Der Westfälische Hellweg

von Lore Wagener

Der Westfälische Hellweg war seit Urzeiten eine der wichtigsten West-Ost-Verbindungen in Mitteleuropa. Seine Anfänge liegen im Dunkeln und sein Verlauf ist über Jahrhunderte hinweg den natürlichen Gegebenheiten angepasst worden.

Eine alte Naturstraße

Hellweg bei Bad Sassendorf

Überregional wurde der Hellweg Teilstück einer Verbindung, die von Roermond im Westen bis nach Nowgorod im Osten reichte. Er hatte eine gute Anbindung an die Nord-Süd-Routen, wie an den Rhein bei Duisburg und an die Weser bei Höxter. Bei Dortmund, Soest und Paderborn kreuzten ihn die von Nord nach Süd verlaufenden alten Fernstraßen.
Die etwa 150 km lange Trasse zwischen Rhein und Weser war für eine Straße günstig, denn sie hatte kaum Steigungen, wenig Furten und verlief meist in überschwemmungsfreier Hanglage. Aber bequem war sie nicht, denn sie war unbefestigt, also über weite Strecken holprig und matschig. Vielleicht war sie anfangs nur ein Fußweg, auf dem man aber schon Fernhandel betreiben konnte, denn Funde aus der frühen Jungsteinzeit weisen auf Beziehungen zum Maas-Gebiet und zur italienischen Alpenregion hin.
Pferde kamen erst in der späten Jungsteinzeit in Gebrauch. Aber das Fortkommen mit Fuhrwerken war auf unbefestigten Wegen mühsam. Die Fahrzeuge blieben oft im Schlamm stecken oder kippten einfach um.

Eisenzeit und Römerzeit

In der Eisenzeit begann dann der Salzhandel am Hellweg. Aus dieser Periode fand man dort Siedeöfen, mit denen das Salz aus den vorhandenen Salzquellen gewonnen wurde. Man formte es zu kleinen Kuchen, die als begehrte Exportartikel in den Handel gelangten. So kam es zu einer ersten wirtschaftlichen Blüte in der Hellweg-Region.
Und dann kam die Zeit der Römer. Sie waren im Zuge der Eroberung Galliens bis an den linken Niederrhein gekommen und hatten in Xanten ihr großes Militärlager errichtet. Von da aus versuchten sie, die rechtsrheinischen Gebiete zu erobern. Sie zogen mit ihren Schiffen mehrfach die Lippe aufwärts und errichteten ihre Lippelager. Und sie führten ihre Fußsoldaten auch über den Hellweg heran, wie archäologische Funde belegen. Sie verblieben erst ab dem Jahre 9 n. Chr. hinter der Rheinlinie, nachdem sie in der legendären Varus-Schlacht von den Germanen besiegt worden waren. Ihre Kultur beeinflusste aber weiterhin die Germanen rechts des Rheins. Funde am Hellweg bezeugen einen regen Handel.

Merowinger und Karolinger

Etwa um 450 n. Chr. verschwanden die Römer wieder vollständig aus dem Rheinland und die fränkischen Stämme übernahmen nun die Macht in diesen Gebieten. Über den Hellweg trieben sie auch Handel mit ihren östlichen Nachbarn, den Sachsen. Sie hatten bereits Stützpunkte am Hellweg: in Essen eine Burg und in Duisburg einen Königshof. Zu dieser Zeit waren die Franken schon weitgehend christianisiert. Sie bestatteten daher ihre Toten in Ost-West-Lage, während die damals noch heidnischen Sachsen die Gräber in Nord-Süd-Richtung anlegten.
Der Karolingerfürst Karl der Große beendete das friedliche Zusammenleben. Sein Ziel war die Missionierung der Sachsen. Im Jahre 775 n. Chr. überschritt er die Ruhr, eroberte die Hohensyburg und zog weiter nach Paderborn, wo er 777 n. Chr. seinen ersten Königshof am mittleren Hellweg errichtete. Der wurde nun zum Ausgangspunkt seiner sächsischen Eroberungen.

via regis

Nach der Unterwerfung der Sachsen baute Karl der Große den Hellweg zu einer Königstraße aus. Er war ja ein „reisender“ Herrscher, der mit großem Gefolge ständig durch sein Reich zog und überall persönlich nach dem Rechten sah. Am Hellweg ließ er in je 50 km Abstand Königshöfe errichten, und zwar in Duisburg, Dortmund, Soest, Paderborn und Höxter. Dazwischen gab es im Abstand von je 14 bis 18 km kleinere Stützpunkte, so in Essen und Bochum, Unna und Werl, Erwitte und Geseke sowie in Iburg und Brakel. Damit wurde der Hellweg zu einer militärischen Aufmarschstraße der Karolinger. Als später die Ottonen die Kaiserwürde übernahmen, stieg der Hellweg zur wichtigsten Verkehrsverbindung zwischen deren Königssitzen und den fränkischen Stammgebieten auf.
Es ist möglich, dass der Hellweg seinen Namen von dem mitteldeutschen Wort „Hellwech“ hat, das „lichte Straße“ bedeutet. So wurden damals Königs- und Heeresstraßen genannt, die von den Anwohnern in der Breite eines Lanzenschaftes von Bewuchs freigehalten werden mussten.

Von der Heeres- zur Hansestraße

Im 12. Jahrhundert verlor der Hellweg an politischer Bedeutung, als die deutsche Herrscherwürde auf die Königsgeschlechter am Mittelrhein und in Schwaben überging. Die „Königsferne“ schadete dem Hellweg aber nicht. Er wandelte sich vielmehr in eine lebhafte Route für das Volk aller Stände. Der überregionale Handel mit Salz und Metallprodukten erlebte einen Aufschwung, regional wurden Bier und Getreide gehandelt, ab dem 14. Jahrhundert kam die Steinkohle als Handelsobjekt hinzu. Viele Städte schlossen sich zu Bünden zusammen. Die wichtigste Organisation war die Hanse. Sie wurde von der Stadt Lübeck angeführt. Westfälische Kaufleute aus Dortmund und Soest gehörten zu ihren Pionieren. Der Städtebund war hierarchisch organisiert. Die Hellwegstädte Dortmund und Soest unterstanden dem „Kölner Drittel“ und waren wiederum für die übrigen Hansestädte am Hellweg zuständig, während Duisburg zum „Vorort“ Wesel gehörte. Insgesamt war es eine glanzvolle Zeit für diese Region, wie die zahlreichen Kirchenbauten am Hellweg bezeugen.

Die preußischen Chausseen

Der Hellweg berührte in der frühen Neuzeit sieben Territorien: die Reichsstädte Duisburg und Dortmund, die Gebiete der Reichsabteien Essen und Corvey, die Grafschaft Mark, das Herzogtum Westfalen sowie das Erzbistum Paderborn. All diese Territorien hatten durch Zölle und Wegegeld mit dem Hellweg eine gute Einnahmequelle, aber an seiner Verbesserung waren sie nicht interessiert. Im Gegenteil – das Wegerecht verschaffte ihnen das Privileg, Waren, die aus den Fahrzeugen auf die Straße fielen, zu beschlagnahmen. Auch den Preußen, die anschließend die Herrschaft über den größten Teil der Hellweg-Region bekamen, war zunächst nicht am Bau von Kunststraßen gelegen, wie sie etwa in Frankreich bereits entstanden waren. Erst 1788 begann man auf Veranlassung des Freiherrn vom Stein mit dem preußischen Chausseebau am Hellweg. Die dort errichteten Chausseen bekamen 1829 den Rang von preußischen Bezirksstraßen und wurden um 1900 Provinzialstraßen. 1932 wurden sie in die Reichsautobahn Nr. 1, die von Aachen nach Königsberg führte, integriert.

Das Industriezeitalter

Weltkulturerbe Zeche Zollverein

Mit dem Bau der Kunststraßen hatte die alte Naturstraße ausgedient. Die neuen Straßen bewältigten den Verkehr komfortabler und schneller. Aber im aufkommenden Industriezeitalter wurden die Eisenbahnen zum günstigsten Transportmittel. Auch im Ruhr- und im Hellweggebiet entstand sehr schnell ein dichtes Eisenbahnnetz. Zum Beispiel führte seit 1862 eine Strecke von Duisburg über Essen und Bochum nach Dortmund, und in die Bahnstrecke von Dortmund nach Paderborn wurde auch Lippstadt einbezogen.
Die alten Hellwegstädte entlang der Ruhr stiegen zu Industriemetropolen auf, die mit den Namen von großen Unternehmern verbunden sind. Sie wurden zu Großstädten mit allen Vor- und Nachteilen. Als Standorte des Bergbaus, der Schwerindustrie und der Großchemie wurden sie auch strategisch wichtig und somit in Kriegszeiten zum Ziel massiver Bombardierungen. Ihre alten Kerne wurden weitgehend zerstört. Aber sie müssen dennoch heute Denkmalpflege betreiben, denn ihre Großindustrien sind auch schon Vergangenheit und gehören jetzt zu ihrem Kulturerbe.

Der vergangene Glanz

Die alten Hellwegstädte entlang des Haarstrangs, wie etwa Soest und Paderborn, hatten im Industriezeitalter keine so spektakuläre Entwicklung. Sie blieben im Wesentlichen mittelstädtisch und mittelständisch und konnten ihre schönen alten Stadtbilder weitgehend erhalten. Mit der 1975 fertig gestellten Bundesautobahn A 44, die am Haarstrang oft der alten Trasse folgt, wurden ihre Innenstädte vom Durchgangsverkehr befreit. Bis auf wenige „Bausünden“ haben sie die alten Stadtkerne behutsam restauriert und gepflegt, ebenso wie ihre schönen alten städtischen Traditionen.

Soest, großer Teich

Rainer Maria Rilke schrieb über den vergangenen Glanz:
„Wenn man in Soest aufwächst,
denkt man immer an die Vergangenheit.
Wie alles wohl war, denkt man
und wird nicht müde zu suchen,
was aus diesen Tagen des Glanzes und der Größe
noch könnte geblieben sein.“

Links

Fahrradroute Hellweg

Jakobsspuren am Hellweg

Römische Militärlager an Rhein und Lippe

Heimatmuseum Geseke

Wenn man in Soest aufwächst

Hinweise zu den Bildern:
Die Karte ist der vor 84 Jahren verlegten Dissertation von Frau Dr. Hedwig Pieper aus Münster entnommen.