„Schwermut macht Herzen zu Tode betrübt“

(aus: Freudvoll und leidvoll…Volksliederarchiv)

von Erdmute Dietmann-Beckert

Vorbemerkung
Im Folgenden stelle ich ein paar Gedichte aus unterschiedlichen Jahrhunderten vor. Herz kann eine Person oder der Ort sein, wo die Seele wohnt.

Volksdichtung um 1300

Dû bist mîn, ich bin dîn: des solt dû gewis sin.
dû bist beslozzen in mînem herzen:
verlorn ist das slüzzelîn: dû muost immer drinne sîn.

In diesem frühen Liebesgedicht ist über den Buchstaben u und i der accent circonflexe gesetzt. Ich vermute, dass es in die Zeit Walthers von der Vogelweide gehört. In dessen Gedichten findet sich ebenfalls das Sprachzeichen.
Mir gefällt das Bild des Herzens, das der Liebe einen Raum gibt. Allerdings bin ich skeptisch, ob sich der Geliebte beziehungsweise die Geliebte nicht doch eher eine offene Tür wünschen.

Friedrich Schiller 1759-1805

Er wurde in Marbach am Neckar geboren und auf einer Militärschule erzogen. Seit 1782 war er mit Goethe in Weimar freundschaftlich verbunden. Schiller gilt als bedeutender Dramatiker Deutschlands. Zu seinen Werken gehören auch theoretische Schriften zum Beispiel über die ästhetische Erziehung des Menschen. Er starb an einer akuten Lungenentzündung.
Ich habe zwei Zeilen aus seinen Sprüchen ausgesucht.

Willst du dich selber erkennen, so sieh, wie die andern es treiben;
willst du die andern verstehn, blick in dein eignes Herz.

Voraussetzung für Verstehen ist Erkennen. Das wiederum kann ich, wie Schiller schreibt, wenn ich andere beobachte. Dabei belasse ich es aber nicht, weil ich verstehen will. Das gelingt, wie der Verfasser meint, wenn ich mich selbst kritisch betrachte. Es bewahrt mich vor einem schnellen Urteil über andere und hilft, freundschaftlich zusammen zu leben.

Clemens Brentano 1778-1842

Er erblickte das Licht der Welt in Koblenz-Ehrenbreitstein. Die väterliche Familie stammte aus Italien. Die Schwester Bettine heiratete Achim von Arnim, der mit Clemens ab 1806 die Liedersammlung Des Knaben Wunderhorn herausgab. Die beiden Dichter gehörten zur Heidelberger Romantik. Sie hatten sich während des Studiums der Philosophie in Göttingen kennengelernt.
Clemens heiratete 1803 Sophie Mereau, die eine Tochter mit in die Ehe brachte. Nach mehreren Fehlgeburten starb Sophie 1806 im Kindbett.
Das Gedicht „Abendständchen“ entstand 1802.

Abendständchen
Hör, es klagt die Flöte wieder, Und die kühlen Brunnen rauschen,
Golden wehn die Töne nieder – Stille, stille, laß uns lauschen!
Holdes Bitten, mild Verlangen, Wie es süß zum Herzen spricht!
Durch die Nacht, die mich umfangen, Blickt zu mir der Töne Licht.

Der Dichter vernimmt den klagenden Ton der Flöte und das Rauschen des Wassers und bittet um Stille, um besser zu hören. Etwas spricht „süß“ das Herz an. Ist es sein Herz? Eine Musik von Franz Schubert würde mir dazu gefallen.

Christian Morgenstern 1871 – 1914

Sein Vater war ein Münchener Landschaftsmaler, aber Christian schrieb schon als Jugendlicher Gedichte. Er studierte unter anderem Philosophie und Kunstgeschichte. Da sich die Eltern getrennt hatten, musste er selbst für seinen Unterhalt sorgen. Er arbeitete im S. Fischer Verlag und übersetzte aus dem Norwegischen. Er lernte Rudolf Steiner kennen und wurde Mitglied in der anthroposophischen Gesellschaft.
Während seine Galgenlieder sehr schnell Anklang fanden, blieben seine lyrischen Gedichte zu seinen Lebzeiten unbeachtet.
Hier ein Liebesgedicht:

Es gibt noch Wunder, liebes Herz, getröste dich!
Erlöste dich noch nie ein Stern aus deinem Schmerz,
des Strahlenspiel vom hohen Zelt in deiner Qualen Tiefe fiel
und sprach: „Sieh, wie ich zu dir kam vor allen andern ganz allein!
Du liebes Herz, wirf ab den Gram!
Bin ich nicht dein? Getröste dich!“
Erlöste dich noch nie ein Stern…

Morgenstern hat erst wenige Jahre vor seinem Tod die langjährige Freundin Margareta geheiratet.

Rose Ausländer 1901 – 1988

Sie wurde in Czernowitz, Österreich-Ungarn geboren. Die Eltern waren weltoffene liberale Juden. Im Ersten Weltkrieg floh die Familie über Budapest nach Wien. Rose heiratete 1923 ihren Freund Ignaz Ausländer, mit dem sie nach USA ausgewandert war. Sie erhielt die amerikanische Staatsbürgerschaft, aber weil sie sich aus familiären Gründen mehrere Jahre ohne Unterbrechung in Ungarn aufgehalten hatte, wurde ihr diese 1937 aberkannt..
1940 geriet sie in sowjetische Gefangenschaft, wurde entlassen, arbeitete als Krankenschwester und wurde von rumänischen Truppen in einem Ghetto zu Zwangsarbeit verurteilt. Sowjetische Truppen befreiten die Stadt und das Lager. Über Rumänien durfte sie in die USA ausreisen. Hier schrieb sie ihre Gedichte in englischer Sprache.
In Feuilletons deutschsprachiger Zeitschriften und Zeitungen hatte sie bereits früher Gedichte veröffentlicht. Es gab auch deutsche Buchpublikationen.
Sie erhielt immer wieder Literaturpreise.
1965 nahm sie ihren Wohnsitz in Düsseldorf. Ab 1978 wurde sie bettlägerig, schrieb aber weiter bis zu ihrem Tod.

Die Menschen
Immer sind es die Menschen
Du weißt es
Ihr Herz ist ein kleiner Stern
der die Erde beleuchtet

Das Gedicht ist 1981 erschienen. In dieser Zeit war sie schon an ihr Bett gebunden. Mich erstaunt, dass sie nach allem Leid, das sie durch Menschen erfahren hat, dennoch gewiss ist, dass Menschen fähig sind, mit Herzenswärme das Dunkel der Welt zu vertreiben.

Literatur und Links

Aus deutschem Herzen. Gedichtband. Hrsg.
Friedrich Andreas Schmidt et al. Frankfurt M.1967.
Ausländer, Rose. Hinter allen Worten. Gedichte. Frankfurt M. 1998.
dies. Wieder ein Tag aus Glut und Wind. Gedichte 1980-1982. Frankfurt M. 1986.
Gedichte. Zusammen gestellt von Fritz Bachmann et al. Frankfurt M. o.J.
Morgenstern, Christian. Gedichte. München 1959.
Texte für den Literaturunterricht. Lyrik. Hrsg. Anne Banaschewski et al. Hannover 1969.
Biographie
Clemens Brentano
Morgenstern, Christian
aus: Freudvoll und leidvoll…Volksliederarchiv  3.7.13