von Erdmute Dietmann-Beckert
Ludmilla Zimmermann, habe ich im Frauenkreis der evangelischen Kirche kennengelernt. Sie ist vor etwa fünf Jahren mit ihrem deutsch stämmigen Ehemann aus Irkutsk in Ostsibirien nach Deutschland gekommen. Vor einiger Zeit hat sie zum ersten Mal wieder ihre alte Heimat besucht. Sie meint, dass ihre Stadt viel schöner geworden sei.
Kürzlich habe ich sie in ihrer Wohnung in der neuen Wohnanlage der Stadt besucht. Sie hat mir erzählt, wie sie in der Kleinstadt Gießen angekommen ist.
Alte Heimat – neue Heimat
Ludmilla Zimmermann war ohne große Erwartungen ausgewandert. Es ist ihr nicht leicht gefallen, ihre Heimat Irkutsk, den Ort wo sie seit ihrer Geburt gelebt hat, hinter sich zu lassen. Sie hat nicht nur das Land, sondern auch ihre Familie, die alten Nachbarn und ihre Arbeit verlassen müssen. Ludmillas Ehemann wollte wieder mit seiner Familie, seinen Söhnen und Brüdern, die in Deutschland lebten, zusammen kommen und in ihrer Nähe wohnen.
Ludmillas Tochter aus erster Ehe war nach Israel ausgewandert. Sie wollte dort wohnen, wohin sie nach ihrer jüdischen Herkunft gehörte. Ihr Großvater, Ludmillas verstorbener Vater, war Jude gewesen. Für Ludmilla gab es nun keinen Grund mehr, nicht nach Deutschland auszuwandern
In Deutschland wurde den Zimmermanns zuerst das Kellerzimmer eines Einwanderungsheims in der Nähe Gießens zugewiesen. Schon bald bewarben sie sich bei verschiedenen Wohnungsbaugesellschaften. Nach einem Jahr fanden sie eine Wohnung in der Stadt.
Auf Arbeitssuche
In der Großstadt Irkutsk hatte Ludmilla Zimmermann als Biologin eine Dozentenstelle an der Fachschule. Bevor sie sich in Deutschland bewerben konnte, musste sie in verschiedenen Sprachkursen zuerst die Grundkenntnisse der deutschen Sprache erlernen. Sie erzählt, dass sie in der ersten Zeit große Angst hatte, deutsche Menschen anzusprechen, weil sie sich sehr unsicher fühlte.
Frau Zimmermann hat eine Ausbildung als Biologin und kann ein Diplom vorlegen. Aber es wird in Deutschland nicht anerkannt. Sie hätte als Lehrerin arbeiten dürfen, aber dazu fehlen ihr die notwendigen Sprachkenntnisse.
Durch Vermittlung des Arbeitsamtes nahm sie sechs Monate lang an einer Trainingsmaßnahme teil. Danach absolvierte sie bei der Caritas ein Praktikum. Es folgten fünf Monate Hilfsarbeiten bei Schlecker, einer Drogeriekette. Diese Arbeit war sehr schwer, außerdem wurden ständig Überstunden verlangt.
Heute hat sie einen Minijob als Putzhilfe bei einer Ärztin. Für fünf Stunden in der Woche geht sie zum Putzen in die Praxis. Sie geht mit Freude dahin. Sie fühlt sich dort aufgehoben.
Kontakt mit deutschen Frauen
Ludmilla hat auf der Suche, zu deutschen Mitmenschen Kontakt zu bekommen, vom Pfarrer der evangelischen Kirche erfahren, dass es einen Frauenkreis gibt, dem sie sich anschließen könne. Dieser trifft sich alle zwei Wochen. Die Frauen beschäftigen sich mit unterschiedlichen Themen n, wie Kennenlernen heimischer Traditionen, interessante Bücher vorstellen, Ausstellungen besuchen oder einfach zwei Stunden miteinander zu spielen, sich auszutauschen. Darüber hinaus hat Ludmilla im Frauenkulturzentrum einen Gesprächskreis gefunden, in dem sich Migrantinnen aus ganz verschiedenen Ländern zu unterschiedlichen Themen unterhalten. Dabei hilft die Leiterin, wenn das notwendige Vokabular fehlt.
Die neue Heimat?
In Gießen fühlt sich Frau Zimmermann wohl. Zusammen mit ihrem Mann macht sie Fahrradtouren in die Umgebung. Sie hat auch viele nette Leute kennengelernt. Und sie sagt, dass sie bei den Behörden und in den Ämtern nur freundlichen Menschen begegnet sei.
Den Kontakt zu den früheren Nachbarn in Russland hat sie wieder aufgenommen. Vor einiger Zeit hat sie eine Reise in ihre alte Heimat unternommen und dort Freunde und Verwandte besucht. Bei ihrer Tochter in Israel ist sie bereits drei Mal gewesen. Im vergangenen Sommer ist sie mit ihrem Mann nach Israel gereist. Über Skype kommunizieren Mutter und Tochter regelmäßig. Ihre Tochter ist auch schon nach Deutschland gekommen. Wie mir Frau Zimmermann erzählt, wollte die Tochter lange nichts mit den Deutschen und Deutschland zu tun haben. Aber nachdem sie jetzt das Land etwas kennengelernt hat, denkt sie heute positiver über die neue Heimat ihrer Mutter.
Ist Gießen inzwischen wirklich Heimat geworden? Ludmilla überlegt. Ja, schon. Sie ist Menschen begegnet, die sie freundlich aufgenommen haben, die ihr entgegen gekommen sind und die sie willkommen geheißen haben. Demnächst wird sie mich auch wieder besuchen.