Selbstversuche „Kunst“

von Uwe Bartholl

Da ist er wieder, dieser göttergleiche Funke, der den Schaffenden durchzuckt, wenn Gestaltendes gelingt. Sei es am Schreibtisch, an der Staffelei oder in der Töpferwerkstatt. Vier Berichte über das, was der Funke entzündet.

Schreiben Liane Rohn

Wie Otto Dix einmal äußerte, er habe schon immer malen können, würde ich aus eigener Erfahrung beipflichtend ergänzen, Talent kann man nicht erlernen. Es erkennen, ausprobieren, feststellen, wie weit es mich führen kann, steht am Anfang künstlerischen Schaffens. Reichen geistige und in meinem persönlichen Falle poetische Potenziale aus, um in Gedichten und Prosa Gefühltes, Erlebtes und Fantastisches “buchstäblich” ausdrücken zu können?
Der Vorrat meines heutigen Fundus wurde schon früh angelegt. Heranwagen an die Literatur bekannter und weniger populärer Dichter und Denker und das Glück haben, interessante Menschen kennenzulernen, die mich in sehr jungen Jahren Horizonte entdecken und erweitern ließen, mir zur und über die Reifezeit halfen, um mich im Alter beileibe nicht nur vom Bestand zehren zu lassen.
Lebenserfahrungen, Wendepunkte und immer wieder neue Orientierungen verändern auch in der Kunst des Schreibens Stil und Ausdrucksvermögen. Wandlungen im Verlauf eines lang gelebten Daseins können zu Ausdrucksbrüchen führen, die einen selbst überraschen oder andere erschrecken oder im besten Falle zu bewundern sind.

Töpfern Uwe Bartholl

Kochkunst
Ich spiele leider kein Instrument, aber wenn ich koche, dann sind Zutaten, Gewürze und Wissen meine Noten. Das tägliche Kochen ist meine Übung, Menus zu komponieren und Gäste bewirten meine Kür. Ich liebe dabei die handwerklichen Tätigkeiten genau so wie das Arrangieren auf Tisch und Tellern.
Wenn ich dann dazu meine selbst hergestellten Gefäße benutze, dann lebt er wieder auf der Moment des Staunens über das, was Kreativität dem Lebensglück hinzufügt.

Kunsthandwerk

In den späten 1970-iger Jahren verfiel ich der Faszination zu töpfern. Auf der Suche nach sich selbst und eigenen kreativen Fähigkeiten vermittelten Volkshochschulen aller Orten Grundkenntnisse. Das Töpferfieber war fast so etwas wie eine Bewegung. Es bescherte dem Handwerk eine letzte große Blüte, denn dem Interesse an Erzeugnissen aus renommierten Werkstätten war damit ein fruchtbarer Boden bereitet. Museen zeigten in Sonderausstellungen, was Avantgarde und Tradition im keramischen Schaffen hervorbringen und hervorbrachten. Namen wie Lotte Reimers, Horst Kerstan, Harald Jogodzienski, Fritz Vehring sind einige, die mit Ihren Arbeiten den hohen Standard künstlerischer Objekte markierten.

Lehrjahre

Mein Entschluss war gefasst. Soviel wie möglich wollte ich das Handwerk erlernen, um so Freiheit zur Gestaltung zu gewinnen. Ich machte mich auf zu Workshops im In- und Ausland, besuchte Sommerakademien, und arbeitete in den Sommerferien in Werkstätten.
Ich studierte einschlägige Literatur und arbeitete in meiner nun eingerichteten Werkstatt, was die Zeit neben dem beruflichen Engagement hergab. Ich war dem Ton verfallen und dachte ernsthaft über einen Berufswechsel nach. Soweit kam es nicht, aber die Keramikgruppe 80 in Stade, die ich mitgründete, war in der Region beachtet. Unsere Ausstellungen im Schwedenspeicher waren unsere Erfolge, unsere veranstalteten Workshops mit namhaften Keramikkünstlern brachten uns Anerkennung ein.

Aus eigener Werkstatt

Frontansicht, Höhe 30 cm

Ich blieb bei gebauter Keramik hängen und stellte die Töpferscheibe in die Ecke, was sie eigentlich nicht verdient hat. Sie vermittelte mir die Grundeinsicht in dieses Handwerk. Man(n) muss es erlebt haben, den Batzen Ton auf der Scheibe, das Zentrieren und dann das formgebende Hochziehen. Die gebaute Keramik entsprach jedoch mehr meinem Gestaltungswillen und passte besser zu meinem Zeitkontingent.

Draufsicht

Der Formgebungsprozess ist in der Keramik das Eine, die Glasur das Andere. Ich stellte meine Glasuren selber her dank des Wissens, das ich bei den unvergessenen Workshops mit Gustav Weiß in Berlin und anderswo erwarb. Durch Asche als Basis der Glasuren, die ich hauptsächlich verwendete, schränkte ich mich in der Farbgebung sehr ein. Doch Ton als erdiges Material, Asche und farbgebende Mineralien das passte zusammen. Ich suchte das Besondere im Einfachen.

Fazit

Mit einer großen Fete löste ich meine Werkstatt nach 20 Jahren auf. Ich hatte mein 70. Lebensjahr erreicht und wollte mich aus voller Schaffenskraft heraus freimachen für den Weg ins Alter. Geblieben ist die Freude an Keramik, eigener und fremder. Ich finde immer Stücke, die mich fesseln, deren Erscheinung sehr viel mehr erzählen als von Form und Funktion. Das Wissen um die Herstellung, das Zusammenspiel von Gestaltungsabsicht, Erde und Feuer im Brennofen und die daraus resultierenden Möglichkeiten erschließt eine tiefe Erlebnisskala. Sehr oft ist es das Ergebnis von Leidenschaft oder auch Demut gegenüber dem gesamten Schaffensprozess. Diesen behutsam so zu lenken und zu begleiten, dass die Intuition jederzeit eine Chance zur Verwirklichung hat, das macht den künstlerischen Werdegang auch einer Keramik aus. Es ist das Erstaunen vor dem Ergebnis, in dem das nicht Planbare sich ereignet hat und zur Individualität führt.

Anwendung

Soweit mein Selbstversuch. Schon immer war ich an Kunst interessiert. Erst das eigene Tun in der Nähe von Kunst, die Begegnung und gemeinsame Arbeit mit Keramikkünstlern, hat mir Wege gezeigt, die zum tieferen Erlebnis von auch anderen Kunstgattungen führten. Ich lernte Fragen an das Objekt zu stellen und mir so eine Spur zum Verständnis zu legen. Wunderbar, wie heute die Museen ihre Schauen mit Informationen zu Lernwerkstätten machen, wie Theaterleute ihre befremdliche Inszenierung erläutern, wie in Konzerte eingeführt wird. Zu tun bleibt, das für mich Wesentliche zu entdecken, damit Kunst zur Begegnung wird.

Harald Jegodzienski

Fritz Vehring
Keramikmuseum Westerwald


Hetjens-Museum Düsseldorf

Malen Erdmute Dietmann-Beckert

Im Kindergarten wurde nicht gemalt. Vielleicht gab es dafür kein Material. Aber als ich für die Schule einen Malkasten als Geschenk erhielt, begann ich davon zu träumen, eine Malerin zu werden.
In der Schulzeit wurde mit Farben und Strukturen experimentiert. So haben wir auch Stempel aus rohen Kartoffeln hergestellt. Oder es wurden Schriften ausprobiert. Das fand ich aber auf die Dauer nicht so prickelnd. Deshalb habe ich mich wieder in meiner Freizeit mit Bildern in Wasserfarbe beschäftigt. Diese „Kreationen“ habe ich als Geschenk meinen Eltern oder anderen Erwachsenen präsentiert. Eine „hügelige Landschaft“ habe ich später auf dem Dachboden gefunden, eingerahmt und aufgehängt, als eine Erinnerung an die nicht weiterverfolgte „Künstlerkarriere“.
In der Lehrerausbildung gehörte das Fach Kunsterziehung zum Fächerkanon. Zu gegebenen Themen mussten Bilder gemalt werden, die auch benotet wurden. In meiner Schulpraxis habe ich jedoch nie Kunst unterrichtet, mein Schwerpunkt waren Sprachen.
Mit großer Begeisterung bin ich zu den unterschiedlichsten Kunstausstellungen in Basel, Tübingen, Frankfurt am Main, Berlin gefahren. Letzten Sommer in Nürnberg: Der Frühe Dürer. Ich war Kunstkonsumentin geworden.
Als eines Tages in einer Rehaklinik Malerei als Freizeit-Therapie angeboten wurde, habe ich wieder den Malkasten hervorgeholt. Unter Anleitung einer Malerin habe ich mich an Blumen probiert. Die „Sonnenblumen“ waren meiner Meinung nach am besten gelungen. Ich habe sie an einer meiner Wohnungswände aufgehängt, trotz Van Gogh.

Schreiben Horst Glameyer

Meine Mutter war eine Erzählerin. Ohne sie hätte ich nichts über die Kindheit und Jugend meiner Eltern erfahren, die natürlich sehr unterschiedlich verlief. Mein Vater war der Sohn eines Landwirts in Niedersachsen, meine Mutter die Tochter eines Bäckermeisters und Gastwirts in Schleswig-Holstein. Sie erzählte lebendig und schilderte ihre und die Erlebnisse meines Vaters anekdotisch in Form kleiner Geschichten, die sehr anschaulich waren und sich mir einprägten.
Schon als Schuljunge las ich manches Buch zweimal, wenn es so spannend war, dass ich es in einem Rutsch durchlas. Dann fragte ich mich, wie gelang es dem Autor, eine solche Spannung zu erzeugen. Das ist keineswegs Hexerei oder unnachahmliche Kunst, sondern schlichtes Handwerk, das man erlernen kann. In meiner Schulzeit wurde uns jede Woche eine Lesemappe mit mehreren Zeitschriften ins Haus geliefert. Sie enthielten Fortsetzungsromane. Immer wenn sie am spannendsten waren, brachen sie ab: Fortsetzung folgt. Das war eine Methode, den Leser auf die Folter zu spannen. So wollte ich auch schreiben können.
Im 18. Jahrhundert frönte man dem Geniekult und glaubte, nur wen die Muse küsste, der besäße dichterische Fähigkeiten. Man hielt es für undenkbar, man könne literarisches Schreiben (Romane, Novellen, Kurzgeschichten) erlernen. Auch heute hängen hierzulande noch manche Leser und Leserinnen dieser Vorstellung an, obwohl es schon seit Langem Seminare, Schreibwerkstätten und Fernkurse gibt, in denen literarisches Schreiben gelehrt wird. Was man jedoch nicht erlernen kann, ist die Erfindungsgabe, die Fantasie, die man braucht, um sich eine Geschichte auszudenken.
So begann ich, kleine Geschichten zu schreiben, die meiner Mutter gefielen und mich anspornten, meiner Fantasie freien Lauf zu lassen. Einerlei, ob es sich um Erlebnisse oder Erdachtes handelt, der Leser muss es für glaubwürdig, d. h. für denkbar halten.
Als ich mit 12 Jahren nach dem frühen Tod meiner Eltern auf eigenen Wunsch in ein Waisenhaus kam, durfte ich abends vor dem Einschlafen meinen Kameraden im Schlafsaal noch eine Weile Fortsetzungsgeschichten erzählen, die ich mir ausdachte, um sie zu unterhalten. Das war eine gute Übung; denn ich erfuhr sehr rasch, ob die Geschichten meinen Zuhörern gefielen.
Sobald man selbst etwas erzählt oder niederschreibt, interessiert man sich dafür, wie es andere machen oder gemacht haben. Hauptsächlich möchte man herausfinden, auf welche Weise ein gut lesbarer literarischer Text gestaltet wurde. Natürlich sollte niemand auf den Gedanken kommen, heute im Stil Goethes, Schillers oder anderer großer Meister zu schreiben, er würde sich lächerlich machen. Dennoch kann man sehr viel von ihnen lernen.
Geschichten zu schreiben, etwas zu gestalten, bereitet Freude und Befriedigung. Es muss nicht gleich ein großes Kunstwerk daraus entstehen. Als Leser möchte man in erster Linie gut unterhalten werden. Schon diesen Wunsch zu erfüllen, ist keineswegs leicht.