von Wieland Haak
Es war die Wiederentdeckung einer Jugend, wie sie Theodor Storm im Gedicht „Die rauhe Stadt am Meer“ mit „Der Jugend Zauber für und für ruht lächelnd doch auf dir, auf dir“ formuliert hat.
Eine Wiederentdeckung
Ein Freund hatte auf einer Deutschlandreise Station im bescheidenen Örtchen Bad Lauchstädt Station gemacht und Prospekte von dort mitgebracht. Längst Vergessenes drängte sich ins Bewusstsein, und ein sicherer Griff in eine Literaturkladde aus der 8. Klasse von 1955 in einem Vorort von Leipzig wies auf den Ort mit dem Goethetheater hin. Ein guter Deutschlehrer hatte Bad Lauchstädt und das historische Theater als Teil einer Goethebiographie diktiert.
In diesen Ort, die Goethestadt Bad Lauchstädt mit dem Goethetheater, musste ich zurückkehren. Es galt eine Lücke zu schließen zu anderen Liebhaber-Theatern, dem Eckhof-Theater in Gotha, dem Markgräflichen Opernhaus in Bayreuth und dem kleinen Theater auf Schloss Kochberg bei Rudolstadt, dem Landsitz der Charlotte von Stein.
Bad Lauchstädt – der Ort und die Umgebung
Der Bademedikus D.G. Frenzel beschreibt 1768, das „klein Städtgen“ Lauchstädt liege zwischen lauter berühmten Städten: Merseburg, Weißenfels, Naumburg, Querfurt, Eisleben und Halle. Heute müsste man wegen der guten Autobahnverbindung auch Leipzig dazurechnen.
Mit der A 38 kommt man mit gleich drei Autobahnabfahrten in die Goethestadt. Viel flaches Land von der Goldenen Aue bis zur Leipziger Tieflandsbucht umgibt die Stadt, die in der DDR unter den Dreckschleudern der Buna- und Leunawerke gelitten hat. Jetzt ist die Luft sauber, und es wird restauriert und saniert.
Neuerdings macht Bad Lauchstädt als Ausgangsstation einer Starkstromtrasse nach Bayern von sich reden.
Die Kuranlagen
1700 wurde in Lauchstädt eine Mineralquelle entdeckt, die Professor Hoffmann, der Erfinder der Hoffmannstropfen, bekannt gemacht hat. Endgültig „aufgestiegen“ ist Lauchstädt als Bad, als der Dresdner Kurfürstliche Hof seine Sommerresidenz ins Schloss der Stadt verlegte. Nach und nach entstanden alle bis heute erhaltenen Gebäude,
- das Kurhaus als Fest- und Tanzsaal,
- die beiden quadratischen Pavillons, der Quell- und der Badepavillon,
- der Herzogspavillon als Casino.
Als neue Bestandteile der Lauchstädter Anlagen entstanden die Kolonnaden als Wandelgänge mit Krambuden, ein Parkteich und eine Kastanienallee. Der Park war nach den Regeln spätbarocker Gartenkunst angelegt, doch wiesen die gekrümmten, dem Lauf des Flusses Lauche angepassten Kolonnaden schon auf die Zeit der englischen Landschaftsgärten hin.
Das Goethetheater
Das heutige Theater in Bad Lauchstädt hat eine lange Vorgeschichte: „Schimps Scheune“ von 1761, die hölzerne Komödienbude von 1776, das 1785 errichtete Theater von Joseph Bellomo der Weimarischen Schauspielergesellschaft und schließlich die Errichtung des herzoglich-weimarischen Theaters in dem unter kursächsischer Verwaltung stehenden Stift Merseburg.
In der von Hallenser Studenten so genannten „Schafshütte“ spielte die Weimarer Schauspielgesellschaft gute Gewinne ein, gab es doch wegen des Theaterverbots im preußischen Halle reiches Theatervergnügen und Belustigungen in Bad Lauchstädt auf kursächsischem Gebiet.
Entscheidend für die Entwicklung des Theaters in Bad Lauchstädt war, dass Goethe als Leiter der Hoftheaterkommission die Möglichkeit sah, in Bad Lauchstädt die Stücke des Weimarischen Repertoires mit anderem Publikum zu erproben und zu verbessern. Deshalb ging er daran, die „Schafshütte“ durch einen Neubau zu ersetzen, obwohl der Grund und Boden dafür in Kursachsen, also im „Ausland“ lag.
Nach ermüdenden vier Jahren Hin und Her gelang es Goethe 1802, den Berliner Architekten Heinrich Gentz mit einem Theaterneubau zu beauftragen, was dann unter höchstem Zeitdruck geschah. Bis heute hat sich sein Entwurf erhalten:
- eine eingeschossige flache Eingangshalle,
- ein zweigeschossiger Zuschauerraum und
- ein dreigeschossiges Bühnenhaus.
Der Zuschauerraum
Der Zuschauerraum hatte damals lose Bänke ohne Lehnen, im Obergeschoss gab es 9 Logen mit 5 bis 7 Sesseln. Über dem Zuschauerraum wölbt sich eine zeltartig bemalte Leinwand, über der unmittelbar die Dachkonstruktion auflag, sodass früher manches Mal während der Vorstellung Gewitterregen auf das Zeltdach trommelte. Die Beleuchtung des Zuschauerraumes erfolgte durch moderne Zylinderlampen des französischen Physikers Argand, ist heute freilich elektrisch.
In der nur 2 m hohen Unterbühne hat sich eine bis heute einzigartige Bühnentechnik erhalten: Sieben Versenkungen können durch eine Verbindung von hölzernen Wellen, Seilen und Holzrollen bewegt werden. Eine Vorhangwalze wird durch das Körpergewicht eines Bühnenarbeiters bewegt.
Schon am 26. Juni 1802 wurde das Theater in Anwesenheit Goethes mit seinem Vorspiel „Was wir bringen“ und der anschließenden Mozart-Oper „Titus“ eingeweiht. Es gab riesigen Beifall, ein Fest im Kursaal und Illumination der Kuranlagen.
Badegäste und Theaterbesucher
Bad Lauchstädt galt bald als das Bad Pyrmont des niederen Adels, aber unsterblich berühmt gemacht hat den Ort bis heute das Theater. Im Sommer 1805 gab es 38 (!) Vorstellungen, vorzugsweise die Klassiker Shakespeare, Lessing und Schiller.
Wenn man durch den Ort läuft, zeigen Schilder an vielen Häusern, welche Geistesgrößen hier gewohnt haben. Die Philosophen Schelling und Hegel, die Dichter Eichendorff, Gottsched und Wieland gaben sich die Ehre.
Friedrich Schiller besuchte die beiden Schwestern Charlotte von Lengefeld und Caroline, verheiratete von Beulwitz, die in dem Modebad kurten. Bad Lauchstädt hält es sich zugute, dass Schiller sich hier verlobte, obwohl er sich nicht recht entscheiden konnte, welche der beiden Schwestern er gewinnen möchte und seinen Verlobungsbrief erst nach der Abreise abschickte.
Goethe hat Schiller nach seinem Tod 1805 mit einer Gedenkfeier im Theater geehrt. Berühmt sind seine Worte über Schiller: „Denn er war unser“.
Richard Wagner wollte als junger Dirigent in dem verschlafenen Ort nur einen Tag bleiben, verliebte sich aber blitzartig in die Schauspielerin Minna Planer und heiratete sie. Da war er entschiedener als Schiller.
Goethes Frau Christiane Vulpius fuhr oft nach Bad Lauchstädt, um vor allem „das Tanz-sowohl wie das Wasserbad zu gebrauchen“. Sie fühle sich hier frei vom höfischen Zwang in Weimar und frei von Herabsetzung. Sie hat mache Ballettschuhe durchtanzt, wie alle Reiseführer betonen. Außerdem war sie für Goethe eine gute Berichterstatterin über das gesellschaftliche Treiben in der Stadt. Seit 1811erinnert ein Bronzeabguss einer Büste am Parkteich an sie.
Niedergang
In folgenden Jahrzehnten wechselten Erfolge, schleichender Niedergang, Renovierungen und Wiederaufbau, was auch die wechselvolle Geschichte des Ortes widerspiegelt: Gehörte der Ort zuerst zum Herzogtum Sachsen-Merseburg – das bezeigt der Wappenstein an der Kirche –, fiel er dann an Kursachsen, nach dem Wiener Kongress an Preußen und schließlich an die Provinz Sachsen.
In der DDR waren die „Nationalen Forschungs- und Gedenkstätten“ für das Goethetheater und die Kuranlagen zuständig, heute gibt es die gemeinnützige Stiftung „Historische Kuranlagen und Goethe-Theater Bad Lauchstädt“.
Das Goethetheater Bad Lauchstädt – neu erlebt
Schulfreunde der Leipziger Schulzeit sind hinzugekommen, haben Park, Goethetheater und eine Aufführung des „Freischütz“ von C.M. v. Weber als
schönes Erlebnis und Erinnerung aufgenommen, dann auch den Ausklang im „Lindenhof“, von dem aus Goethe die Bauaufsicht für sein Theater führte.
Die barocke Kostümoper trug mit eingeschobenen Texten „gemäßigte“ Züge von Regietheater:
Der Jägerbursche Max verzweifelt an seinem Schicksal mit der Arie „Für welche Schuld muss ich bezahlen..“ Ein Schauspieler spricht vor dem Vorhang ein Gedicht von Bert Brecht und weitet so die Schuld eines Einzelnen ins Allgemein-Menschliche:
Ihr aber, wenn es so weit sein wird
Dass der Mensch dem Menschen ein Helfer ist
Gedenkt unser
Mit Nachsicht“
(Bert Brecht, An die Nachgeborenen)