Eine Frau und Künstlerin behauptet sich

Von Hildegard Neufeld

Das schickt sich nicht! Wie oft habe ich das in meiner Kindheit von meiner Mutter hören müssen, wenn ich im Begriffe stand, die mir als Mädchen gesetzten Grenzen zu überschreiten. Damals ahnte ich noch nicht, welche Probleme entstehen können, wenn man als Mädchen zur Welt gekommen ist.

Eine Künstlerin wächst heran

Fanny Hensel-Mendelssohn wurde im November 1805 als älteste Tochter des Ehepaares Lea und Abraham Mendelssohn, die sich nach ihrem Übertritt zum evangelischen Glauben Mendelssohn-Bartholdy nennen durften, geboren.

Peter Härtling beschreibt in seinem Roman „Liebste Fenchel“, der fast einer Biografie gleichkommt, sehr einfühlsam das Leben der Fanny Hensel-Mendelssohn. Intensiv befasst er sich mit der musischen Entwicklung der begabten Mendelssohn-Kinder Fanny (auch Fenchel genannt) und Felix. Felix war der strahlende Stern seiner Familie.

Schon früh musizierten die Geschwister zusammen. Während Felix mit neun Jahren seinen ersten Konzertauftritt hatte, musste Fanny zeitlebens im Schatten des Bruders stehen, weil sich ein öffentlicher Auftritt, und gar ein Broterwerb, für Frauen ihres Standes nicht schickte.

Im Banne der Familie

Während Fanny am Klavier und als Sängerin im Familienkreis auftrat, erwarb sich der vier Jahre jüngere Felix schnell den Ruf eines Wunderkindes – auch dank der Förderung durch seine Schwester, mit der er früh zu komponieren begann.

Anders als Felix konnte sich Fanny – als begabte Konzertpianistin und Komponistin –  nicht entfalten, da sie nicht für die Öffentlichkeit, sondern von ihrer Familie lediglich für die Ehe vorgesehen war. Peter Härtling bringt das in seinem Buch „Liebste Fenchel“ sehr deutlich zum Ausdruck.

„Felix gehört längst der Welt“, entgegnete Abraham, der Vater, seiner Tochter Fanny bei einem sie belehrenden Gespräch, „von ihm wird viel erwartet. Und du, meine Fanny, gehörst nicht der Welt, du weißt es, du gehörst dem Haus, gehörst der Familie.“

Die Ungerechtigkeit

Die Lebenswege der beiden hochbegabten Geschwister Mendelssohn entwickelten sich immer unterschiedlicher voneinander. Während Felix immer mehr ins Licht der Öffentlichkeit trat, musste Fanny sich auf das Wirken im Kreise der Familie beschränken.

Fanny empfand es zunehmend als ungerecht, dass ihr Bruder seine Wunderknabenkarriere starten durfte, während sie ihre nicht geringeren Talente nur im privaten Kreis präsentieren konnte. Sie war auf die „Bühne“ der häuslichen Sonntagskonzerte beschränkt.

„In den Sonntagsmusiken bist du gewissermaßen als Glied der Familie zu bewundern“, versuchte ihr Vater sie zu überzeugen und fügte hinzu: „Ich habe es dir als deine Bestimmung erklärt, Fanny. Was willst du dir da antun?“

„Nein Papa“, entgegnete Fanny, „ich spiele Klavier und komponiere wie Felix. Ihr denkt wahrscheinlich: Frauen können das nicht. Ich kann es!“

Fanny war gerade 20 Jahre alt, und Felix, der dem Gespräch beigewohnt hatte, stimmte ihr zu.

Zwiespältige Gefühle

Die Einschränkungen und Begrenzungen, denen sich Fanny bei der Ausübung ihrer Musik stellen musste, beeindruckten und verunsicherten sie, und immer wieder sinnierte sie, wie sie sich davon befreien könnte. Ihr Bruder Felix konnte es sich ja leisten, was ihr die ungeschriebenen Regeln nicht gestatteten. Wie oft hatte sie sich schon mit Spott und Wut gefügt, wenn es hieß, eine Frau darf den Künsten allenfalls im Hause dienen, ein Auftritt in der Öffentlichkeit wäre ungehörig – vor allem für eine Frau ihres Standes!

Abends, wenn ihr Mann aus seinem Atelier kam und sie mit ihrem kleinen Sohn Sebastian spielte, freute sich Fanny, eine Frau zu sein. War sie aber mit einem Lied oder einer Kantate fertig, wünschte sie sich, ein Mann zu sein. Sie könnte dann ihre Arbeit in Druck geben, darauf warten bis sie irgendwo aufgeführt würde, so wie Felix.

Durchgesetzt!

Fanny erklärte, sie wolle, da Felix auf Reisen und ohnehin sehr beschäftigt sei, die bereits etablierten Sonntagskonzerte übernehmen, sozusagen im Auftrag der Familie, und sie hoffe sehr auf ihre Unterstützung.
Am 8. Juli 1831 stand sie vor dem Orchester und den Sängern, hob den Taktstock –  das Privileg ihres Bruders – und hörte die ersten Takte des von ihr komponierten „Lobgesanges“.

Die Sonntagskonzerte wurden Mode. Der Zulauf war gewaltig. Oft drängten sich 300 Personen im häuslichen Gartensaal und auf der Terrasse. Fanny dirigierte energisch das übliche Orchester und trat nun als Pianistin öffentlich auf.

„Ich spiele Klavier, doch ich dilettiere nicht, ich habe es gelernt, es ist meine Profession“, ließ Fanny die einladenden Herren wissen, die ihr verlegen zugestanden, dass sie ihr Können außerordentlich schätzten.

Fanny hatte sich durchgesetzt – als erfolgreiche Künstlerin und auch als Frau.

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Anmerkung: Peter Härtlings Buch “Liebste Fenchel!“ ist im Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen