Wohnungsnot in Deutschland? Wohnungsnot, partiell!

von Dieter von Lüpke (als Gast)

Wohnungsnot trotz schrumpfender Bevölkerung? Wie begründen sich aktuell konstatierte Engpässe der Wohnungsversorgung, wie lassen sie sich mit demographischen Veränderungen vereinbaren? Der Beitrag will zu diesem Themenkomplex ein paar knapp gehaltene Grundlageninformationen vermitteln.

Einwohner in Deutschland

Die Wohnungsversorgung in quantitativer Hinsicht – ohne Berücksichtigung von Preisen und Qualitäten – unterliegt Veränderungen, wenn sich die Nachfrage und/oder das Angebot an Wohnungen ändert. Für die Nachfrage ist zunächst die Einwohnerzahl einer Gebietseinheit relevant. Darüber hinaus ist wesentlich die Frage, welche Wohnfläche pro Person beansprucht wird.

Zu Beginn der Debatte über demografische Veränderungen der Bevölkerung in Deutschland wurden zentrale Erkenntnisse gerne mit dem Slogan zusammengefasst: „Wir werden weniger, bunter und älter“. Das war eine überwiegend richtige Prognose, die aber bezüglich des „weniger“ bisher nur in wenigen Jahren zutraf. In den Veröffentlichungen des Statistischen Bundesamtes und des Bundesinstituts für Bevölkerungsforschung finden sich differenzierte Angaben über die Entwicklung der Einwohner in Deutschland. Vereinfacht: Seit Anfang der 70er Jahre des letzten Jahrhunderts wurden in Deutschland in jedem Jahr weniger Kinder geboren als Menschen starben. Dennoch konnten die Einwohnerverluste bis 2002 rechnerisch durch Zuwanderungsgewinne überkompensiert werden. Nur in den acht Jahren zwischen 2003 und 2010 gelang dies nicht – „wir wurden weniger“, und zwar in einer Größenordnung von insgesamt ca. 786.000 Personen. In den vier folgenden Jahren 2011 bis 2014 dagegen setzte sich mit wieder steigenden Zuwanderungsgewinnen – unter anderem auf Grund der erweiterten Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Gemeinschaft – der gewohnte Trend durch: die Einwohnerzahl wuchs um insgesamt ca. 870.000.

Wohnfläche pro Einwohner

Die Wohnfläche pro Einwohner steigt in Deutschland seit so langer Zeit und so kontinuierlich, dass diesbezüglich auch von einem säkularen Trend gesprochen wird. Ursachen sind (langsam!) steigender Wohlstand, der die Erfüllung von Wohnungswünschen (und Wünschen nach raumbeanspruchenden technischen Geräten!) erlaubt, sowie tiefgreifende Veränderungen der Formen des Zusammenlebens.

Betrug die Zahl aller Haushalte in Deutschland 1991 noch 39,9 Mio, so wuchs diese Zahl bis 2013 um 4,7 Mio. Waren im Jahre 1991 Ehepaare mit Kindern noch die am weitesten verbreitete Lebensform, so machte diese Gruppe im Jahre 2013 nur noch einen Anteil von 24% aller Haushalte aus. Umgekehrt wuchs der Anteil der Einpersonen-Haushalte an allen Haushalten kontinuierlich – auf 26% im Jahre 2013. Kleine Haushalte aber beanspruchen im Durchschnitt mehr Wohnfläche pro Person als große Haushalte, die Küchen, Bäder und andere funktional eingegrenzte Räume gemeinsam nutzen können. Einpersonen-Haushalte verfügten 2008 im Durchschnitt über 67 qm, Vierpersonen-Haushalte über 126 qm Wohnfläche. Pro Mitglied eines Vierpersonen-Haushaltes betrug so die Wohnfläche nur 31,5 qm.

Neubau von Wohnungen in Deutschland

Wurden 2003 noch ca. 265.000 Wohnungen in Deutschland fertiggestellt, sanken die Fertigstellungszahlen bis zum Jahr 2010 auf ca. 160.000 ab. In den folgenden vier Jahren ist eine schrittweise Vergrößerung der Wohnungsbauproduktion zu beobachten: bis auf ca. 245.000 Wohneinheiten im Jahre 2014. Offensichtlich kann einer steigenden Nachfrage zumindest partiell entsprochen werden, weil die Zinsen für Baukredite sinken. Auch wirkt sich die Finanz- und Wirtschaftskrise aus: große Institutionen und Investoren entdecken den Wohnungsbau als Anlagebereich wieder, der zwar nur relativ geringe Renditen, dafür aber relativ hohe Sicherheiten verspricht.

Nicht vergessen werden darf bei einer Bilanz, dass neben der Fertigstellung von Wohnungen auch Bestandswohnungen abgebrochen (oft auch, um dem Neubau von Wohnungen Platz zu machen!) oder umgenutzt werden.

Regionale Unterschiede der Wohnraumversorgung

Vergleicht man/frau die Neubauzahlen zwischen 2011 und 2014 mit dem Zuwachs an Einwohnern, so scheint der Wohnungsmarkt eher entspannt zu sein. Mit 760.000 Neubauwohnungen lassen sich ca. 1,4 Mio. Einwohner versorgen, wenn mit einer Abbruchquote von 7% der Neubauwohnungen und einer Haushaltsgröße von 2,02 Personen gerechnet wird. Im gleichen Zeitraum wuchs die Bevölkerung in Deutschland aber nur um ca. 870.000 Personen. Insofern dürfte ein nicht unerheblicher Teil der Neubauproduktion dazu gedient haben, die steigenden Wohnflächenansprüche der schon früher vorhandenen Bevölkerung zu erfüllen.

Dramatischer wird das Bild, wenn Deutschland nicht als Gesamtheit betrachtet wird. Veröffentlichungen zum Beispiel des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (unter anderem: Wohnungs- und Immobilienmärkte in Deutschland 2011, oder: Wohnungsmarktprognose 2030) machen deutlich, dass es in Deutschland schrumpfende und wachsende Regionen mit höchst unterschiedlichen Wohnungsmärkten gibt. Wirtschaftlich starke Regionen verzeichnen Einwohnerzuwächse. Wirtschaftlich schwächere Regionen geben Einwohner ab, verzeichnen ausgedehnte Wohnungsleerstände und forcieren Abbruchprogramme.

Insbesondere in den auch als „Big-seven-Städte“ bezeichneten Großstädten Berlin, Hamburg, München, Köln, Frankfurt am Main, Stuttgart und Düsseldorf sind seit ca. sechs bis zehn Jahren Zuwanderungen in großem Umfang zu beobachten. Da zum Teil in diesen Städten darüber hinaus die natürliche Bevölkerungsentwicklung zu positiven Ergebnissen führt, entstehen trotz Steigerung der Wohnungsbautätigkeit Engpässe in der Wohnungsversorgung. Und: Innerhalb dieser Städte sind wiederum Disparitäten festzustellen. Junge, bildungsorientierte Zuwanderer bevorzugen zentral gelegene und gemischt genutzte Quartiere (gerne mit „Stilaltbauten“) – während peripher gelegene und monostrukturierte Großsiedlungen aus den 60èr und 70ér Jahren des letzten Jahrhunderts keinem besonderen Nachfragedruck unterliegen.

Die „Wohnungsmarktprognose 2030“ des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung kalkuliert für den Zeitraum 2010 bis 2030 den Bedarf an jährlich neu zu bauenden Wohnungen mit 183.000. Davon entfallen 38.000 Wohnungen auf die „Big-seven-Städte“.

Renaissance der „Europäischen Stadt“

Architekten und Stadtplaner fühlen sich seit langer Zeit einem Leitbild der „Europäischen Stadt“ verpflichtet, dessen Grundzüge im 19. Jahrhundert realisiert wurden: Stadtquartiere mit hohen Baudichten auf den Baugrundstücken, aber großzügigen öffentlichen Platz-, Straßen- und Grünräumen, mit klarer Trennung öffentlicher und privater Räume, mit kleinräumlicher Nutzungsmischung, mit kurzen Wegen zu Arbeitstätten und Einrichtungen der sozialen und privatwirtschaftlichen Versorgung, mit einer Dominanz umweltfreundlicher Fortbewegungsarten, mit einer Vielfalt unterschiedlicher Gebäudeeigentümer („Bauen auf der Parzelle“) und entsprechend überschaubaren Hausgemeinschaften.

Zum Teil hängt die Qualität der skizzierten Stadtquartiere sicherlich mit planerischem Handeln zusammen. Nicht zu unterschätzen ist zum Beispiel der Beitrag verkehrlicher Maßnahmen, die mit dem Bau von Schnellbahnnetzen, aber auch mit der Einrichtung von Fußgängerstraßen, Tempo-30-Zonen, Radverkehrsanlagen oder Anwohnerparkierungsbereichen wesentlich zur Wohnqualität der Innenstädte und der Innenstadtrandgebiete beigetragen haben.

Wichtiger für die Erklärung der verstärkten Nachfrage nach innerstädtischen Wohnquartieren aber sind Umbrüche in den Lebens- und Arbeitsweisen. Mit zunehmender Berufstätigkeit der Frauen wird es (jedenfalls, solange die Männer nicht die aufgegebenen Rollen ihrer Frauen übernehmen) notwendig, Funktionen aus der Familie auf externe Dienstleister zu übertragen. Das Einkaufen und Kochen wird zum Teil den Kantinen und Gastronomiebetrieben übertragen, die familiäre Kinderbetreuung wird zum Teil durch Kinderkrippen, Kindertagesstätten und Ganztagsschulen ersetzt, die familiäre Nachhilfe durch private Dienstleister, der Gartenbau durch Bioläden und Wochenmärkte, die private Beherbergung von Gästen übernimmt das Hotel. Die Wohnung, die früher Ort einer intensiven Mischung und Überlagerung unterschiedlicher Nutzungen war (bis hin zu gewerblichen Tätigkeiten), wird monostrukturiert, während das Wohnumfeld eine zunehmende Vielfalt an „Ersatzfunktionen“ bereithalten muss. Diese Auslagerung von Aufgaben an unterschiedliche Orte erfordert nicht nur Managementfähigkeiten, sondern auch ein Stadtquartier der kurzen Wege.

Planungsstrategien und Zielkonflikte

„Wir können gar nicht so viele Altbauten neu bauen, wie sie in den angesagten Gründerzeitquartieren nachgefragt werden“ – dieses Bonmot eines Hamburger Kollegen bringt die Situation in Berlin-Prenzlauer Berg, Frankfurt am Main-Nordend oder München-Haidhausen oder in ähnlichen Quartieren auf den Punkt. Und da Neubau in diesen Quartieren keine (wesentliche) Lösung sein kann, steigen die Mieten und die Preise für Eigentumswohnungen – mit der Folge einer schleichenden Verdrängung der weniger zahlungsfähigen Einwohner. Unter dem Schlagwort der „Gentrifizierung“ werden dort heftige Auseinandersetzungen ausgetragen.

Planungsstrategien zur Lösung dieser Engpässe auf dem Wohnungsmarkt zu konzipieren, ist anspruchsvoll: Da die beliebten Zielquartiere nur in geringem Maße nachverdichtet werden können, wäre es angezeigt, andere Stadtquartiere mit bislang geringer Wertschätzung aufzuwerten – was „einen langen Atem“ erfordert. Soweit der Neubau von Stadtquartieren auf „der grünen Wiese“ angedacht wird, sind ökologisch motivierte Widerstände zu überwinden. Planungsbedingte Bodenwertsteigerungen über städtebauliche Verträge zur Finanzierung der sozialen Infrastruktur zu nutzen, entlastet kommunale Etats – erhöht aber die Preise des Baulandes und erschwert so preisgünstigen Wohnungsbau. Viele Kommunen fordern hohe Standards für energieeffizientes und barrierefreies Bauen – tragen damit aber auch zur Steigerung der Wohnungsbaukosten bei. Und das System der Wohnungsbauförderung stößt derzeit an seine Grenzen: Sozialwohnungen mit Belegungsbindungen zugunsten einkommensschwacher Haushalte erfahren häufig die Rückzahlung der zinsverbilligten Kredite. Neue Kredite dieser Art anzunehmen, ist aber derzeit wenig attraktiv, weil der Kapitalmarkt freie Baukredite zu einem ähnlichen Zinsniveau anbietet. Soweit Sozialwohnungen noch vorhanden sind, wird immer wieder über Fehlbelegung diskutiert. Eine Abgabe derjenigen Haushalte, die aus der Sozialwohnungsberechtigung herausgewachsen sind, stellt eine wichtige zusätzliche Einnahme für die Kommunen dar und entspricht eher dem Anspruch, Gerechtigkeit herzustellen. Auf der anderen Seite können damit Mieter aus schwierigenWohnquartieren verdrängt werden, die für das Zusammenleben wichtige Aufgaben übernehmen.

In dieser Situation konzentrieren sich die politischen Gremien oft auf Eingriffe in den Wohnungsmarkt der Bestandsgebiete. Eingriffe, die zum Teil als „symbolische Politik“ verstanden werden können, oder aber die in ihrer Wirkung begrenzt bzw. umstritten sind. So sollen sogenannte Milieuschutzsatzungen auf der Grundlage des §172 BauGB die Zusammensetzung der Wohnbevölkerung sichern, ohne dass sie direkt auf Mietpreise Einfluss nehmen können, und ohne dass sie eine Modernisierung alter Wohnungsbestände auf das normale Niveau von Neubauwohnungen verhindern dürfen. Wirksamer sind dann schon Regulierungen der Möglichkeiten, Mietpreise anzuheben („Mietpreisbremsen“) . Von den Gegnern solcher Interventionen wird aber auf die begrenzte Ertragskraft von Wohnungen hingewiesen – und die Gefahr, die Attraktivität von Investitionen in den Wohnungsneubau zunichte zu machen.