von Lore Wagener
In den 1920er Jahren diskutierten fortschrittliche Architekten über neue Formen des Wohnungsbaus. Vordenker waren in Deutschland vor allem die Bauhaus-Architekten Mies van der Rohe und Walter Gropius
Neues Bauen
Sie wollten weg von dem schnörkeligen Baustil des Historismus, weg von der Belle Etage und den kümmerlichen Hinterhöfen und Kellerwohnungen. Alle Wohnungen sollten den gleichen Wohnwert erhalten. Dennoch wollten sie möglichst preisgünstig bauen und dazu die neuen Werkstoffe und Arbeitsmethoden, wie der Fließbandarbeit, einsetzen. Die Gestalter entwarfen Dinge mit einfachen und klaren Linien, so wie sie der Kubismus damals entwickelte. Neu sollte auch die ganzheitliche Gestaltung des Bauens sein, mit angenehmen Grundrissen und Raummaßen. Auch der Hausrat sollte zum übrigen Design passen. Das gab den Anstoß zur Entwicklung einer „Frankfurter Küche“, die Hausarbeit rationeller gestalten sollte. Außerdem startete man Versuche, Arbeiten, die viel Platz in den Wohnungen brauchten, zentral zu erledigen.
Das Bauhaus
Viele der neuen Ideen kamen von den Künstlern des staatlichen Bauhauses Dessau, das ursprünglich aus der Großherzoglichen Akademie zu Weimar hervorging. Nach seiner Übersiedlung nach Dessau im Jahre 1926 wurde die Institution zur Hochschule für Gestaltung, die eine gleichwertige Verbindung zwischen Kunst und Kunsthandwerk anstrebte. Hier entwickelte man also nicht nur Architektur, sondern zum Beispiel auch die ersten Möbel aus Stahlrohr (Freischwinger). Die Zusammenarbeit der Kunst mit der Industrie begann.
Das Bauhaus bildete praktisch die Kunstavantgarde in allen Sparten der Gestaltung aus. Auch heute haben seine Ideen noch großen Einfluss. Den Nationalsozialisten passte sein Konzept allerdings gar nicht. 1933 schlossen sie das Bauhaus.
Siedlungsbau im Ruhrgebiet.
Eine bedeutende wohnreformerische Idee war der Siedlungsbau. Im Ruhrgebiet wurde diese Idee etwa ab 1850 diskutiert. Als Hüttenwerke und Zechen boomten, brauchte die Industrie dringend neue Wohnungen für den großen Zustrom von 700 000 Zuwanderern. Die großen Firmen bauten Siedlungen für ihre Mitarbeiter und die zahlreichen gemeinnützigen Wohnungsbaugenossenschaften bauten eher aus sozialen Gründen. Namhafte Architekten und Mäzene setzten sich für den Siedlungsbau ein. Ihre Siedlungen sind heute ein wichtiger städtebaulicher Akzent. Allein im Stadtgebiet Duisburg entstanden etwa 150 Siedlungen, eine ganze Reihe davon im Bauhausstil. Viele sind noch gut erhalten und gehören heute zu den beliebtesten Wohnvierteln. Es gibt vielfältige Siedlungen mit allen möglichen baulichen Konzepten und Stilformen. Die Siedlung Margarethenhöhe in Essen gilt als Aushängeschild. Aber auch in Duisburg gibt es interessante Architektur. Dazu gehört zum Beispiel die Einschornsteinsiedlung, die ganz im Sinne des Neuen Bauens errichtet wurde.
Die Einschornsteinsiedlung
Die heute denkmalgeschützte Siedlung wurde zwischen 1926 und 1928 auf der damaligen Duisburger Heide erbaut. Den Bauwettbewerb zum Errichten von 360 Mietwohnungen und 81 Einfamilienhäusern gewannen zwei Architekten aus Ruhrort. Sie hatten eine Arbeitersiedlung streng im Stil des Bauhauses konzipiert. Bauherr wurde die Gemeinnützige Bauverein AG Essen. Das städtische Baudezernat leistete planerische Unterstützung. Am Ende wurde die Siedlung für Arbeiterlöhne jedoch zu teuer. So wurde der nicht städtische Komplex eine Beamtensiedlung vorwiegend für städtische Bedienstete und gerne auch für die Musiker des städtischen Sinfonieorchesters. Die Siedlung wurde in den 1990er Jahren privatisiert. Als Eigentumswohnungen und Eigenheime fanden die Wohneinheiten rasch ihre Käufer. Heute wacht ein engagierter Bürgerverein über den Denkmalschutz.
Kubistisches Outfit
Bei einem Gang durch die Siedlung fallen zunächst die schnurgeraden Straßen auf. Die Hauser am Straßenrand haben maximal drei Stockwerke und sind ebenso breit. Sie haben glatte Fronten und flache Dächer. Den Eingangsbereich hat man etwas zurückgesetzt. So entstanden markante Nischen zwischen den Häusern, die deren Würfelform noch betonten. Kleine Loggien an den Hausecken lockerten die strenge Form auf. Man setzte die Siedlung aus mehreren Haustypen zusammen, die eine preisgünstige serielle Bauweise ermöglichten. Es gab gleichartige Grundrisse jeweils für kleine oder große Einfamilienhäuser und ebenso für die Mehrfamilienwohnungen. Die Häuser haben schmale Vorgärten. Auf ihrer Rückseite sieht man Gärten, Balkons und Terrassen für einen angenehmen Aufenthalt der Bewohner im Freien. Und die Luft war besser als anderswo, denn die gesamte Siedlung hat keine Schornsteine. Sie wird vielmehr von einem städtischen Heizwerk mit heißem Wasser und Fernwärme versorgt. Das war damals ein seltener Luxus.
Anfangs waren die Hauswände farbig gestrichen, was vielleicht lebhafter wirkte. Heute wird die Siedlung durch reichen Grünschmuck verschönt.
Waschhaus
Einzelne Feuerstellen und Schornsteine, wie damals noch allgemein üblich, brauchte man in dieser Siedlung nicht. Man war ja an das Heizwerk angeschlossen. Dafür gab es eine zentrale Versorgungseinheit. Aber man brauchte dennoch wenigstens eine Feuerstelle samt Schornstein zum Wäschekochen. Dafür richtete man in der zentralen Versorgung ein Waschhaus mit einem großen Schornstein, Waschmaschinen und Schleudern ein, das der Siedlung den Namen gab. Hier konnten die Hausfrauen ihre Wäsche kochen und trocknen. Die Zentraleinheit war aber auch als kommunikativer Ort gedacht. Sie bekam einen Versammlungssaal, Gemeinschaftsgaragen und einen Kinderhort. Ursprünglich wollte man dort auch zentral die Badewannen einrichten. Zum Glück hat man dann doch Badezimmer in den einzelnen Wohnungen gebaut. Mit dem Siegeszug der elektrischen Waschmaschinen entfiel später der Bedarf für ein Waschhaus. Im Jahre 2005 wurde es abgerissen.
Die Wohnungen
Den ganzheitlichen Ansatz des Neuen Bauens erkennt man auch an vielen Details. Es gab zwar noch nicht die „Frankfurter Küche“, aber man versuchte zum Beispiel die Küchenarbeit mit praktischen Einbau-Regalen funktioneller zu machen. Die Maße der Grundrisse waren zwar nicht üppig, aber doch ausreichend, wie das Beispiel eines gut möblierten Wohnzimmers zeigt.
Auch der Freiraum hinter den Häusern wurde im Sinne des „Neuen Bauens“ gestaltet. Dafür gewann man den damals bekannten Gartenbaukünstler Migge. Dieser Künstler plante den „Sozialen Garten“. Er wollte in den Freiräumen keine Rasenflächen, die niemand betreten durfte, sondern nutzbare Gärten, in denen die Bewohner spielen und sich bewegen, aber auch Gemüse anbauen konnten. Das war damals für Stadtbewohner sehr fortschrittlich. Heute sind viele der damals neuen Ideen selbstverständlich geworden.
Bauhaus Dessau
http://www.bauhaus-dessau.de/deutsch/start.html
Einschornsteinsiedlung
http://opus.kobv.de/zlb/volltexte/2011/10042/pdf/rubrik_denkmal_fibel_einschornstein.pdf
Idylle im Ruhrgebiet
http://www.zeit.de/wissen/geschichte/2010-06/wohnkultur-ruhrgebiet
Bilder:
i.D. Winterscheidt mit freundlicher Genehmigung