Im Olympischen Dorf ’72

von Ludger Korintenberg (als Gast)

Über das Olympische Dorf in München, seine Planung und deren Ergebnis ist so viel dokumentiert, dass es müßig wäre, Wikipedia Konkurrenz zu machen. Aber wie lebt es sich in der anfänglich viel geschmähten Retortenstadt am Gewerbe- Rand der viel gepriesenen „nördlichsten Stadt der Toskana“?

Das „Dorf“

Auf jeden Fall lebt es sich anders als in der Altstadt oder Schwabing, aber auch anders als in einer Großsiedlung wie München-Perlach: das „Dorf“ ist ein zusammenhängendes Gebilde mit einem Hochhaus-Zentrum und davon ausgehend drei Terrassenhaus-Arme auf einer gemeinsamen, durchgehenden Plattform. Darunter ist Platz für die Autos und dazwischen eine Parklandschaft.

Dadurch ist der gesamte öffentliche Bereich mit Plätzen, Fußwegen und Grünanlagen autofrei und ungestört der Kommunikation und dem freien Spiel der Kinder gewidmet. Der Hochhausrand im Osten und Norden schirmt das Dorf gegen die verkehrsreichen äußeren Erschließungsstraßen ab, nach Süden und Westen verzahnen sich die inneren Grünanlagen mit dem umgebenden Olympia-Park und der benachbarten Zentralen Hochschulsportanlage (ZHS).

Die Wohnungen

Die hohe Wohnqualität des Olympischen Dorfes wird darüber hinaus dadurch erzielt, dass alle Wohnungen der Wohnarme nach Süden orientiert voll verglast sind und wegen der Abtreppung mit halb überdeckten, wohnungsbreiten Terrassen und tiefen Pflanzkästen mit „hängenden Gärten“ nach draußen die objektive Höhe im Hochhaus vergessen lassen. So haben alle Wohnungen – nicht nur die zu ebener Erde – ihren eigenen Wohnraum im Freien.

Planung

Zur Planungszeit Ende der 60er Jahre galt es als erstrebenswert, veränderbare Grundrisse den künftigen Bewohnern zu Verfügung zu stellen. Hier ist dem Rechnung getragen, dass zum einen die nicht-tragenden Innenwände zwischen den überall im gleichen Raster erstellten Betonschotten versetzt werden können und zum andern die ungewöhnlich hohe Anzahl von 70 verschiedenen Wohnungstypen zur Auswahl stehen.

Die Bewohner

Ich bin zusammen mit meiner Frau und zwei Kindern 1975 in ein kleines Reihenhaus eingezogen. Die anderen „Ureinwohner“ waren in einer ähnlichen Situation, waren zwischen 30 und 40 Jahre alt, mit zwei Kindern, Jeans, aber mit zuteilungsreifem Bausparvertrag: da war eine Wohnung im Olympischen Dorf erstrebenswert und dank öffentlicher Förderung erschwinglich.

Außergewöhnlich viele, damals junge Architekten gehörten dazu, wohl wegen der tatsächlich realisierten Wohnutopie und wegen ihres Vermögens, sich vorstellen zu können, wie sich die in der Presse gescholtene „Betonwüste“ in eine blühende Idylle im Park verwandeln würde. Die hohe Wohnqualität wird heute von allen geschätzt. Sie führt zu einer geringen Fluktuation und Umzüge gibt es meist nur innerhalb des Dorfes.

Der Alltag im „Dorf“

Die ähnliche soziale Situation der Pionier- Eigentümer hat zu viel Gemeinsinn beigetragen, der wegen ungeklärter juristischer Fragen, wegen störender Emissionen von umgebendem Gewerbe und baulichen Mängeln bald zur Gründung einer Eigentümerer-Interessen-Gemeinschaft (EIG) geführt hat. Diese EIG ist bis heute mit bürgerschaftlichem Engagement erfolgreich, wenn es darum geht, die Dorfgemeinschaft betreffende Probleme zu lösen. So konnte erreicht werden, dass die Fa. Bärlocher abgesiedelt wurde, BMW seine Lackiererei umstellte, das Fußballstadion statt nebenan an der Autobahn im Norden gebaut wurde und, in jüngster Zeit, die Neubauten der ZHS nicht wie im städtischen Planungskonzept über die verkehrsfreie Grünanlage sondern von einer äußeren Hauptstraße erschlossen wird.

In frühen Dorfjahren ging von der EIG die Gründung einer Betriebsgesellschaft „ODBG“ aus, deren Treuhänder bestimmen, wie und welche Arbeiten im öffentlichen Bereich auszuführen sind. Dazu gehören außer der Pflege und Instandhaltung der Wege und Außenanlagen auch die der Müllabsaugeanlage in der Zentrale im Werkhof mit Einwurfklappen über das gesamte Dorf verteilt.

Veränderungen

Seit einiger Zeit ist die Ladenzone mit über 30 Einzelläden und einem Discounter „in die Jahre“ gekommen und müsste neu organisiert werden, was aber nicht durchführbar ist, weil alle Läden private, gewinnorientierte Eigentümer haben.

Um das drohende „trading down“ zu stoppen hat die EIG eine eigenständige Genossenschaft gegründet mit dem Ziel, nach und nach Ladenlokale aufzukaufen und dem Nahbedarf entsprechend zu vermieten. Ein Anfang ist gemacht mit dem großen Restaurant im Zentrum und einem Italiener am nördlichen Ende.

Fazit

Das Leben im Olympischen Dorf ist abwechslungsreich durch die von den Planern vorgesehenen baulichen Angebote für  Kommunikation, Sport und Spiel sowie durch die von den Einwohnern gegründeten und betriebenen Vereine und Einrichtungen wie sie auch in jeder kleinen Stadt existieren. Für gehobene Ansprüche ist allerdings die Innenstadt mit ihren grenzenlosen Angeboten auf allen Gebieten leicht und schnell mit der U-Bahn von zwei Bahnhöfen aus zu erreichen.

Olympisches Dorf vom Oplympia-Turm aus gesehen
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zur Einführung:

https://de.wikipedia.org/wiki/Olympisches_Dorf_(München)