von Hildegard Neufeld
Eine Frage, die uns immer wieder beschäftigt, ist der Beginn des Alters. Wann werde ich als älterer Mensch zum ersten Mal mit meinem eigenen Alter konfrontiert, als „Alte“ oder „Alter“ bezeichnet, wann habe ich diesen Status erreicht?
Beginn des Alters
Es ist allgemein bekannt, dass das kalendarische Alter für die Bestimmung, wer zu den Alten gehört, wenig hilfreich ist, zu differenziert tritt das Alter in Erscheinung, zu unterschiedlich wird es erlebt. Und auch der Wandel des Alterserlebens und des Altersbildes im Laufe der Zeiten muss hier berücksichtigt werden.
Als beispielsweise Kant 50 Jahre alt wurde – es war im Jahre 1774 – wurde er in der Laudatio an der Universität Königsberg mit „ehrwürdiger Greis“ angeredet. Heute würde sicherlich kein 60-, 70- oder gar 80- und 90-Jähriger die Ehre dieser Anrede zu würdigen wissen, sondern eher die Bestätigung, dass er noch gar nicht alt aussehe, geschweige denn, sich als alter Mensch erweise.
„Man ist alt“, sagte einst ein bekannter Talkmaster, „wenn die Leute anfangen zu sagen, dass man jung aussähe“.
Selbsteinschätzung
Schon seit geraumer Zeit besteht gerontologisches Interesse daran, ab wann sich jemand selbst als alt einstuft. In einer Untersuchung zum Selbstbild älterer Menschen wurde einst eine Gruppe von 53- bis 88-Jährigen befragt, an wen sie denken, wenn man von alten Menschen spricht. Nur einer der Befragten nannte sich selbst, die anderen wiesen auf Familienmitglieder hin, die der vorhergehenden Generation angehört hatten und deren Sterbealter unter dem Alter der Interviewten lag.
Aus gerontologischer Sicht
„Wann ist man den eigentlich alt?“ wurde Dr. Frieder Lang, Professor an der Universität Erlangen-Nürnberg in einer Sendung des Bayerischen Rundfunks vom 23.06.2009 befragt.
„Das ist immer sehr abhängig davon, aus welchem Bereich man kommt“, lautete die Antwort. „In der Soziologie definieren wir das Alter ja immer eher an den gesellschaftlichen Rollen, in der Biologie machen wir das oft an körperlichen Gebrechen oder Funktionen fest oder vielleicht auch am Aussehen, also an Äußerlichkeiten. In der Psychologie ist das ein bisschen komplizierter, weil wir hier eben auch der Vielfältigkeit des Erlebens von Alter gerecht werden wollen“.
Wer ist alt?
Der Beginn des Alters wird ganz unterschiedlich definiert. Nach der Definition der Weltgesundheitsorganisation (WHO) gilt als alt, wer das 65. Lebensjahr vollendet hat. Aus sozialpädagogischer Sicht beginnt das Alter mit Beginn der (Alters)Rente. Aus wirtschaftlicher Sicht werden Arbeitnehmer bereits ab 40 Jahren als alt bezeichnet.
Eine Volksweisheit besagt: Man ist so alt, wie man sich fühlt.
Stimmt denn dieser Spruch, wurde Professor Lang gefragt. „Da steckt schon ein bisschen Wahrheit drin“, lautete die Antwort, „aber auch die ganze Zwiespältigkeit des Erlebens von Altern. Denn wenn man sich besonders jung fühlt, während man in Wirklichkeit doch viel älter ist, erlebt man ja eine Diskrepanz und grenzt sich damit von anderen älteren Menschen ab. Diese Abgrenzung ist dann möglicherweise auch wieder etwas, was das Alter wegschiebt. Vielleicht ist das ein Teil der Altersdiskriminierung, die wir oft beobachten können“.
Noch einmal jung sein?
Nach dem Ergebnis einer Studie an der Universität Erlangen-Nürnberg antworteten die 70-Jährigen und auch die 80-Jährigen im Rahmen einer Befragung, dass sie sich nicht wünschten, noch einmal ganz jung, also noch einmal 25 Jahre alt zu sein, denn das wäre für sie unvorstellbar. Sie wären einfach nur gerne ein bisschen jünger als sie sich fühlten.
Aber dieses „ein bisschen jünger als man sich fühlt“ zeigt ja schon, führte Professor Lang aus, dass man selbst mit dem gefühlten Alter nicht wirklich zufrieden ist. Denn man wäre gerne noch einmal ein paar Jahre jünger. Wenn man beispielsweise 70 Jahre alt ist und sich wie ein 60-Jähriger fühlt, dann wäre 50 Jahre alt zu sein ganz toll.
Das Alter hat mehrere Gesichter
Das eine Gesicht des Alters ist das, das zwischen 65 und 75 Jahren oft auftritt und bei dem man sehr häufig sagt: „Das ist doch kein Alter. Ich fühle mich noch jung! Alles ist gut!“ Das eigentliche Altern beginnt dann, wenn man mit den Verlusten, die das Alter auch mit sich bringt, so konfrontiert wird, dass man ihnen einfach nicht mehr aus dem Wege gehen kann, weil sie das Leben letztlich doch sehr stark einschränken.
Auch mit dieser Seite des Alterns beschäftigen sich die Gerontologen. Hier setzen sich die Wissenschaftler beispielsweise mit dem Problem des Gedächtnisverlustes auseinander und mit der Frage, was man tun kann, damit Gedächtnisverluste aufgehoben oder verzögert werden können.
Gewinne und Verluste
Das Alter ist also ein Lebensabschnitt, der Veränderungen und auch Verluste beinhaltet. Aber es gibt auch Gewinne. Und da das Alter einen immer längeren Lebensabschnitt einnimmt, besteht auch Gelegenheit zu kompensieren. „Es gehört zur Lebenskunst, aus jeder Zeit etwas für sich zu gewinnen“, sagte einst die ehemalige Treuhandchefin Birgit Breul.
Mit dem Älterwerden und Alter befasst man sich nicht erst in neuerer Zeit. „Älterwerden“, schrieb einst Johann Wolfgang von Goethe (und er meinte das Alter), „heißt selbst ein neues Geschäft antreten, alle Verhältnisse verändern sich, und man muss entweder zu handeln ganz aufhören oder mit Willen und Bewusstsein das neue Rollenfach übernehmen“ (aus Maximen und Reflexionen).
Mein Fazit
Vor mehr als zwei Jahrzehnten habe ich meinen selbst gewählten Ruhestand angetreten – voller Vorfreude auf die bevorstehende Freiheit mit eigener Lebensgestaltung. Vorurteile gegen das Alter und meinen Altersstatus hatte ich nicht. Ich wusste ja, dass ich nun zu den Alten zählte und habe mein Altsein so wie ich es erleben wollte, nämlich aktiv und positiv, vorbehaltlos akzeptiert.
Heute blicke ich voller Freude und Dankbarkeit auf zwanzig erfüllte Altersjahre zurück, die voller Erleben und Bewegung, mit Begegnungen, neuen Erkenntnissen und Erfahrungen wie im Fluge dahin eilten, und zudem immer wieder neue Aufgaben und Mitwirkungsmöglichkeiten bereithielten.
Rückwirkend sehe ich meine bisherigen Altersjahre als die schönste, interessanteste und teils auch erfolgreichste Zeit meines Lebens. Dieses Erleben hat mich so bereichert und gefestigt, dass ich meiner Zukunft (so ich sie denn noch vor mir habe) voller Vertrauen entgegen sehe.