von Barbara Heinze
Ein Geschenk aktiv verschenken oder passiv sich beschenken zu lassen? Lieber möchte ich mich auf Letzteres einlassen, denn dazu habe ich mehr Gedanken.
Was ist eigentlich ein Geschenk?
Als Nachkriegskind war es für mich zunächst mit den Geschenken nicht so „üppig“. Aber ich kann mich gut an ein Geschenk einer Freundin meiner Mutter erinnern: sie hatte keine eigenen Kinder und hatte keine Ahnung, was sie einem 8-jährigen Mädchen schenken sollte. So kam sie mit einem kleinen grauen Teddybär an. Meine Mutter hätte eher heimlich eine Puppe mit Kleidchen oder Puppenzubehör gewünscht! Aber mich hat es außerordentlich gefreut – es war genau richtig, denn der Teddy war so weich und kuschelig. Ich habe ihn heute noch.
Aber was ist eigentlich ein Geschenk? Es kann doch auch etwas Immaterielles sein, etwas, was nicht zielgerichtet erarbeitet wurde oder nicht „verdient“ war, was nicht erwartet worden oder auch nicht vorstellbar war.
Das Erste, was mir dazu einfällt: mein geschenktes Leben: Als Sechsjährige sollte ich eine schon damals stark befahrene Straße überqueren, auf dem Weg von der Schule zum Mittagessen bei den Großeltern. Ich schaute links, ich schaute rechts, wie mir eingebleut worden war. Da kam von weit weg ein Auto heran – das reichte doch? Ich rannte los, merkte, dass es vielleicht doch zu spät war. Am Ende lag ich direkt vor den Vorderreifen des Autos und sah ein schreckerfülltes Gesicht über mir, das fragte, wie es mir geht. Ich krabbelte mühsam unter dem Auto hervor, verspürte keine Schmerzen, ja, ich hatte noch nicht einmal Prellungen. Danach bin ich mit zitternden Knien zur Oma gewankt, die mich schon überfahren wähnte, denn es hatte sich in Windeseile herum-gesprochen, dass um die Ecke ein Mädchen überfahren worden war. So war mir das Leben geschenkt worden, denn der Autofahrer konnte gerade noch rechtzeitig bremsen.
Ein Geschenk für mich war auch die Lehrerin in der ersten Grundschulklasse. Das habe ich aber erst an den nachfolgenden Lehrern gemerkt. Frau Gläser war blutjung, gerade erst mit der Ausbildung fertig geworden, selbst noch ein halbes Kind und sehr nah an uns und unseren Ängsten dran. Die nachfolgenden Lehrer waren zum Teil kriegsgeschädigte Überbleibsel, manche verbittert, erschöpft, pessimistisch oder als Lehrer revitalisiert und damit „uralt“. Aber die erste Erfahrung mit der Schule war glücklicherweise „ein Traum“. Später habe ich mich noch einmal bei ihr bedankt.
Ein Geschenk war auch meine Mutter: liebevoll und sorgfältig, obwohl alleinerziehend und berufstätig. Schon als Kind habe ich erkannt, welch ein Glück ich mit ihr habe – im Vergleich zu den Klassenkameraden*innen. Ich war stolz auf sie und sie gab mir nicht nur Nestwärme, sondern auch Selbstvertrauen.
Als Geschenk betrachte ich, wie ich in meinem Traumberuf gelandet bin. Denn ursprünglich hatte ich das Lehramt an Gymnasien geplant mit sog. leichten Fächern wie Biologie, Geographie und Sport. Von meinem ursprünglichen Wunsch, Medizin zu studieren, war ich abgekommen, weil ich nicht wusste, wie ich mit Krankheit und Tod umgehen kann. Über viele Umwege und ohne ein bestimmtes Ziel vor Augen, bin ich dann dennoch im medizinischen Bereich gelandet. Ich durfte die letzten 20 Jahre meines Berufslebens ein Speziallabor leiten, in dem wir Leukämiepatienten indirekt helfen konnten durch Lieferung therapieentscheidender Infos für die behandelnden Ärzte.
Als besonderes Geschenk beschreibe ich, dass ich meine Halbschwester gefunden habe. Nach meiner Eheschließung machte ich mich zusammen mit meinem Mann auf die Suche nach meiner Restfamilie, was erfolglos blieb. So hinterließ ich einen Brief, der aber nicht beantwortet wurde. Nach 35 Jahren, ich war inzwischen 60 Jahre alt, erhielt ich einen Anruf von einer mir unbekannten Frau. Sie hatte den Brief gefunden und machte sich nun auf die Suche nach der Briefschreiberin, die inzwischen aber nicht nur den Namen durch Heirat geändert, sondern auch mehrere Wohnsitze in Deutschland gewechselt hatte. Wie sie mit kriminalistischem Gespür, vielen Anrufen und Fragen bei alten Freunden und Kollegen meine Adresse gefunden hatte, darüber haben wir uns dann bei unserem ersten Treffen lange unterhalten. Es war ein Wunder und ein Geschenk. Von Anfang an haben wir uns gemocht. Der Kontakt besteht auch noch heute, wofür ich sehr dankbar bin.
Wenn sich jeder besinnt, wird er viele solcher Geschenke erinnern! Es ermutigt dazu, dem Schicksal und der Zukunft, aber auch den Mitmenschen und dem eigenen Können zu vertrauen.