von Anne Pöttgen
Das Schifflein fliegt, der Webstuhl kracht,
Wir weben emsig Tag und Nacht –
Altdeutschland, wir weben dein Leichentuch,
Wir weben hinein den dreifachen Fluch –
Wir weben, wir weben!
Die Lage in Schlesien
Schon früh bestand in Schlesien ein Gegensatz zwischen den zünftigen Webern und den Hörigen, für die die Leineweberei ein Nebenerwerb war. Leider war die Ware, die sie produzierten nicht die beste. Sie waren als Hörige verpflichtet, für ihren Grundherrn zu arbeiten, im Sommer bei der Ernte, im Herbst in der Holzwirtschaft: Raue Hände wirken ein kein feines Tuch und entsprechend gering war die Entlohnung. Diese Weber lebten in den Tälern des Eulengebirges und brachten ihre Erzeugnisse zu den Fabrikanten im Bereich des Städtchens Reichenbach, die die Ware weiter verkauften.
Die schlesische Textilindustrie nahm zunächst einen Aufstieg durch die vielen fleißigen Weber, aber die Ware, die aus der industriellen Fertigung in England kam, wurde billiger und billiger. Außerdem begann der Siegeszug der Baumwolle. Der Konkurrenzdruck war groß und wie immer waren die letzten in der Produktionskette die Dummen. Immer wieder wurde der Lohn gedrückt, so dass viele Familien trotz der Mitarbeit ihrer Kinder das tägliche Brot nicht erarbeiten konnten.
Der Aufstand vom 4. bis zum 6. Juni 1844
Es handelte sich nicht um eine Verabredung von einzelnen Aufrührern zu einem Aufstand, er entstand einfach.
Am Abend des 3. Juni 1844 versammeln sich in Peterswaldau etwa 20 Leineweber und singen das neu entstandene Lied Das Blutgericht. vor dem Haus des Fabrikanten Zwanziger. Sie werden von Zwanzigers Leuten aus der benachbarten Fabrik angegriffen, einer von ihnen wird der Ortspolizei übergeben und verhaftet. Am nächsten Tag wollen die Weber den Verhafteten befreien und von Zwanziger Lohnerhöhung fordern.
Am 4. Juni beginnt die Eskalation. Arbeiter auch aus umliegenden Weberdörfern kommen zusammen; ihr Kollege wird nicht freigelassen und ihre Löhne werden nicht erhöht.
Am Abend des 5. Juni ist die Fabrik Zwanziger vollkommen zerstört, weitere Fabriken angegriffen und demoliert. Das Militär greift ein. Die aufgebrachte Menge ist auf 20.000 Menschen angewachsen. Die Weber werfen Steine, das Militär schießt. Es gibt Tote und schwer Verletzte.
Am 6. Juni trifft militärische Verstärkung ein, zahlreiche Weber werden verhaftet.
80 Aufrührer werden angeklagt und zu harten Strafen verurteilt.
Gerhart Hauptmanns „Weber“
Fünfzig Jahre nach dem Weberaufstand, 1894, wurde das Drama „ Die Weber“ in Berlin am Deutschen Theater uraufgeführt. 1893 war eine Aufführung des Vereins Freie Bühne des Neuen Theaters am Schiffbauerdamm voran gegangen. Die Aufführung wurde als „geschlossene Veranstaltung für Vereinsmitglieder“ bezeichnet und entging so der Zensur. Diese hatte 1892 die Aufführung verboten. Nach der Aufführung 1894 kündigte Kaiser Wilhelm II. wegen der „demoralisierenden Tendenz“ des Stückes seine Loge im Deutschen Theater.
Auch in den neunziger Jahren lebte die Arbeiterschaft, zumal in Berlin, in menschenunwürdigen Verhältnissen. Der ausbedungene Tageslohn galt für 12 Stunden Arbeit. Beschäftigt wurden die Arbeiter je nach dem Vorliegen von Aufträgen. Die Wohnverhältnisse waren erbärmlich, ein Zimmer als Küche, Wohn- und Schlafraum. Verständlich, dass die Obrigkeit fürchtete, die vorangegangenen Arbeiteraufstände könnten Nachfolger finden. Schließlich hatten die Weber gesungen:
Drum lass am Samstag backen
Das Brot fein säuberlich –
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!
Die Presse
Obwohl der Aufstand nach wenigen Tagen zusammenbrach, fand er in der Presse gewaltige Beachtung. Je weiter die Zeitung vom Ort des Geschehens entfernt heraus gegeben wurde, umso sachlicher war die Darstellung.
Eine der Zeitungen in Schlesien ging so weit, die Weber als faul und arbeitsscheu darzustellen, sie würden die geregelte Arbeit auf den Feldern oder beim Straßenbau scheuen, sondern lieber nach Lust und Laune arbeiten.
An anderer Stelle wurde berichtet, dass in den Tälern des Eulengebirges, ein dem Riesengebirge nach Osten vorgelagerter Bergzug, mehr als 50.000 Menschen in äußerster Not lebten.
Es werden auch die Vorwürfe erwähnt, die man der Presse macht, dass sie nämlich „dem stummen und so lange geduldeten Elende Sprache gegeben und den Menschen über ihr Unglück Aufklärung verschafft haben.“
Heines Gedicht, Das Weberlied, wurde im Gebiet des Aufstands auf Flugblättern verteilt. Es wurde am 10. Juni 1844 im „Vorwärts“, einer Exilzeitschrift, veröffentlicht.
Weberlieder
Das Weberlied von Heinrich Heine findet man im Internet in den verschiedensten Formen. Bei YouTube als Lied, aufgenommen von der Gruppe Liederjahn, begleitet von Zeichnungen von Käthe Kollwitz oder rezitiert von Fritz Stavenhagen. Natürlich auch als Text. Bei YouTube kann man auch das Lied hören, das die empörten Weber vor den Häusern der Fabrikanten sangen: Das Blutgericht. „Aus dem schlesischen Gebirge“ heißt ein Gedicht von Ferdinand Freiligrath Ein Junge aus einer Leineweberfamilie versucht, Rübezahl zu Hilfe zu rufen und schildert ihm das Elend, in dem die Familie mit ihren vielen Kindern lebt.
Die Fabrikanten
Im Zusammenhang mit dem Weberaufstand von Juni 1844 werden die Firmen benannt, gegen die sich der Zorn der Arbeiter richtete. Die Fabrikgebäude der Firma Zwanziger wurden total zerstört; die Büros wurden geplündert, so dass auch Rechnungen und Zahlungsbelege verschwunden waren. Der Schaden der Gläubiger soll ½ Million Taler betragen haben. Die Firma Zwanziger war erst vor 30 Jahren gegründet worden, ihrem Gründer wurde nachgesagt, dass er bettelarm gestartet war und sein Vermögen auf dem Hunger seiner Arbeiter gegründet hatte.
Eine weitere Textilfabrikation war die Firma Dierig, gegründet 1805, deren eigene Arbeiter die Werkshallen gegen die Aufständischen verteidigten. Aber auch diese Firma wurde so ruiniert, dass ihr Besitzer aufgab. Erst die nächste Generation baute wieder auf und zwar so erfolgreich, dass die Firma Dierig Holding AG mit ihren Tochterfirmen heute einen Umsatz von mehr als 70 Millionen erwirtschaftet. Sie ist 1945 von Langenbielau in Schlesien nach Augsburg umgezogen. Die Häuser der Fabrikanten sind heute die Rathäuser in Peterswaldau und Langenbielau.
Die Bewertung von Karl Marx
Karl Marx nahm am 6. Juli 1844 in der Pariser Zeitschrift „Vorwärts!“ eine Bewertung des Weberaufstandes vor. Natürlich unter seinem eigenen Blickwinkel.
„Der schlesische Aufstand beginnt gerade damit, womit die französischen und englischen Arbeiter-Aufstände enden, mit dem Bewußtsein über das Wesen des Proletariats. Die Aktion selbst trägt diesen überlegenen Charakter. Nicht nur die Maschinen, diese Rivalen des Arbeiters, werden zerstört, sondern auch die Kaufmannsbücher, die Titel des Eigentums. Und während alle anderen Bewegungen sich zunächst nur gegen den Industrieherrn, den sichtbaren Feind, kehren, kehrt sich diese Bewegung zugleich gegen den Bankier, den versteckten Feind.“
Von den prekären Arbeitsverhältnissen der heutigen Zeit und dem gar nicht mehr versteckten Feind, der Finanzwelt, konnte Marx nur etwas ahnen. Ebenso wie vom inzwischen geknüpften sozialen Netz.
Links
Die Orte Peterswaldau und Langenbielau (deutsche Bezeichnungen) heute
Verurteilungen
Inhaltsangabe Hauptmann
Podcast zu „Die Weber“