Frauen mit und ohne Nobelpreis

Von Ute Lenke

In seinem Testament von 1895 verfügte der Schwede Alfred Nobel die Gründung einer Stiftung, die nach dem Wunsch Nobels Personen auszeichnen sollte, die „der Menschheit den größten Nutzen gebracht haben“. Alfred Nobel starb 1896, aber es dauerte noch ein paar Jahre, bis es zur Gründung der Stiftung kam.

Der Preis

Seit 1901 werden jedes Jahr, außer in den Kriegsjahren, Nobelpreise  für herausragende Leistungen auf den Gebieten der Physik, der Chemie, der Medizin oder Physiologie, der Literatur und des Friedens verliehen. Neben den von Nobel gestifteten Preisen wurde 1969 von der Schwedischen Reichsbank auch ein Preis in „Anlehnung an den Nobelpreis“ für Wirtschaftswissenschaftler gestiftet, deren Preisträger ebenfalls die „Königlich Schwedische Akademie der Wissenschaften“ bestimmt.

Und alljährlich warten Koryphäen in aller Welt, ob der erlösende Telefonanruf aus Stockholm oder Oslo kommt oder ob sie diesmal wieder nicht dabei sind.

Die Auswahl der Preisträger

Die Auswahl erfolgt auf Vorschlag der bereits „gekrönten Häupter“ sowie ausgesuchter Institute. Die Königlich-Schwedische Akademie der Wissenschaften vergibt die Preise in Physik und Chemie, das „Karolinska-Institut“ für Medizin/Physiologie und  die „Schwedische Akademie“ die Literaturpreise. Die Friedensnobelpreisträger werden vom norwegischen Parlament ausgewählt. Die Vergabe der Preise ist an maximal 3 Preisträger, bzw. der Friedenspreis auch an Institutionen möglich, allerdings nur an lebende Personen – eine posthume Vergabe ist nicht möglich.

Der Kreis der in Frage kommenden Laureaten ist also begrenzt. Es kann daher nicht verwundern, dass manche, die durchaus „herausragende“ Leistungen in Literatur und Wissenschaften vorzuweisen haben, nicht in den Genuss der Preisverleihung kommen.

Darüber später mehr (siehe auch meinen Artikel über „Lise Meitner).

Der Nobelpreis

Goldmedaille des Nobelpreises

Der Preis besteht aus einer Urkunde, einer Goldmedaille und einem Geldpreis, dessen Höhe sich im Laufe der Jahre verändert hat, jedem aber für die Zukunft ein mehr oder weniger sorgenfreies Leben ermöglicht. Der Friedensnobelpreis wird in Oslo am 10. Dezember, dem Jahrestag von Nobels Tod verliehen, die anderen Preise in Stockholm.

Bis 2013 wurden Nobelpreise 807mal an Männer, 44 an Frauen und 23 an Organisationen verliehen. Die männliche Überzahl ist also erheblich, die Zahl der Nobelpreisträgerinnen dagegen durchaus übersichtlich.

Die Nobelpreisträgerinnen

Von den Frauen erhielten:

15 den Friedensnobelpreis
12 den Preis für Literatur
10 für Medizin oder Physiologie
4 für Chemie
2 für Physik und
1 für Wirtschaftswissenschaften.
19 Frauen waren alleinige Preisträgerinnen.

Ein besonders erfolgreiches Jahr war 2009, als 5 Frauen mit dem Nobelpreis ausgezeichnet wurden.

Einige Beispiele aus der Frühzeit der Verleihung

Marie Curie erhielt als erste Frau im Jahre 1903, zusammen mit ihrem Ehemann Pierre Curie und Henri Bequerel, den Nobelpreis für Physik für die Entdeckung der Radioaktivität. Curie war auch die einzige, die den Preis zweimal bekam: 1911 noch einmal den Preis für Chemie für die Isolierung des Elements Radium. Die Auszeichnung ihrer Tochter Iréne mit dem Nobelpreis für Chemie im Jahre 1935 erlebte sie nicht mehr. Marie Curie ist am 4. Juli 1934 an den Folgen ihrer jahrelangen Beschäftigung mit hochdosierten radioaktiven Substanzen an Leukämie gestorben.

Bertha von Suttner bekam 1905 den ersten Friedenspreis. Sie war eine  Österreichische Pazifistin, Friedensforscherin und Schriftstellerin. Ihr Buch „Die Waffen nieder“ soll Alfred Nobel, dessen Privatsekretärin sie eine Zeitlang war, zur Stiftung seines Preises angeregt haben. Es liegt Tragik darin, dass ausgerechnet der Appell „Die Waffen nieder“ und der Friedensnobelpreis den Beginn eines Jahrhunderts markierten, das zu den kriegerischsten und blutigsten der Geschichte gehören sollte.

Weitere Preisträgerinnen

Selma Lagerlöf wurde 1909 mit dem Preis für Literatur ausgezeichnet. Die Begründung lautete „auf Grund des edlen Idealismus, des Phantasiereichtums und der seelenvollen Darstellung, die ihre Dichtung prägen“. Ihre bekanntesten Werke, wie „Nils Holgerssons Reise mit den Wildgänsen“ oder „Gösta Berling“, werden in Schweden noch heute viel gelesen.

Die letzte Preisträgerin, aus dem Jahr 2013, war die Kanadierin Alice Munro; sie wurde für ihre zeitgenössischen Kurzgeschichten mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet.
Eine vollständige Aufzählung aller Nobelpreisträgerinnen mit Ihren Leistungen und den Lebensdaten ist nachzulesen bei Wikipedia.

Anwärterinnen um den Preis betrogen

Auf die 44 bekannten Preisträgerinnen kommt eine Vielzahl bekannter und unbekannter Frauen, die sich mit Sicherheit ebenso „um die Menschheit verdient gemacht“ haben und deren Leistungen einen Preis verdient hätten.

Warum gingen sie leer aus?

Jahrhundertelang mussten Forscherinnen unter armseligen Forschungsbedingungen als „freiwillige“ (natürlich unbezahlte) Mitarbeiterinnen forschen. Sie durften zusehen, wie ihre Entdeckungen ihren männlichen Kollegen oder Ehemännern zugeschrieben wurden. Dieses Phänomen wird „Matilda-Effekt“ genannt; es beschreibt die Tendenz von Männern, Frauen um den Lohn ihrer eigenen Arbeit zu bringen. So genannt, nach der amerikanischen Feministin, Suffragette und Wissenssoziologin des 19. Jahrhunderts, Matilda Joslyn Gage.

Heute hat sich die Einstellung gegenüber Wissenschaftlerinnen zwar geändert, ganz verschwunden sind die Vorurteile und Benachteiligungen aber noch immer nicht.

Die Zeitschrift „National Geographic News“

Die Zeitschrift publizierte im Mai 2013 einen Artikel über 6 Frauen, die um die verdienten Früchte ihrer Arbeit betrogen wurden und den Nobelpreis trotz ihrer Verdienste nicht bekamen (über die Dunkelziffer kann man nur spekulieren).

Die Genetikerin Nettie Stevens, 1861 in Vermont geboren, arbeitete an Untersuchungen zur Geschlechtsbestimmung durch Chromosomen. Für Stevens´ Entdeckung, dass das Geschlecht entscheidend durch die Chromosomen x und y bestimmt werden, bekamen Thomas Hunt Morgan und Edward Wilson den Preis.

Rosalind Franklin, britische Biophysikerin, forschte an der Struktur der DNA, für deren Entdeckung 1962 ihre Mitarbeiter (!) James Watson und Maurice Wilkins den Nobelpreis erhielten. Sie war zwar bereits gestorben, als es zu der Preisvergabe kam, und posthum wird der Nobelpreis nicht verliehen; jedoch ist bekannt, dass zu ihren Lebzeiten ihre „lieben“ Kollegen großzügigen Gebrauch von ihren Forschungsergebnissen gemacht hatten, so dass Franklin vermutlich bei der Preisvergabe ohnehin leer ausgegangen wäre.

Drei weitere Anwärterinnen

Joycelyn Bell Burnell, irische Astrophysikerin, hatte 1967 den Mechanismus von Pulsaren entdeckt, während sie noch Radioastronomie in Cambridge studierte. Den Nobelpreis in Physik für diese Entdeckung bekam ihr Vorgesetzter Anthony Hewish zusammen mit einem weiteren Institutsmitarbeiter Martin Ryle.

Esther Lederberg, Mikrobiologin, fand einen Virus, der Bakterien infizieren kann; dadurch wurden Forschungen zur Antibiotika-Resistenz möglich. Den Preis in Medizin erhielt dafür 1958 ihr Ehemann Joshua Lederberg zusammen mit George Beadle und Edward Tatum.

Chien-Shiung-Wu, Physikerin an der Columbia-University, fand ein Gesetz für die Quantenmechanik, das die Entwicklung der Atombombe ermöglichte. Den Nobelpreis 1957 in Physik erhielten ihre Kollegen Yang und Lee

Der Fall Lise Meitner

Lise Meitner gilt als der berühmteste – man sollte eher sagen: berüchtigste Fall von Ideendiebstahl in der Geschichte der Wissenschaft. Sie begründete theoretisch die Versuche Otto Hahns zur Kernspaltung –  ebenfalls ein Meilenstein bei der Entwicklung der Atombombe. Den Preis bekam 1945 Otto Hahn allein – womöglich auch, weil „jemand“ vom schwedischen Nobelkomitee darauf bestand, dass man einer Frau und Jüdin auf keinen Fall  den Preis geben dürfe. Fakt ist, dass Otto Hahn den Preis erhielt und die Leistung von Meitner mit keinem Wort erwähnte. Auf sein unkollegiales Verhalten angesprochen, erwiderte er, sie habe doch „schon genug andere Preise bekommen“, und die Versuche hätte er schließlich allein mit Fritz Straßmann gemacht, der aber auch diskret verschwiegen wurde. (Siehe hierzu auch meinen Artikel „Lise Meitner“ in dieser LC-Ausgabe.)

Ungleichgewicht

Diese Aufzählung ließe sich ergänzen; zum Beispiel um die Fälle, in denen Mitarbeiterinnen kurzerhand geheiratet wurden, damit der Herr Gemahl die Lorbeeren ernten konnte. So soll zum Beispiel Albert Einsteins erste Ehefrau, eine Mathematikerin, für ihn die Berechnungen zur Relativitätstheorie gemacht haben. (Siehe M.W. Rossiter, Der Matthäus/Matilda-Effekt in der Wissenschaft).

Das Ungleichgewicht zwischen Leistung und Erfolg von Forscherinnen aufgezeichnet zu haben, ist das Verdienst von Wissenschaftlerinnen wie Ruth Lewin Sime, Margaret W. Rossiter und vielen anderen, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, für die Anerkennung der Leistungen von Frauen in der Wissenschaft zu kämpfen, ohne Rücksicht auf Rasse oder Religion. Ihren Arbeiten ist es vielleicht auch zuzuschreiben, dass sich das Ungleichgewicht zwischen den ausgezeichneten Männern und Frauen in den letzten Jahren zugunsten der Frauen verschoben hat.