Von Eleonore Zorn
Die Gesellschaft meint oft zu wissen, wer zu wem am besten passt; so war es schon zu Zeiten Goethes in Weimar. Eine tolerantere Sicht auf seine unkonventionelle Partnerwahl hätte er sich von seinen Zeitgenossen in Weimar gewünscht, als er sich ausgerechnet in ein Mädchen aus dem Volke verliebte. Aber ist diese Wahl so erstaunlich?
Die Eigenschaften
Geist, Bildung, ein Amt, Sensibilität, ja auch eine gewisse Labilität hatte er doch selber. Warum sollte er danach suchen? Er brauchte jemanden, der mit beiden Beinen im Leben stand, zupacken konnte, sich nicht von jedem Windhauch umpusten ließ, einem Hauswesen vorstehen konnte und dabei lebensfroh war und selbstbewusst genug, neben ihm zu bestehen. Dazu gehörte eine gute Portion praktischer Vernunft und ein Mindestmaß an Bildung. Das alles hatte Christiane Vulpius – und dazu noch eine frische und anmutige Erscheinung.
Die ignoranten Zeitgenossen
Die Zeitgenossen der beiden konnten nicht verstehen, dass Christiane genau die Frau war, die der Dichter zu seiner Ergänzung brauchte. Goethe selbst hatte daran nie ernsthafte Zweifel und stand immer zu seinem „Naturwesen“, seiner „Kleinen“ (sie war 16 Jahre jünger als er). Schon lange vor seiner Eheschließung nannte er sie z.B. in Briefen an seinen Freund Zelter in Berlin sowie an Herder in Weimar „meine Frau“.
„Ich ging im Wald so für mich hin ….“
Am 12. Juli 1788 hatte sich die Schwester des Gelegenheitsdichters Christian August Vulpius mit einem Bittschreiben ihres Bruders auf den Weg gemacht. Sie ging der Ilm entlang zum Gartenhaus des Herzogs, in dem Goethe damals wohnte. Der Dichter und Freund des jungen Herzogs Carl August kannte August Vulpius schon, seit dieser ihm wegen seiner schriftstellerischen Begabung bei Hofe vorgestellt worden war.
Um seinen Vater und seine drei Geschwister finanziell zu unterstützen, arbeitete der junge Vulpius zu jener Zeit als Sekretär bei einem Baron in Nürnberg. Er sollte wegen eines billigeren Schreibers von seinem Dienstherrn entlassen werden und hoffte auf eine Stellung am Hof von Weimar.
Die 23-jährige Christiane scheint durch ihre Natürlichkeit sofort alle Sinne des inzwischen fast vierzigjährigen Dichters Goethe angesprochen zu haben. Gerade war er von seinem anderthalbjährigen Aufenthalt in Italien als ein Verwandelter zurückgekommen und noch etwas fremd in der Weimarer Hofgesellschaft, die ihm seine heimliche Abreise nach Italien noch immer übel nahm. Unter dem Himmel Italiens hatte Goethe seine Sinnenfreude entdeckt und im Umgang mit einer gewissen Faustina war er „zum Manne geworden“, wie er es in einem Brief an Herzog Karl August formulierte.
Ende der Freundschaft mit Frau von Stein
Die langjährige Seelenfreundschaft mit der sieben Jahre älteren und verheirateten Frau von Stein genügte ihm nun nicht mehr. Ihr Ideal der Vollkommenheit, die platonische Liebe, mochte er nicht mehr teilen und so ging diese Liebe zu Ende, die für seine Entwicklung bedeutend gewesen war.
Das Gartenhaus an der Ilm und der Haushalt am Frauenplan
Goethe und Christiane lebten vom Tage ihrer ersten Begegnung bis zu ihrem Tode im Jahre 1816 als Mann und Frau zusammen. Zuerst war sie seine Geliebte (sein Bettschatz, wie seine liebevolle und großzügige Mutter in Frankfurt zu sagen pflegte). Erst ab Oktober 1806 wurde sie seine angetraute Ehefrau. Immer jedoch war sie seine unentbehrliche Gefährtin, die ihm den Rücken frei hielt von den Geschäften des Alltags, indem sie rührig und umsichtig den großen Haushalt mit den vielen Bediensteten sowie den ständigen Hausgästen führte. Goethe hatte zu ihrer Unterstützung eine ihrer Schwestern und eine Tante mit in den Hausstand am Frauenplan aufgenommen. Es gab nämlich keinen Tag, an dem nicht ein berühmter Zeitgenosse, ein Student oder Angehöriger des Hofes am Mittagstisch im Haus am Frauenplan zu Gast war. Auch Abendgesellschaften gab es häufig. Christiane bewirtete sie alle – und zog sich dann meist zurück.
Sie gebar ihm insgesamt fünf Kinder. Nur der Erstgeborene, August, blieb am Leben und war die größte Freude und der Stolz seiner Eltern.
Christiane, gebildet und berufstätig
Christiane Vulpius war keineswegs eine ungebildete Person, sie konnte lesen und schreiben, was damals eher die Ausnahme war, da es noch keine Schulpflicht gab. Sie war vor ihrer Begegnung mit Goethe außerdem (aus Not) eine der wenigen berufstätigen Frauen in Weimar, denn sie arbeitete (um den verwitweten Vater zu unterstützen) als Blumenmacherin in der Seidenblumen-Manufaktur Bertuch.
Die umsichtige Hausfrau
Den Haushaltsbüchern ist zu entnehmen, dass sowohl Goethe als auch seine Liebste gerne und nicht gerade wenig Wein getrunken und dass beide gern und gut gegessen haben. Durch jährliche Kuraufenthalte in Marienbad und Bad Lauchstädt versuchten sie, gegen die Folgen anzukämpfen.
Christiane, eine emanzipierte Frau
Für die damalige Zeit war Christiane Vulpius eine sehr emanzipierte Frau, die sich zeitlebens das Recht herausnahm, alleine zum Tanzen und ins Theater zu gehen. Goethe billigte und unterstützte diese Alleingänge und genoss es, wenn sie detailreich davon berichtete. Sie hatte einen hellen, wachen Verstand, eine anschauliche Art zu sprechen und zu schreiben und eine fröhliche, optimistische Wesensart, die den oft melancholischen Dichter aufheiterte. Dass er sie zu schätzen wusste, gibt ein Ausspruch wider, den er gegenüber der Schriftstellerin Friederike Bruns am 12. Juli 1795 in Karlsbad äußerte: „Sie ist ein Wesen, das Gleichheit der Denkart und Handlungsweise mir lieb gemacht haben“.
Das Umfeld in Weimar
Den Zeitgenossen waren die besten Eigenschaften Christianes leider nicht bekannt, da sie ja die Briefe des Paares, im Gegensatz zu den heutigen Lesern nicht kannten und nur die „Haushälterin“ Christiane wahrnahmen. In der Öffentlichkeit kannte man nur ihre Ausfahrten zu den öffentlichen Tanzveranstaltungen und ihre Anwesenheit im Theater. Christiane war, da lange nicht offizielle Ehefrau des Dichters, bei Hofe nicht geladen. Anfangs schlugen die Damen des Hofes auch Einladungen an den Frauenplan ab, was zur Unkenntnis über sie beitrug. Der Freund und oberste Dienstherr Goethes, Herzog Carl August von Sachsen-Weimar, fand für sich einen Ausweg, indem er öfter unangemeldet bei der kleinen „unheiligen Familie“ erschien und sich selbst ein Bild von Christianes Vorzügen machen konnte.
Stütze des Theaterdirektors in Weimar und Bad Lauchstädt
Goethe war Theaterdirektor des Hoftheaters und hier waren er und seine Liebste ein unschlagbares Team. Die Schauspieler, damals nicht gut ausgebildet, nahm Goethe streng in die Zucht, was zu Missverständnissen und Intrigen führte. Christiane hatte ein Gespür für die Nöte der schlecht bezahlten und von Sorgen geplagten Schauspieler und vermittelte zwischen ihnen und Goethe, indem sie die Darsteller häufig nach Hause einlud. Da sie eine überaus eifrige und kenntnisreiche Theaterbesucherin war, konnte sie sich auch ein Urteil über die Stücke und die Fähigkeiten der Schauspieler erlauben. Selbst bei der Jagemann, der Geliebten des Herzogs, tat sie dies freimütig. Christiane berichtete Goethe jeweils über die Reaktion des Publikums, die Leistung der Darsteller, die Höhe der Einnahmen. Das Theater bekam keine Subventionen, sondern erhielt sich eigenständig durch den Verkauf der Karten. So kam es, dass Werke von Kotzebue und das Drama „Rinaldo Rinaldini“ häufiger auf dem Spielplan waren als die Goethes. Die Kasse musste gefüllt sein, das war schon damals ein wichtiger Grund für die Auswahl der Stücke.
In Freud und Leid in Liebe verbunden
Als Christiane einmal länger verreist war und nicht wie in anderen Sommern das Hoftheater in Bad Lauchstedt täglich besuchen konnte, schrieb er in einem seiner vielen Briefe an sie: „Ohne Dich, weißt Du wohl, könnte und möchte ich das Theaterwesen nicht weiterführen.“ Er hatte sich wieder einmal mit einer Schauspielerin zerstritten.
Die vielen Briefe, die sich die beiden zeitlebens schrieben, geben Zeugnis von ihrer Verbundenheit, ihrem Einverständnis in Bezug auf die Einschätzung der Hofgesellschaft – und nicht zuletzt von ihrer Liebe. Sie beweisen auch die Tatsache ihrer anhaltenden gegenseitigen erotischen Anziehungskraft. Noch nach zwanzigjähriger Partnerschaft erwähnten sie in ihren Briefen ganz offen ihre Sehnsucht nach „Schlampampselstunden“ im grünen Alkoven (ein kleines Zimmer mit grünen Wänden mit Blick zum Frauenplan).
Wenn Goethe länger weg war, schrieb Christiane ohne Scheu über ihre „Hasigkeit“ und auch er ließ sie wissen, wie sehr er sie liebte und brauchte. Neben den Berichten über den Haushalt, das Theater, den Hofklatsch, vergaß sie nie, zu erwähnen, wie sehr sie ihn vermisste.
Endlich verheiratet und gesellschaftlich anerkannt
Nach der (eiligen und heimlichen) kirchlichen Eheschließung am 19. Oktober 1806, wenige Tage nach der Plünderung von Weimar durch französische Soldaten (nach der Schlacht von Jena und Auerstädt), besserte sich die gesellschaftliche Stellung Christianes. Sie hatte ihren Ehemann und die Hausgesellschaft am Frauenplan mit Mut und Tapferkeit verteidigt, als Franzosen das Haus besetzen wollten. Endlich hielt die Hofgesellschaft es für angemessen, die „Frau Geheimräthin“ in ihre Kreise aufzunehmen. Ein Ausspruch Johanna von Schopenhauers macht das deutlich: „Wenn Goethe ihr seinen Namen gegeben hat, dann kann ich ihr doch wohl eine Tasse Tee anbieten.“
Christianes Tod, ein herber Verlust
Der berühmte Dichter hatte seine Entscheidung schon bei der ersten Begegnung am 12. Juli 1788 im Park an der Ilm getroffen und er beging nach dem Tode Christianes jeweils diesen Jahrestag, indem er der Marmor-Büste der Toten einen Blumenkranz aufsetzte.
Ihr Tod im Jahre 1816 ließ ihn in großer Einsamkeit zurück. Es war ihm kein Liebesglück in häuslicher Zweisamkeit mehr beschieden. Seine Bemühungen, die Liebe von jungen Frauen zu erringen, blieben unerfüllt und hatten in den Augen der Weimarer Gesellschaft einen peinlichen Beigeschmack, besonders seine Werbung um die junge Ulrike von Leventzow.
Am Ende seines Lebens fand er in der Schwiegertochter Ottilie eine gute Gesellschafterin im Haus am Frauenplan. Den Enkeln Walter und Wolfgang war er besonders nach dem Tode seines Sohnes August ein vielgeliebter und bewunderter Großvater. Die tapfere Gefährtin Christiane konnten sie nicht ersetzen.
Quellen
– Karl Otto Conrady: Goethe, Leben und Werk in 2 Bänden, Athenäum-Verlag, Königstein/Ts., 2. Aufl., 1984, ISBN 3 7610 8367-X
– Heinz Nicolai: Zeittafel zu Goethes Leben und Werk, C.H. Beck-Verlag, München, 1. Aufl., 1977, ISBN 3 406 06761 1
– Sigrid Damm: Christiane und Goethe, Eine Recherche, Insel-Verlag, Frankfurt/Main und Leipzig, 1998
– Sigrid Damm: Goethes letzte Reise, Insel-Verlag, Frankfurt/Main und Leipzig, Erste Auflage, 2007, ISBN 978 3 458 173 70 0
– Eckart Kleßmann: Christiane, Goethes Geliebte und Gefährtin, Verlag Artemis & Winkler, Zürich, 1992, ISBN 3 76081076 4
– Eckart Kleßmann: Goethe aus der Nähe, Verlag Artemis & Winkler, Zürich, 3. Auflage 1999, ISBN 3 7608 1096 9
– Rüdiger Safranski: Goethe, Kunstwerk des Lebens, Hanser-Verlag, München, 2013, ISBN 978 3 446 23581 6
– Wolfgang W. Parth: Goethes Christiane, Ein Lebensbild, Droemersche Verlagsanstalt, bei Kinder, 1980, ISBN 3 426 02321 0
– Gertrud Bäumer: Frau Rath Goethe, Die Weisheit der Mutter, Rainer Wunderlich Verlag Hermann Leins, Tübingen, 1949
– Wilhelm Wachsmuth,: Weimars Musenhof i.d. Jahren 1772 bis 1807, Verlag Dietrich Pfaehler, Bad Neustadt a.d. Saale, 1982 Nachdruck d. Ausgabe Berlin 1844, ISBN 3 922923 09 7
– Jonas Fränkel: Goethes Briefe an Frau von Stein, Fritzsche und Schmidt, Leipzig,
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