von Lore Wagener
Anlass, mich mit diesem Bild zu beschäftigen, gab ein Interview der von mir sehr geschätzten Radiosendung „Figaro trifft.“ „Fünfhundert Jahre Sixtinische Madonna“ war das Thema.
Ein Radio-Interview
Gesprächspartner war der Direktor der Gemäldegalerie Alte Meister in Dresden, Professor Bernhard Maaz. Der Museumsdirektor sprach begeistert von dem Werk des Malers Raffael, das dieser in den Jahren 1512/1514 (also in der Epoche der Hochrenaissance) schuf. Das Kunstwerk war eine Auftragsarbeit für Papst Julius II., der es als Hochaltarbild der Klosterkirche San Sisto in Piacenza aus Anlass ihres Beitritts zum Kirchenstaat stiften wollte. Professor Maaz sagte, ihn fasziniere die unglaublich lakonische Komposition des Gemäldes und die subtile Regie, “eine Regie, die über die Engel zu den Heiligen, von den Heiligen zur Muttergottes und zum Christuskind hinführt und gesteigert wird und dann wieder abklingt in der Gloriole der Engel im Hintergrund.“
Die Sixtina
Unser Museumsdirektor steht mit seiner Meinung nicht allein. Auch viele Betrachter früherer Epochen haben so empfunden. 1875 schwärmte: schon die Brockhaus-Enzyklopädie „Schließlich steht die Madonna de San Sista als die Krone seiner (Raffaels) Madonnenbilder, ja der Malerei, da, die Jungfrau in ihrer höchsten Verklärung, als Königin des Himmels, von unaussprechlicher Schönheit und Hoheit der Erscheinung.“ „Sixtinisch“ oder Sixtina nannte man das Madonnenbild nach Papst Sixtus II., der in der Klosterkirche San Sisto begraben ist. Der Heilige ist auf Raffaels Gemälde auf der linken Seite zu sehen. Als Attribut seiner Würde liegt vor ihm auf der Brüstung ganz links die Papstkrone, die Tiara. Sixtus II. war von 257 bis 258 Bischof von Rom und ist als Märtyrer unter Kaiser Valerian gestorben.
Die Heilige Barbara
Auf der rechten Seite des Gemäldes kniet die heilige Barbara von Nikomedien, auch eine Schutzpatronin der Klosterkirche. Ihr Attribut ist der Turm, der ganz rechts am Bildrand zu erkennen ist. Er erzählt ihre Legende, die sich im 3. Jahrhundert n. Chr. in Kleinasien zugetragen haben soll – zur Zeit der Christenverfolgung unter Kaiser Decius. Der Turm zeigt ihr Gefängnis an. Ihr Vater hatte sie in einem Turm isoliert, um ihren Übertritt zum Christentum zu verhindern. Als es ihr dennoch gelang, sich taufen zu lassen, soll der Vater sie der Verfolgung ausgeliefert haben. Sie starb den Märtyrertod und wird nun als Heilige verehrt.
Zwischen Sixtus und Barbara steht auf einer höheren Stufe die Madonna mit dem Kind auf dem Arm. Sie wird von einem weit geöffneten Vorhang umrahmt, der die Sicht auf Wolken freigibt, die aber bei näherem Hinsehen Engelsköpfchen sind. Es ist, als dürfe der Betrachter durch den offenen Vorhang einen Blick auf die himmlischen Heerscharen werfen.
Das ernste Kind
Das Christuskind hat Raffael ungewöhnlich ernst dargestellt. Das kam auch in der Radiosendung zur Sprache. Professor Maaz erklärte, dass Raffael schon vor 500 Jahren die Situation realistisch gesehen habe: “Raffael malte schon vor 500 Jahren den Ernst der gewaltigen Augen von dem Kind, das ahnt, welche Aufgabe es hat, und diesen andächtigen Ernst der Mutter, die weiß, sie wird ihr Erstgeborenes verlieren.“ Die Entscheidung des Malers, gerade dies zu betonen und nicht die Lieblichkeit des Kindes und der Mutter– wie es damals üblich gewesen wäre -, mache das Bild so besonders.
Die Brückenbauer
Und dann malte der Künstler noch die beiden Engel am unteren Bildrand, die auf den ersten Blick nicht zu der heiligen Unterhaltung über ihnen passen, ungekämmt und gelangweilt, wie sie sind. Was wollte der Maler uns denn damit sagen, fragt man sich. Herr Professor Maaz hat seine Theorie, dass der Maler uns Menschen damit eine Brücke bauen wollte. Das Bild sei ja ursprünglich ein Altarbild gewesen. Man müsse sich vorstellen, dass die Gläubigen vor dem Altartisch stünden und von unten auf das Bild schauten. Dann würde ihr Blick zuerst auf die Engel fallen, die dann mit ihren Blicken eine Brücke zu den Heiligen bauten und die Heiligen wiederum zur Muttergottes. Diese gestaffelte Regie fände er faszinierend. Zudem seien die Engel in der Kirche der Gemeinde, also den Menschen, zugewandt gewesen und in ihrer ungekämmten Art ganz schön menschlich. Die Brechung, die der Maler damit in sein Bild gebracht habe, sei kühn und eigentlich modern. Das sei typisch für Raffael gewesen. Der habe sich „was getraut“ und das mache ihn so interessant.
Sind es Raffaels Engel?
Aber ist Raffael wirklich der Urheber dieser Engel? 1983 wurde die Sixtina mit Röntgenstrahlen untersucht. Dabei wurde sichtbar, dass die Engel erst im Nachhinein auf die schon fertigen Wolken aufgemalt wurden. Aber es war nicht mehr festzustellen, ob dies durch Raffael selbst oder einen anderen Meister geschah.
Aber die geflügelten Schelme wurden selbständig und als separates Motiv berühmt. Ihr Eigenleben begann im Jahre 1803, als sie von dem Maler August von der Embde erstmals separat kopiert wurden. Durch die Separierung hat ihr Blick allerdings keinen Bezugspunkt mehr, und sie schauen unbestimmt in den Himmel. Das hinderte die Kunst- und die Kitschindustrie nicht daran, das Engel-Motiv auf alle erdenklichen Gegenstände zu kopieren, millionenfach in der Werbewirtschaft einzusetzen oder als Poster oder Postkarte zu verkaufen. Und so traten die Engelchen ihren eigenen globalen Siegeszug an. Fast jeder kennt sie heute, auch wenn er nichts über das Originalbild weiß.
Der Sensationskauf
Dass die Sixtinische Madonna aus der lombardischen Klosterkirche nach Dresden gekommen ist, das ist dem italienischen Kunsthändler Battista Bianconi zuzuschreiben, der unter anderem für den sächsischen Hof tätig war. 1752 erfuhr er, dass die Mönche von Piacenza in Geldnot waren. Andererseits wusste er auch, dass der Kurfürst August III. von Sachsen an einer repräsentativen Aufstockung seines Kunstkabinetts sehr interessiert war. So nahm Bianconi mit den Mönchen Kontakt auf. Die Bruderschaft verlangte aber die enorme Summe von 36 000 Scudi. Der sächsische Hof fing also an, zu verhandeln. Nach zwei Jahren einigte man sich auf 25 000 Scudi plus Ausfuhrsteuer, Zoll und anderen Kosten. Eine sensationelle Summe! Für einen vergleichbaren Preis könnte man heute vielleicht einen Warhol ersteigern. Die Überführung der teuren Fracht über die vereisten Alpenpässe war sicher eine weitere Herausforderung. Fünf Wochen dauerte der Transport, dann konnte der Kurfürst in Dresden seinen Sensationskauf feierlich in Empfang nehmen.
Beutekunst
Die Sixtina könnte noch mehr Geschichten erzählen: Wie es ihr im Siebenjährigen Krieg in der Festung Königstein erging oder, was im Zweiten Weltkrieg passierte, als sie in einem Eisenbahntunnel bei Pirna lag. Auch ihre Beschlagnahme 1945 als Beutekunst und ihr Transport nach Moskau böten Stoff. Und was sie in Moskau erlebte, als sie für 10 Jahre im Archiv verschwand. Dann gab es 1955 von Mai bis Juli die große Ausstellung im Moskauer Puschkin-Museum, – ein Highlight für die Sowjetbürger mit 1,2 Millionen Besuchern. Danach kam endlich aus Moskau grünes Licht für die Rückführung in die DDR. Herr Professor Maaz meinte zu dieser langen Historie, dass sie die Aura der Sixtina zweifellos erhöht habe. Vielleicht habe dazu auch noch die spektakuläre Bewachung im Puschkin-Museum beigetragen, wo sie während der großen Ausstellung von zwei Kalaschnikow-bewehrten Soldaten bewacht wurde. Aber auch wenn man diese Äußerlichkeiten wegdenkt, bleibe die Sixtinische Madonna „ ein wundervolles Bild von tiefer Menschlichkeit“.
Links
MDR „Figaro trifft“ Prof. Maaz
Ein Video über die Dresdener Sonderausstellung
Zeit-Online „Ein Bild von einer Frau“
Reportage über das Puschkin-Museum
Wissen.de Raffael, Biografie
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