von Ute Lenke
Von Trojanern, Danaern und anderen netten Zeitgenossen.
Danaergeschenke
Ein Geschenk ist für den Empfänger in den meisten Fällen zunächst etwas Erwünschtes. Doch gelegentlich erweist es sich als fragwürdig oder gar unheilvoll. Dann bezeichnen wir es als „Danaergeschenk“. Der Ausdruck geht auf eine Stelle im 2. Gesang der »Äneis« von Vergil (70 – 19 v. Chr.) zurück: »Was es auch sei: Ich fürchte die Danaer, auch wenn sie Geschenke machen« (Quidquid id est, timeo Danaos et dona ferentes). In der Tragödie »Agamemnon« von Seneca (um 4 v.Chr. bis 65 n. Chr.), in der ebenfalls der Kampf um Troja geschildert wird, findet sich die Formulierung: »verhängnisvolles Geschenk der Danaer« (Danaum fatale munus). Die Danaer (= die Griechen), die Troja belagert hatten, waren zum Schein abgezogen und hatten am Strand vor der Stadt ein hölzernes Pferd zurückgelassen. Vergebens versuchte der Priester Laokoon die Trojaner vor diesem »Geschenk der Danaer« zu warnen. Man schaffte es in die Stadt, und aus seinem Bauch kam in der Nacht eine Schar Krieger der Danaer hervor, die die Stadt Troja vernichteten. Auch der Ausdruck »Trojanisches Pferd« wird in der oben angegebenen Bedeutung als Zitat verwendet.
(zitiert nach © 2003 Bibliographisches Institut & F. A. Brockhaus)
Die Büchse der Pandora
Eine ähnliche, ebenfalls ältere Geschichte geht auf eine Erzählung des griechischen Dichters Hesiod (um 700 v. Chr.) zurück: Pandora wurde auf Befehl von Zeus von Hephaistos als erste Frau geschaffen, um durch sie den Feuerräuber Prometheus zu bestrafen und zu verderben. Pandora wurde mit Prometheus´ Bruder Epimetheus verheiratet, und sie erhielten von Zeus als Hochzeitsgeschenk eine Büchse, nach anderer Version einen Vorratskrug, mit dem strikten Befehl, dieses Gefäß auf keinen Fall zu öffnen. Natürlich hatte Pandora nichts Eiligeres zu tun, als die Büchse zu öffnen (Zeus kannte schließlich die Frauen), deren unheilvoller Inhalt sofort entwich. Seitdem gibt es Not, Krankheit, Laster, Tod und alles Elend in der Welt.
Dieser Mythos aus der griechischen Sagenwelt wurde in der Literatur und in der Kunst oft aufgegriffen, war Gegenstand zahlreicher wissenschaftlicher Abhandlungen, nicht zuletzt auch wegen der Parallele zur biblischen Schöpfungsgeschichte. Die kontroversen (auch feministischen!) Diskussionen sind leicht bei Wikipedia nachzulesen und brauchen hier nicht weiter erörtert zu werden.
Dann ist da noch: Das Märchen von Schneewittchen
Dieses Märchen kennen wir alle: das wunderschöne Mädchen, genannt Schneewittchen wegen ihrer ebenholzschwarzen Haare und dem makellosen weißen Teint, ist auf der Flucht vor der neidischen Stiefmutter bei den sieben Zwergen gelandet. Doch die Stiefmutter findet sie, verkleidet sich als Obstverkäuferin und schenkt ihr einen Apfel. Fatalerweise hat sie die eine Hälfte mit Gift präpariert, die andere, ungiftige Hälfte verspeist sie selbst, um zu beweisen, dass der Apfel so gesund ist, wie er aussieht. Pech für Schneewittchen – kaum angebissen, bleibt ihr der Bissen im Halse stecken, und sie haucht ihr junges Leben aus; das war ein ganz gemeines Danaergeschenk. Allerdings geht die Geschichte, wie wir alle wissen, gut aus, jedenfalls für Schneewittchen, aber dafür ist es auch ein Märchen.
Wer nun aber meint, das sind doch alles Sagen und Märchen, der schaue in die Gegenwart:
Moderne Danaergeschenke
Jeder PC-Besitzer fürchtet sie wie die Pest. Trojaner – diesmal nicht die Danaer, Informatiker nehmen es mit der historischen ‚Wahrheit‘ wohl nicht so genau – sind kleine, fiese Viren, die den PC ausspionieren und dem PC-Besitzer schaden, indem sie seine Daten an den „Erfinder“ senden. Und noch gemeiner können manche USB-Sticks sein: Sicherheitsforscher haben 300 präparierte USB-Sticks auf Universitätsgelände „verloren“. Sie enthielten als Dateien getarnte HTML-Seiten, durch die die Forscher feststellen konnten, ob und welche Seiten besucht wurden. Die meisten Sticks wurden gefunden und im eigenen PC angesehen. Was hier noch ein harmloser Test gewesen war, haben die USA und andere Staaten längst als Teil der Kriegsführung genutzt: Cyber-Kriegführung (Spiegel Online 26. 08. 2010). Per USB eingeschleuste Schadcodes verseuchen die militärischen Netze der Gegner oder legen die Infrastruktur oder gar die Verteidigung lahm.
Aber auch ohne ein solches Schreckensszenario sollte für jeden von uns PC-Besitzern klar sein, dass man geschenkte Programme, gefundene oder geschenkte Sticks oder CDs niemals ungeprüft im eigenen PC ansehen sollte (siehe hierzu auch LC 79 „Digitalisierung“).
Und was lernen wir daraus?
So gesehen, ist der Spruch „Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul“ ausgesprochen dumm. Leider verbirgt sich hinter manchen Geschenken, vor allem, wenn sie groß sind, und erst recht, wenn sie von Unbekannten kommen, oft eine Absicht und meist keine gute. Hätten die Leute von Troja dem Gaul ins Maul oder näher hingeschaut – wer weiß, vielleicht wäre die Weltgeschichte anders verlaufen. Allerdings wäre die Welt auch um ein paar Dichtungen und Geschichten ärmer.