von Erna Subklew
Die Entwicklung der Familie seit der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vermittelt das Gefühl, dass sowohl die Struktur als auch der Charakter der Familie sich sehr stark verändert haben. Dabei wird immer wieder das Verschwinden der Großfamilie bedauert.
Die Familien in der vorindustriellen Zeit
Es hat sich in der Bevölkerung die Meinung gebildet, dass früher die Drei-Generationenfamilie die gängige Form des Zusammenlebens war. Sieht man sich aber die tatsächlichen Verhältnisse einmal genauer an, so war diese Form eher die Ausnahme als die Norm. Auf dem Lande hatte der kleine Bauer seine Mühe die eigene Familie durchzubringen, der große Bauer aber hatte sein Gesinde. Die Großelterngeneration zog in den „Altenteil“, den der alte Bauer als Äquivalent für die Abgabe seines Hofes bekam.
Als aufgrund der besseren Hygiene die Zahl der Menschen auf den Dörfern stieg und der Wegzug in die Stadt begann, war dort die Wohnungsnot groß. Die Wohnungen waren verhältnismäßig teuer und Einzimmerwohnungen für Familien mit Kindern durchaus üblich. Eine Drei-Generationenfamilie war also auch hier nicht die Regel. Die am weitesten verbreitete Familienform war und ist die Kernfamilie, bestehend aus Vater, Mutter und Kindern.
Wandel von Ehe und Familie
Die Kernfamilie hielt sich beinahe unverändert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts. Sie erlebte von 1950 – 1960 sogar noch eine Blüte, wahrscheinlich bedingt durch den erst kurz zuvor beendeten Krieg. Sie vermittelte den Familienmitgliedern das Gefühl von Sicherheit und Wärme, vielleicht auch von Glück und Harmonie. Dabei war sie recht oft der Ort, wo unbedingter Gehorsam herrschte, wo es Unterdrückung und Konflikte gab.
In der genannten Zeit hatte die eheliche Kernfamilie eine Monopolstellung. Voreheliches Zusammenleben, nicht eheliche Geburten, Scheidungen und Kinderlosigkeit waren selten und die Heiratshäufigkeit hoch. Keine Zeit zuvor hatte eine so große Fokussierung auf diese Lebensform. Die danach einsetzende Individualisierung stellte eine Rückkehr zu den unterschiedlichen Lebensformen dar. Weitere Ursachen für den Wandel lagen im Nachlassen der Verbindlichkeit gesellschaftlicher Normen und dem Zunehmen der Bildung und Erwerbstätigkeit von Frauen.
Was ist eine Familie
Im Allgemeinen versteht man unter Familie auch heute noch ein Ehepaar, das mit Kindern in einer Hausgemeinschaft lebt. Das Kennzeichen dieser traditionellen Familie ist, dass sie aus zwei Generationen und zwei Geschlechtern besteht, die miteinander verwandt sind. Obwohl diese traditionelle Familie immer noch die am häufigsten gelebte Lebensform ist, haben sich daneben, vor allem in den letzten Jahrzehnten neue Modelle herausgebildet. Dies sind vor allem die gleichgeschlechtlichen Gemeinschaften, die nicht eheliche Gemeinschaften mit Kindern des jeweils anderen Partners, die Paare ohne Kinder und Alleinerziehende.
Rechtliche Festlegung
Die rechtliche Festlegung was Familie ist, ist wichtig, da die Familie in unserem Staat als besonders schutz- und förderungswürdig gilt.
Bei der Diskussion über Familie zeichnen sich drei Positionen ab:
– In einem Haushalt lebt ein verheiratetes Paar mit oder ohne Kinder.
– Im Mittelpunkt der Lebensgemeinschaft steht ein Elternpaar mit Kindern. Ehe und Haushaltsgemeinschaft sind dabei nicht nötig.
– Jede Solidargemeinschaft zwischen zwei oder mehreren Personen, die auf Dauer ausgerichtet ist, gilt als Familie.
Weil das Wort Familie durch den Jahrhunderte langen Gebrauch ideologisch befrachtet ist und um einen möglichst neutralen Begriff zu verwenden, spricht man heute richtiger von „familialer Lebensform“. Jedes der vorgenannten Modelle ist eine Teilmenge der „familialen Lebensform“.
Die Familie gibt es nicht, sondern nur eine soziale Institution, die von den Individuen gestaltet und gelebt wird und einer gesellschaftlichen Prägung unterliegt.
Wandel und Beständigkeit
Was besonders auffällt, ist die Vielfalt, die sich unter dem Begriff „familiale Lebensform“ verbirgt. Wenn man sich jedoch eingehender mit den Merkmalen der Familien beschäftigt, wird man bald auf diejenigen Merkmale stoßen, die sich bis jetzt gehalten haben. So wird die Elternrolle noch immer als für die Entwicklung der Kinder am wichtigsten angesehen. Es gilt auch weiterhin, dass Kinder am besten in der Kleinkinderzeit von der Mutter betreut werden – auch wenn es langsam mehr Väter werden, die sich engagieren. Der Ernährer ist vorwiegend weiterhin der Mann – wobei gut verdienende Frauen die Rolle heute eher übernehmen.
Neben der Elternrolle besteht auch immer noch eine große Neigung in einer Partnerschaft zu leben, ob nun registriert oder nicht. Allein oder gar polygam zu leben, ist nur selten anzutreffen.
Als immer noch wichtiges Merkmal gilt auch heute das gute Familienleben, das einen höheren Stellenwert hat als eine Karriere im Beruf.
Die Beziehungen ändern sich
Nicht nur die äußeren Formen der Ehe und Familie haben einen Wandel durchgemacht, auch die Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern haben sich gewandelt. Die hierarchisch organisierte Familie, die auf Befehl und Gehorsam basierte, wandelt ihr Verhalten mehr und mehr zu einem mehr partnerschaftlichen Umgang. Entscheidungen werden nicht mehr vom Familienvorstand allein getroffen, sondern weitgehend gemeinsam, wobei die Kinder zunehmend am Entscheidungsprozess beteiligt sind.
Quelle: bpb Norbert F. Schneider Familie in Deutschland
Link:
Deutsche Verhältnisse – eine Sozialkunde