von Ute Schäfer
Vorlesen schenken – Spenden „erlesen“
„Oma, was kriege ich für eine Zeile, wenn ich vorlese?“ Erstaunt blickt sie von ihrem Buch auf. Er las nie. Bilderbücher liebte er. Die Bilder! Was da noch in Buchstaben stand, war uninteressant. Dass er das jetzt vorlesen wollte? Undenkbar! Er begann ja erst, das Lesen zu lernen. – War seine Frage ein Angebot zu einem Spiel? Sie nahm es an: „1 Euro“, sagte sie. Er vergewisserte sich: „Für jede Zeile?“
Und dann begann er zu üben. Mühsam. Stockend die Buchstaben zusammenklaubend. Sie wurden Wörter. Und Wörter begannen etwas zu erzählen. Triumphierend kam es aus seinem Zimmer: „Drei Zeilen kann ich schon.“ Dann kam die Erklärung: „Oma, ich lese nicht für dich. Ich lese für UNICEF. Und du gibst das Geld dafür.“ Da musste Erklärung her.
Lesen für UNICEF
Bei UNICEF läuft ein Bildungsprojekt für Kinder in Madagaskar. Im Rahmen dieses Projekts geschieht Folgendes: Kinder lesen vor. Unterstützt werden sie von Eltern, Großeltern, Nachbarn, Freunden, indem diese für jede gelesene Seite einen kleinen Betrag spenden. Für das Vorlesen gibt es einen Vorlesetag – an manchen Schulen auch eine Vorlesewoche. Dann geht es ans Bezahlen der vorgelesenen, protokollierten Seiten. 50% des „erlesenen“ Geldes können an der Schule bleiben, die andere Hälfte geht nach Madagaskar zu Kindern in dem Projekt: „Let us learn.“
Lesemotivation
Ist hier eine Form von Motivation gelungen? Steht dieses Beispiel neben vielen misslungenen Versuchen zu motivieren? Und lädt es ein zu einem Blick auf das, was zum Gelingen beiträgt?
Es ist das Geld, werden manche sagen. – Ist es das wirklich?
Vorlesezeit schenken – anders gestaltet
Anders als in traditionellen Vorlesesituationen? Das Ding mit der Sprechblase einmal probieren? – Und dabei erfahren, dass es sich bei einem Comic um ein anspruchsvolles Erzählmedium handelt? Das konnte man erleben bei einer regionalen Fachtagung, die MENTOR für Leselernhelfer veranstaltete.
„Comics für Kinder“ war dieses Mal das Thema, Felix Giesa von der Universität Frankfurt hielt den Vortrag. Es ging um Fragen: Wie liest man einen Comic vor? Mit dem Finger immer auf die Sprechblase? Nicht gerade einladend – und vor allem ermüdend. Als Dialog? Mit zwei Sprechern – also das Leselernkind von vornherein einbezogen? Schon spannender – und Räume eigener Gestaltung tun sich auf in Wahl der Stimme, Betonung und vieles mehr.
Leseförderung mit Comics – die Zuhörenden erhielten Einblicke in Erstaunliches. Am meisten staunten diejenigen, die Comics für Schundliteratur hielten – in Deutschland eine verbreitete Meinung.
Nun konnte man erfahren, dass Comic-Lesen das Hirn trainiert: Bild und Schrift müssen in gemeinsamen Kontexten dekodiert werden – ein wahres Lernlabor für die multimediale Gesellschaft. Darüber hinaus sind sie Geschenke für die Augen, erfassen nicht nur den Sehsinn, machen Gesehenes hörbar.
Zutaten für ein beglückendes Vorlese-Erlebnis
Die findet man bei Trudel Gedudel. Das ist ein Huhn. Es verleitet zu Leselust, Reiselust – reist ans Meer – eine Reise, die als Emanzipationsgeschichte gelesen werden kann. Und dann kann sie Lust machen, die eigene Gangart zu prüfen – und ein bisschen mehr (Meer) zu sehen.
Das schreibt die Zürcher Zeitung am 9. Mai 2019 über Eva Muszynski, Karsten Teich: Trudel Gedudel purzelt vom Zaun; CBJ München, 2019 –
mit einem Blick auf den Schweizer Vorlesetag. Unbedingt reinschauen!
Wer mehr darüber wissen möchte:
https://www.unicef.de/mitmachen/aktionen/lesen-fuer-unicef
https://www.badische-zeitung.de/hochkomplexer-vorgang–178072583.html
https://www.leseforum.ch/sysModules/obxLeseforum/Artikel/617/2018-1-giesa.pdf