von Erla Spatz-Zöllner
Interview beim Vile-Seminar „Heimat und Medien“ in Bad Urach 16.-20.2.2015
Die meisten von uns sind „nur“ Deutsche. Trotzdem leben viele von uns nicht mehr dort, wo sie aufgewachsen sind und sind doch in einer neuen Gegend heimisch geworden. Dies war und ist auch innerhalb Deutschlands nicht immer einfach, gelingt aber gewiss leichter als es für Ausländer sein mag, die nach Deutschland einwandern.
Wie fühlt es sich an zwei oder mehrere Heimaten zu haben?
Dies wollte ich wissen, als ich mich für diesen Workshop entschied.
Wir hatten drei Gäste: Gaby, eine 64 jährige Tschechin mit britischem und tschechischem Pass, mit einem Deutschen verheiratet. Inga, eine 30 jährige Lettin mit deutschem und lettischem Pass und Nermin, eine 50 jährige Deutsche mit türkischen Wurzeln, die als kleines Kind nach Deutschland kam. Gabys Erlebnisse werden in einem anderen Beitrag beschrieben (siehe „Zwei Pässe gegen einen“). Inga war bereits als Kind und Jugendliche in Deutschland und hatte keine Schwierigkeiten sich als Studentin in Rostock einzuleben: „Salzige Luft, wie zuhause!“ Nach vorübergehenden Problemen in Mannheim mit unfreundlichen und unzuverlässigen Menschen, ist sie heute mit einem Deutschen verheiratet und fühlt sich in Ulm und Umgebung wie daheim. Wenn sie die Wahl hat, benutzt sie ihren deutschen Pass. Damit würde man vertrauenswürdiger wahrgenommen und anders angesehen als mit dem lettischen Pass.
Schwieriges Ankommen
Nermin erzählte, dass sie sich nicht so schnell in Deutschland heimisch fühlte. Erst vor etwa 20 Jahren habe sie sich innerlich von der Türkei verabschiedet. Sie hatte damals gemerkt wie deutsch sie inzwischen geworden war. In der alten Heimat vermisste sie nicht nur das deutsche Brot, auch die Pünktlichkeit und die Zuverlässigkeit der Menschen. Heute hat sie ein Ferienhaus bei Izmir und fühlt sich wieder in beiden Ländern zuhause, nicht zuletzt dank ihres deutschen Ehemannes, der sich sehr gern in der Türkei aufhält. Allerdings kränkt sie mitunter die türkische Bürokratie, die ihr manchmal wegen ihrer deutschen Staatsangehörigkeit widerfährt.
Auch wenn es letztlich ein Gewinn ist zwei Heimatländer zu haben, so ist es doch ein oft jahrelanger schmerzlicher Prozess, dahin zu kommen. Nermin hat uns Beispiele dazu erzählt:
Einladungen ihrer Eltern an Deutsche wurden nur selten erwidert, als türkischen Mädchen verweigerte man ihr und ihrer Schwester den Besuch im deutschen Kindergarten. In der Schule erfuhr sie lange keine Beachtung, man erwartete einfach nichts von ihr. So wurde ihr Lernpotential erst spät entdeckt und dann erst von engagierten Lehrerinnen gefördert. Andererseits wurden gute Deutschkenntnisse im türkischen Umfeld nicht nur positiv aufgenommen. So musste sie sich einmal mit dem Satz rechtfertigen:“ Weil ich deutsch kann, bin ich doch nicht unanständig.“
„Wer ist der Nikolaus?“
Andere Erlebnisse gingen gut aus: Als Mitschüler Nermin erzählten, sie hätten Geschenke vom Nikolaus bekommen, wollte sie wissen wer der Nikolaus sei. „Das ist ein heiliger Mann, von Gott gesandt. Er bringt den braven Kindern Geschenke“, wurde ihr mitgeteilt. Diese Auskunft machte sie sehr traurig. War sie sich doch sicher, ein braves Mädchen zu sein. Zuhause angekommen, bemerkte eine Nachbarin ihre Traurigkeit. Als sie den Grund dafür erfuhr, sagte die Nachbarin: „ Weißt du, der Nikolaus hat soviel zu tun. Er war auch noch nicht bei meinen Kindern, der Martina und dem Giovanni. Stell einfach deine Schuhe vor die Tür und dann sehen wir weiter“. Am nächsten Tag fand Nermin die ersehnten Geschenke in den bereitgestellten Schuhen.
Mehrere Heimaten bringen breitere Einsichten und andere Denkmuster
Inga kam nach Deutschland, weil sie Fernweh hatte, trotz der patriotischen Erziehung, die ihr zuteil wurde. Nermin wollte als Kind Hebamme werden und in fernen Ländern mit Frauen arbeiten. Gaby ging mit 18 Jahren nach London um die „heimatliche Enge“ hinter sich zu lassen. Obwohl der Weg in die Fremde schwierig und zum Teil mit Enttäuschungen verbunden war, fühlen sich alle drei Frauen heute mehreren Ländern verbunden. Sie haben umfassendere Einsichten gewonnen und können Vorurteilen durch eigene Erfahrung begegnen. Sie haben ein breiteres Bewusstsein, mehr Differenziertheit und mehr Offenheit für Fremdes. Tiefer als einem gewöhnlichen Touristen sind Ihnen Mentalität, Kultur, Brauchtum, Essensgewohnheiten, Vegetation, Landschaften und Gerüche anderer Länder vertraut. All das hat ihr Leben bereichert.