Vom Kaiserreich zur Republik – Wende mit Zwängen

von Roswitha Ludwig

Große Veränderungen brachte der 09. 11. 1918 in Deutschland: morgens noch Monarchie, mittags ein verwaister Kaiserthron, zweimal Proklamation der Republik, zwei Reichskanzler: ein Adliger übergab an einen Arbeitervertreter.

Kaiser Wilhelm II. dankt ab

An diesem Tag unterzeichnet Kaiser Wilhelm II. im belgischen Spa, dem Großen Hauptquartier, seine Abdankungsurkunde. Er tritt als Kaiser und als König von Preußen zurück. Von Spa reiste er nach Dorn (Holland), seinem künftigen Exil. Der bayrische König war schon geflohen angesichts eines Aufstandes. Die übrigen Fürsten der anderen deutschen Länder räumten zeitnah ihre Throne.
Ursprünglich wollte Wilhelm II. nur die Kaiserwürde niederlegen. Nach einer Verfassungsänderung im Oktober waren Reformen zur parlamentarischen Monarchie hin im Gange. Der neue Reichskanzler, Prinz Max von Baden, galt als liberal. Doch Reformen brauchen Zeit und müssen vermittelt werden. Nun drohte die Niederlage im Krieg, und Aufstände waren bereits im Gange.

Schlagworte zu den Unruhen 1918

Meuterei der Matrosen, Aufstände der Arbeiter, Generalstreik, Bildung von Arbeiter- und Soldatenräten die Westfront nicht mehr zu halten, Hungersnot vor allem in den Städten. Es bestand die Gefahr eines Umsturzes wie in Russland.
Die Oberste Heeresleitung (OHL), mit Paul von Hindenburg und Erich Ludendorff an der Spitze, drängte auf einen Waffenstillstand. Um diesen sollte, durch die Vermittlung des amerikanischen Präsidenten Woodrow, Wilson ersucht werden. Sein 14-Punkte-Programm mit der Idee eines Völkerbundes empfahl ihn. In dieses Grundkonzept passten Parlamentarier aber keine Militärs. Es kam den Militärs entgegen, wenn nicht sie die Verhandlungen führen und die Dokumente unterzeichnen mussten.

Chronologie des 09.11.1918

Die Massen auf den Straßen Berlins veranlassen den Reichskanzler Prinz Max von Baden um 12 Uhr, die Abdankung des Kaisers öffentlich bekannt zu geben, noch bevor das telegrafierte Dokument vorliegt. Er ernennt Friedrich Ebert, den Vorsitzenden der SPD, zu seinem Nachfolger. Wenig später ruft dessen Parteifreund, Philipp Scheidemann, aus einem Fenster des Reichstagsgebäudes die parlamentarische Republik aus. Zwei Stunden später proklamiert Karl Liebknecht im Lustgarten die „freie sozialistische Republik Deutschland“.
Die Waffenstillstandsfrage hinzugefügt, vereinigt der 09. November 1918 alle Probleme, die für die nächsten Jahrzehnte schicksalhaft für Deutschland wurden:
Die extreme Rechte verherrlicht die Kaiserzeit und diffamiert die Politiker der Gegenwart.
Die Linke fordert die Weiterführung der Revolution mit tief greifenden Änderungen in Wirtschaft und Gesellschaft.
Als „Erfüllungspolitiker“ werden die demokratischen Regierungen verächtlich gemacht, wenn sie um Spielräume bei Reparationsforderungen verhandeln.

Wandel in Kontinuität, Friedrich Ebert 1871 – 1925

Friedrich Ebert (Quelle:AdSD)

Nicht Revolution – Veränderung mit gewählten Mehrheiten – wünschten die Mehrheitssozialisten, denen Friedrich Ebert angehört. Eine gewählte Nationalversammlung – kein Rätesystem – sollte bestimmen.
Das Kriegsende ist zu bewältigen, die OHL organisierte den geordneten Rückzug der Truppen. Mit General Gröner schloss Friedrich Ebert eine Art Bündnis.
Kontinuität nicht Bruch oder Abrechnung strebte er an. Die funktionierende Beamtenschaft siegelte mit neuem Stempel und bewahrte oft die alte Gesinnung. Vieles läuft, als wäre nur ein Etikett geändert. Die große Veränderung in Gesellschaft und Wirtschaft unterblieb. Aufstände wurden niedergeschlagen, doch dem geschlagenen Land blieb der Bürgerkrieg erspart.
Die Nationalversammlung wählte am 11.02.1919 Friedrich Ebert zum Reichspräsidenten. Bis zu seinem Tod 1925 regierte ein überzeugter Demokrat. Er entstammt nicht dem Adel, nicht dem Bildungsbürgertum, sondern dem Handwerkermilieu und der einst verachteten Arbeiterorganisation. Die radikalen Linken beschimpften ihn als Arbeiterverräter, die Rechten als Landesverräter.

Waffenstillstand und Friedensdiktat

Von vielen Deutschen wird nicht dem Kaiser und nicht der OHL die Kriegsniederlage zugeschrieben. Lange hatte die Propaganda Siegeszuversicht vermittelt, um Durchhaltewillen und Opferbereitschaft zu fördern. Die OHL drängte zwar zum Waffenstillstand, aber die Politiker unterzeichneten ihn. Matthias Erzberger (Zentrum) wurde deshalb angefeindet und fiel 1921 einem Attentat zum Opfer.
Der Versailler Friedensvertrag übertraf an Härte alle Erwartungen an Gebietsverlusten und wirtschaftlichen Auflagen. Verhandlungsmöglichkeiten wurden bei der Übergabe nicht zugestanden. Der erste Reichskanzler Scheidemann (SPD) trat aus Empörung zurück.
Vor allem die Kriegsschuldfrage fand kein Verständnis. Deutschland wurde die alleinige Kriegsschuld zugesprochen und noch nicht bezifferbare Reparationen verlangt. Über die Reparationen zu verhandeln, blieb ein dauerndes Thema der Weimarer Außenpolitik. Im Juni 1919 wurde ultimativ die Annahme gefordert, dazu gab es keine Alternative.  Der demokratische Beginn wurde durch die wirtschaftliche Not und den so genannten „Schmachfrieden“ erschwert.

Die Dolchstoßlegende

„Im Felde unbesiegt“, so fühlten sich viele zurückgekehrte Soldaten, so wollten sie sich gerne fühlen. Viele waren als Kriegsfreiwillige jubelnd ausgezogen, um das Vaterland in ehrenvollem Dienst zu verteidigen und zu schützen. In den Schützengräben und Gefechtsstellungen hatten sie die Wahrheit des technisierten Krieges erlitten und durchgehalten. Zurückgekehrt fanden sie eine andere Welt vor, in der Not herrschte. Manchen fiel es schwer, ins normale Leben zurückzukehren. Einige bildeten Freikorpsverbände, deren sich die Regierung zunächst bediente. 1923 wurden die letzten aufgelöst. Der Versailler Vertrag genehmigte ein Berufsheer von 100 000 Mann.
Am 18.11.1919 tauchte der Begriff „Dolchstoßlegende“ in einem Protokoll auf. Befragt nach den Ursachen des militärischen Zusammenbruchs äußerte von Hindenburg oder Ludendorff, sich auf einen englischen Offizier berufend, die deutsche Armee sei „von hinten erdolcht worden.“ Dieses Bild nutzten die Gegner der Republik als Propagandawaffe. Dass die OHL zum Waffenstillstand gedrängt hatte, blieb unerwähnt.

Wahlrecht und Direktwahl des Präsidenten

Paul von Hindenburg (gemeinfrei)

Erstmals durften 1919 in Deutschland auch die Frauen wählen; das Wahlalter wurde von 25 auf 20 Jahre herabgesetzt.
Es galt das reine Verhältniswahlrecht ohne Mindestklauseln, so konnte es bis zu 15 Parteien und Gruppierungen geben. Zwanzig Regierungen wurden in vierzehn Jahren gebildet, keine erreichte das Ende einer Legislatur. Je stärker die extremen republikfeindlichen Parteien wurden und je geringer die Koalitionsbereitschaft der anderen, umso schwieriger wurde die Regierungsbildung.
Mit großer Macht war der Reichspräsident ausgestattet. Alle sieben Jahre sollte er vom Volk gewählt werden. 1925 kandidierte auch Paul von Hindenburg im Alter von 78 Jahren. Im zweiten Wahlgang errang er die erforderliche Mehrheit: ein Adliger und Gutsbesitzer, Generalfeldmarschall des Ersten Weltkrieges und führender Kopf der OHL, Verbreiter der Dolchstoßlegende, als Held von Tannenberg berühmt, parteilos, Demokratiebezug zumindest fragwürdig.

Präsidialmacht

Der greise Reichspräsident rettete für viele konservativ Eingestellte etwas von der kaiserlichen Zeit herüber. Hatte nicht die Republik für viele Arbeitslosigkeit, Vermögensverluste und nationale Demütigungen gebracht? Not und Massenarbeitslosigkeit beförderte die politische Radikalisierung 1928 erhielt die NSDAP im Reichstag bereits 18,3 % der Stimmen und 1932 im Juli 37,4 %.
Nach der Verfassung ernannte und entließ der Reichspräsident die Reichskanzler. Als keine Koalitionen mehr gelangen, berief Hindenburg seit 1930 die Kanzler Brüning, von Papen und Schleicher. Diese drei Regierungen bezeichnet man als Präsidialkabinette.
Das Recht zu Notverordnungen nach Artikel 48 berechtigte ihn, Gesetze zu erlassen. Doch was unter „Not“ zu verstehen sei, blieb vage. Die Gesetze mussten binnen sechs Wochen dem Reichstag vorgelegt werden. Nach Artikel 25 konnte er diesen auch auflösen.
Am 30. Januar 1933 ernannte Hindenburg Adolf Hitler zum Kanzler einer Koalitionsregierung. Die NSDAP verfügte über 196 Mandate im Reichstag. Im August 1932 hatte Hindenburg das noch abgelehnt. Nicht nur den Präsidenten täuschte Hitler.

Fazit

Auch heutige Regimewechsel zur Demokratie hin gestalten sich schwierig. Die Beschäftigung mit Weimar bietet eine Lektion in Sachen Gefährdungen der Demokratie.
Damals gab es auch Verdrossenheit gegenüber den Parteien und Koalitionsstreit. Die Wirtschaftskrise und ihre Folgen trieben viele Menschen denjenigen zu, die alles besser machen wollten, glatte Lösungen versprachen und die Machtträger verächtlich zu machen suchten.
Das große Ansehen Paul von Hindenburgs im Amt des Reichspräsidenten war davon losgelöst. Die Verfassung stattete ihn mit mehr Macht aus als das Parlament.
Als Paul von Hindenburg 1934 mit 87 Jahren starb, wurde sein Begräbnis ebenso für die nationalsozialistische Propaganda genutzt wie der Tag von Potsdam. Auch das Ermächtigungsgesetz hat er als Reichspräsident unterzeichnet. Dennoch sollte die schwierige Endsituation der Weimarer Republik nicht so vereinfacht werden, dass der Reichspräsident zum Schuldigen dafür gemacht wird, dass die Nationalsozialisten an die Macht kamen.

Quellen und Links:

Revolution 1918/19

Lebendiges virtuelles Museum online LEMO

Rezension zur neuesten Hindenburg-Biographe von Wolfram Pyta


Biographische Stichpunkte zu Paul von Hindenburg

Rede Paul von Hindenburgs zu seiner zweiten Kandidatur 1932