweigerte Bayern den angeblichen Aufrührern den Durchzug – es herrschte unbeschreibliches Elend unter dem inzwischen auf etwa tausend Emigranten angewachsenen Zug.

Zwischenziele

Über die Ankunft der Emigranten in der Freien Reichsstadt Memmingen berichtete ein Augenzeuge angesichts des mitleiderregenden Zuges: “Wer aber glaubte, diese Heimatlosen hätten … alles mit Klage und Jammer erfüllt und ihr erbarmungswürdiges Los mit … Tränenströmen beweint, würde sehr irren“. Vielmehr zogen sie, ihre evangelischen Lieder singend, durch die Stadt, offensichtlich „voll Vertrauen zu Jesu Christo, dass er sie, die Vertriebenen, führen, geleiten, bewirten und erhalten werde“.

Diesem ersten Zug folgten bis zum März 1732 sechs weitere. Über viertausend Lutherische waren damit aus Salzburg emigriert. Viele der Knechte und Mägde fanden auf den Wanderzügen durch Bayern, Schwaben, Württemberg und Franken eine Bleibe. Die überstürzte, mit gnadenloser Grausamkeit in Gang gesetzte Vertreibung im Winter 1731 war der erste, und zweifellos der schlimmste Teil der großen Tragödie der Salzburger Exulanten.

Das Preußische Einladungs-Patent von 1732

Eine Wendung zum Guten brachte eine Entscheidung des Königs von Preußen.
FRIEDRICH WILHELM I., König von Preußen, unterzeichnet am 2. Februar 1732 das Preußische Einladungspatent. Er erklärt sich darin bereit, die evangelischen Salzburger in seinem Lande aufzunehmen und ihnen dort eine neue Heimat zu bieten. Zudem ersuchte er alle Kurfürsten, Fürsten und Stände, den Emigranten auf ihrer mühseligen Reise freien Durchzug zu gewähren, zugleich „alldas , was ein Christ dem anderen schuldig ist.

Mit diesem Einladungs-Patent übernahm Friedrich Wilhelm I. die vakante Rolle als Schirmherr der Protestanten im Reich (der Kurfürst von Sachsen war konvertiert, um König von Polen zu werden). Verbundenheit mit seinen lutherischen Glaubensgenossen und das Gebot christlicher Nächstenliebe angesichts des Elends der Vertriebenen mögen mitgewirkt haben. Aber der König hatte auch Interessen als Landesherr.

Kolonisierung der ostpreußischen Provinz

Die Provinz Preußisch-Litauen war Anfang des Jahrhunderts von einer Pestepidemie heimgesucht worden, zudem hatten Missernten zu Bevölkerungsverlusten geführt.

So erschien die Ansiedlung von Kolonisten durchaus zweckmäßig.
Allerdings drängten zum Entsetzen der Berliner Regierung statt der maximal 6ooo erwarteten weitere 10 000 Einwanderer nach. Angesichts ihrer trostlosen Lage befahl der König, so viele als möglich nach Preußen zu geleiten – „und wenn es gleich zehntausend wären.“
Es war ein spontaner und staatsmännisch kluger, aber keineswegs unbedachter Entschluss, der das Ansehens Preußens als protestantische Schutzmacht steigerte.
 Schon im November 1731 hatte Friedrich Wilhelm zwei Salzburger Abgesandte einem „Glaubensexamen“ unterziehen lassen. Er war danach überzeugt, dass es sich bei ihnen keineswegs, wie von Firmian behauptet, um „Aufrührer und Sektierer“, sondern um „gute Lutheraner“ handelte. Da durfte er auch auf gute Untertanen hoffen.

Die Auswanderung der Angessenen

Im Emigrationspatent vom 31. Oktober 1731 war den Besitzern von Grund und Boden eine dreimonatige Frist zugestanden worden, danach aber galt auch für sie der Befehl zur Auswanderung. Der endgültige Termin war später auf den 24. April 1732 festgesetzt worden.

Im Unterschied zu der chaotisch verlaufenen Vertreibung der Unangessenen im November 1731 wurden die neuen Emigrationswellen planmäßig gesteuert.
Wer die Einladung des Königs Friedrich Wilhelm I.  im „Preußischen Einladungspatent“ annehmen wollte (manche nutzen auch andere Möglichkeiten), wusste also, wohin die Reise ging.

Der erste Emigrationszug verließ Salzburg am 6. Mai. Zu ihm gehörten auch die gerade erst aus der Kerkerhaft in der Festung Hohensalzberg entlassenen Anführer der evangelischen Bewegung. 15 weitere Wanderungszüge – der letzte brach am 6. August auf – wurden auf unterschiedlichen Routen quer durch Deutschland zur preußischen Grenze geleitet.
Die Salzburger Exulanten – nun offiziell „königlich preußische Emigranten“ – erlebten ihre Wanderung durch Deutschland zuweilen geradezu als einen Triumphzug. In fast allen Orten wurden sie von ihren Glaubensgenossen voll Freude, ja Begeisterung willkommen geheißen. Sie wurden festlich bewirtet, großzügig beschenkt, erhielten gastfreundliche Unterkunft. Vor allem wurden gemeinsame Gottesdienste gefeiert. In Leipzig komponierte der Thomaskantor J.S. Bach eigens für den Gottesdienst mit den Salzburger Lutheranern eine Kantate: die bekannte Kreuzstab-Kantate.

Endlich frei

Die jahrelange Unterdrückung, die erzwungene Heuchelei, die Furcht vor Verfolgung und Bestrafung lagen nun hinter ihnen, sie durften ihren evangelischen Glauben frei bekennen. Aber der Abschied von ihrer angestammten Heimat, von ihren über Generationen bewirtschafteten Höfen in den Gebirgstälern war schmerzlich gewesen, die lange Wanderung trotz aller bezeugten Wohltaten strapazenreich und leidvoll; 800 Menschen, vor allem Kinder und Alte, überlebten sie nicht. Und die Zukunft in einem fremden Land barg viel Ungewissheit. Da bedurfte es schon eines starken Gottvertrauens, um Mut und Zuversicht zu behalten. Das besaßen die Salzburger, und die sie begleitenden Pfarrer bestärkten sie darin.

Das Land Salzburg hatte mit dem Exodus der Lutheraner etwa 20 000 seiner damals rund 120 000 Einwohner verloren, manche Pfleggerichte waren geradezu entvölkert, 1776 Bauernhöfe waren zunächst unbewirtschaftet.

Die neue Heimat Ostpreußen

Zwischen Mai und November 1732 kamen an die 16 000 Salzburger in Königsberg an, überwiegend mit Schiffstransporten, ein Drittel über Land mit Wagen und Pferden.
Ein jubelnder Empfang wurde den Ankömmlingen nicht zuteil. Die „hochgemute Stimmung“, in der sie, getragen von der Begeisterung und Hilfsbereitschaft ihrer Glaubensgenossen, durch Deutschland gezogen waren, wich bitterer Ernüchterung. Für die einheimische Bevölkerung – Preußen, Litauer und die ebenfalls als Kolonisten angesiedelten Hugenotten und Holländer – waren sie unerwünschte Konkurrenten, die sprachliche Verständigung wegen der unterschiedlichen Dialekte schwierig.

Schwierige Anfänge

Die Einwanderer konnten wegen ihrer großen Zahl zunächst nur in elenden Notquartieren untergebracht werden. Die fremde Kost war für sie wenig bekömmlich. Der bald einsetzende Winter mit strenger Kälte, Schnee und eisigem Ostwind tat sein Übriges, so dass fast ein Viertel der Eingewanderten die ersten zwei Jahre nicht überlebte.
Kraft gaben den Enttäuschten und Verzagten die lutherischen Prediger, die sie in ihrem Gottvertrauen stärkten. Kommissare des Königs erhielten Order, „verständnisvoll“  Hilfestellung bei der Eingliederung zu leisten. Dennoch machte sich bei den Einwanderern Unzufriedenheit breit und der König hatte Grund, sie zu Geduld und Gehorsam zu ermahnen. Er ordnete an, dass jeder einzelne einen Untertaneneid zu schwören habe.

Preußische Untertanen

Nicht ohne anfängliches Widerstreben geschah dies 1736 schließlich. Als Beweis seines Vertrauens gewährte der König nun seinen neuen Landeskindern vielfache Vergünstigungen: den Bauern Befreiung von allen Dienstleistungen, den Handwerkern volle Gewerbefreiheit. Auch wurde den Bauern Land zur Nutzung, Saatgetreide und Vieh überlassen. Die erste Generation der Kolonisten war sogar vom Militärdienst befreit.

Friedrich Wilhelm I. schickte bald einen Abgesandten nach Salzburg, dem es rasch gelang, Käufer für die brachliegenden Güter zu gewinnen. Der Erlös wurde an die früheren Besitzer ausgezahlt. Sofern diese verstorben waren, wurde das Geld für die Errichtung einer Heimstatt für alte und pflegebedürftige Personen Salzburger Abstammung, die „Salzburger-Anstalt“ in Gumbinnen, verwendet.
Nach etwa vier Jahren hatten die Salzburger Exulanten in ihrer neuen Heimat Fuß gefasst, manche brachten es allmählich wieder zu bescheidenem Wohlstand.
Die neuen Untertanen des Königs erwarben sich einen guten Ruf als glaubensstarke und charakterfeste Menschen, so dass es in Preußen bald als Ehre galt, seine Abstammung auf die Salzburger zurückführen zu können.

Quellenangaben

Reformation, Emigration:

Protestanten in Salzburg; Katalog zur Ausstellung im Schloß Goldegg/Pongau/Land Salzburg (21.Mai – 26. Oktober 1981)
Herausgegeben vom Amt der Salzburger Landesregierung.

Gerhard Florey, Geschichte der Salzburger Protestanten und ihrer Emigration; 1986

Angelika Marsch, Die Salzburger Emigration in Bildern; 1977

Der Salzburger. Halbjährliches Mitteilungsblatt des „Salzburger Verein“ e.V.