von Hildegard Neufeld
Viele ältere Menschen haben den Eindruck, dass die Zeit im Alter schneller vergeht. Die Antwort der forschenden Wissenschaftler lautet allerdings: „Nein, die Zeit vergeht nicht schneller, je älter der Mensch wird“, und sie haben noch mehr herausgefunden.
Die Wahrnehmung der Zeit
Psychologen haben – einem Bericht von WELT ONLINE zufolge – eine Erklärung dafür gefunden, warum uns mit zunehmendem Alter die Jahre immer kürzer erscheinen, während bisweilen schon wenige Minuten sich endlos dehnen können, wie beispielsweise beim Warten auf den Bus oder die S-Bahn, und auch die Wartezeit bei einem Arztbesuch wird häufig als sehr lang empfunden.
Psychologen definieren die Zeit „als eine Dimension der Wahrnehmung des Erlebens“. Die Zeit ist für sie immer an Ereignisse im Leben gebunden. Während die physikalische Zeit unbeeinflusst fließt, ist die subjektiv erlebte Zeit von zahlreichen inneren und äußeren Faktoren abhängig.
Die Psychologin Hede Helfrich nennt zwei Ursachen für die im Alter scheinbar schneller verlaufende Zeit: „Die biologische innere Uhr laufe mit zunehmendem Alter langsamer, deshalb werde die physikalische Zeit als schneller empfunden“.
Unterschiedliches Zeitempfinden
Kinder haben ein anderes Zeitempfinden, weil sie jeden Tag Neues entdecken und ständig Unbekanntes verarbeiten müssen, berichtet der Tutzinger Ökonom und Zeitforscher Martin Held (PR ONLINE). In der Kindheit werde jeder Moment intensiv wahrgenommen. Jeder Tag scheint lang zu sein. „Wenn wir älter werden, wird vieles zur Routine. Dadurch kommt es uns so vor, als würde die Zeit schneller vergehen“.
In der Jugend machen wir wichtige Erfahrungen, die uns für unser Erwachsenenleben prägen. Daher kommt uns die Zeit des Erwachsenwerdens im Nachhinein als besonders lang vor. Hinzu kommt ein weiterer Effekt. Wenn Menschen älter werden, denken viele über die Zeit nach, die ihnen nach der durchschnittlichen Lebenserwartung noch bleibt. Die Zeit „verrinnt“ unaufhaltsam und scheinbar zu schnell, um sie mit den Dingen zu füllen, die wir noch vorhaben.
Stress und Hektik führen dazu, dass die Zeit gefühlsmäßig rast, erklären die Zeitforscher und raten einen Gang zurückzuschalten, sich Zeit zu nehmen.
Die Zeit im Rückblick
Das Phänomen der immer schneller vergehenden Zeit im Alter ist den meisten Menschen vertraut. Da stellt sich die Frage, ob dies auch für die Rückschau gilt. Die Psychologin Ursula Staudinger, Professorin, an der International University Bremen betont, dass man zwischen dem momentanen Zeitempfinden und der Rückschau unterscheiden müsse. Hier sei eine paradoxe Wende festzustellen. Erleben wir beispielsweise eine Phase voller Projekte und Aktivitäten, rennen die Stunden nur so dahin, führt sie aus. In der Erinnerung kommt uns die Zeit oft sehr ausgefüllt und lang vor.
Isabell Winkler und Professor Sedlmeier der Technischen Universität Chemnitz machen in der Ausgabe „Alternde Gesellschaften“ 2/2011 auf die Veränderung der Zeitwahrnehmung über die Lebensspanne aufmerksam. Erstaunt und oft ungläubig, so berichten sie, fragen sich viele Menschen immer wieder, wo die bisherigen Lebensjahre geblieben sind. Je älter wir werden, desto schneller scheint die Zeit zu vergehen.
Einfluss von Plänen und Zielen
„Je mehr Pläne und Ziele wir haben, desto schneller vergeht nach unserem subjektiven Empfinden die Zeit“, stellte die Professorin Ursula Staudinger der International University Bremen fest. Eine Berliner Altersstudie, die ältere Menschen von 70 bis zu 103 Jahren erfasste, belege zudem, dass das Zeitempfinden im sehr hohen Alter sich wieder ändere, es verlangsame sich.
„Es werden nicht mehr so viele Pläne verfolgt und die Orientierung ändert sich“, erläutert die Professorin dieses Ergebnis und fügt noch eine weitere Begründung hinzu. Diese Menschen sind durch körperliche Veränderungen und Beschwerden stärker beeinträchtigt und setzen sich intensiver mit dem eigenen Tod auseinander, führt sie aus. Gleichzeitig räumt sie mit einem bekannten Vorurteil auf, das älteren und alten Menschen nachsagt, sie seien der Vergangenheit verhaftet. „Alte Menschen leben nicht in der Vergangenheit, sondern intensiv im Jetzt“ stellt Ursula Staudinger fest.
Wer hat viel Zeit im Alter?
Die Forschung beschäftigt sich auch mit der Frage, ob und inwieweit ältere und alte Menschen der Meinung sind, im Alter über viel Zeit zu verfügen. Natürlich interessiert in diesem Zusammenhang auch die Frage, auf welche Personen oder Personengruppen dies zutrifft.
Professor Dr. Frieder Lang der Universität Erlangen Nürnberg gab im Rahmen einer Stiftungsdozentur an der Universität des Dritten Lebensalters (U3L) der Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt a. M. im Wintersemester 2009/2010 zu der Frage „Wer glaubt auch im Alter viel Zeit zu haben?“, einen kurzen Ausblick auf Ergebnisse der laufenden Forschung. Danach handelt es sich um
— Menschen, die (dem Alter entsprechend) gesund sind.
— Menschen, die mit ihrem Leben zufrieden sind.
— Menschen, die sich für das Wohl anderer einsetzen und die sozial gut integriert sind,
— Menschen, die sich in positiver Weise mit dem eigenen Altern auseinandersetzen und das eigene Alter annehmen.
Weitere Informationen finden Sie unter
http://www.u3l.uni-frankfurt.de/downloads/Lang_UnivFrankf_20100125.pdf