Vom Wandern in ein fremdes Land – Der Übergang in den Ruhestand

von Maria Schmelter

Der Übergang in den Ruhestand bedeutet, den Alltag völlig neu zu gestalten. Wenn das „Müssen“ fehlt, muss man sich auf das „Wollen“ besinnen und diesem Raum zur Verwirklichung geben.

Die Altersteilzeit

Das Land Hessen bot seinen Angestellten die Möglichkeit der Altersteilzeit an. Ich nahm sie in Form des Blockmodells in Anspruch. Ab dem 55 Lebensjahr arbeitete ich, wie bereits zuvor ganztags und erhielt 50% meines Lohns vom Arbeitgeber, sowie einen Aufstockungsbetrag vom Land Hessen. Mit weniger Geld hatte ich auch zuvor schon auskommen müssen und mehr würde ich auch in der Rente nicht zur Verfügung haben.

Ich wollte die Zeit,-die geschenkte Lebenszeit-, wie ich sie nannte, mit meinen Inhalten füllen. Ich erinnerte mich daran, dass zu Beginn meiner Berufstätigkeit das Rentenalter für rauen bei 60 Jahren lag, während Männer bis zum 65 Lebensjahr arbeiten mussten. Hier wurden wir Frauen schnell gleichberechtigt, während es bis heute mit dem gleichen Lohn für gleiche Arbeit, nicht geklappt hat.

Ich habe meine Arbeit als Sozialarbeiterin gerne gemacht, aber ich merkte, dass meine Kraft nachließ und meine Begeisterung, mich auf Neues einzustellen, rapide abnahm. Die Arbeit brachte immer wieder neue Anforderungen mit sich: die Umsetzung eines neuen Gesetzes, Veränderungen in den Arbeitsabläufen, neue Programme am Computer….

Ideen für die neu gewonnene Zeit

Ich wollte meine Lebenszeit zur eigenen Gestaltung zur Verfügung haben und hatte schon in den Jahren zuvor, in einem eigens angelegten Ordner unter dem Titel „Lebensfeuerwerk“ Gedanken dazu gesammelt. Viele Ideen hatten damit zu tun, dass ich gerne koche und die Gemeinschaft beim Essen schätze.

Aber es gab auch Ideen, die mit meiner Reiselust zu tun haben. Dabei stand mir der Sinn nicht nach einer Kreuzfahrt, sondern nach Reisen, die Begegnungen mit Menschen und der Kultur eines fremden Landes einschlossen.

Die Idee als Grandma Aupair, eine Zeitlang mit Familienanschluss in einem anderen Land zu leben, fand ich faszinierend, habe sie aber verworfen, weil mir in der Nähe ein Enkelkind geboren wurde.

Ich wollte mich geistig mir Themen auseinandersetzen, die mich interessierten, so z.B. mit Philosophie und Lebenskunst.

Der Übergang

Der Übergang war holprig. Zunächst habe ich mir 4 Monate bevor die Freistellung von der Arbeit beginnen sollte, bei einem Sturz vom Fahrrad das Sprunggelenk gebrochen. Da fielen so manche Arbeiten, die ich noch geplant hatte, aus.

Dann war er da, dieser das Leben so grundsätzlich verändernde Einschnitt. Es gab einen sehr schön gestalteten Abschied. Die Kollegen brachten mir viel Anerkennung und Wertschätzung entgegen. Sie schafften damit ein gutes Fundament für die Gestaltung der neu gewonnenen Lebenszeit. Nun galt es hierfür die Regie zu übernehmen.

Altes fortführen / Neues probieren

In der Kirchengemeinde, in der ich mich engagiere, wollte ich nicht einfach so weitermachen oder mich mit mehr Ehrenämtern eindecken. Ich gab bewusst Einiges auf, um Freiräume für Neues zu gewinnen.

Es gab Themen, wie Altern, Demenz, Sterben, die mich bei meiner Arbeit sehr beschäftigt hatten, die wollte ich nicht ganz beiseitelegen.

Beim Demenzforum habe ich meine Aktivitäten fortgeführt, indem ich Seminare für Angehörige und Ehrenamtliche halte und mich weiterhin ehrenamtlich engagiere.

Ich führe auch meine Gesprächsgruppen zur Lebensgestaltung bei der evangelischen Erwachsenenbildung fort.

Dann war da mein Vater, der bei zunehmender Hilfebedürftigkeit auf meine Unterstützung hoffte. Hier galt es das rechte Maß zu finden. Hätte ich mein Leben aufgegeben, um ihm ganz zur Verfügung zu stehen, es wäre ihm recht gewesen. Aber das wollte ich nicht. Nach zähem Ringen fanden wir einen Kompromiss. So konnte ich ihn bis zu seinem Tod im Jahr 2015 begleiten.

Was kam neu in mein Leben?

Meine kleine Enkeltochter, die ich mit Spannung aufwachsen sehe und mit der ich viel Begegnung haben möchte

Durch das Kirchenasyl, in meiner Gemeinde, entstand der Kontakt zu einer Mutter und ihrer Tochter aus Äthiopien, die auf ihr Asylverfahren warten. Ich unterstütze sie in Alltagsbelangen und bin Kontaktperson zur Schule. Mit dem Kind habe ich Vieles unternommen. Es kocht und backt mit Leidenschaft

Nun lebt eine Mutter mit ihrem Sohn aus Nigeria im Kirchenasyl. Da die Mutter die Räume der Kirche nicht verlassen darf, begleite ich das Kind auf den Spielpatz und fahre mit ihm Fahrrad.

Das Schreiben im Lerncafe. Ich habe schon immer gerne geschrieben, aber so vor mich hin. Als ich nun zu Beginn meiner Altersteilzeit auf das Lerncafe stieß, habe ich mich mit viel Begeisterung angeschlossen.

Ich nehme auch an einem meditativen Schreibkurs teil, in dem wir jeweils kurze Geschichten schreiben. Die Ergebnisse sind oft verblüffend.

Ich fröne dem Spaß am Spiel, verabrede mich mit Freundinnen zum Scrabbeln oder treffe mich mit anderen Spielfreudigen im Gastspielhaus in meiner Nähe.

Der Kontakt zu Freundinnen und Freunden, die nun auch im Ruhestand sind, ist intensiver geworden. Kurzfristige Unternehmungen sind möglich.

In Darmstadt gibt es eine Initiative 55plus, dort bieten die Mitglieder ehrenamtlich Kurse und Veranstaltungen an. Als sich dieser Verein im Jahr 2006 gründete, hatte er gleich mein Interesse geweckt. Das Programm ist sehr vielfältig.

Ich könnte diese Liste noch weiter fortführen, möchte sie aber gerne mit einem Zitat von Martin Buber beenden:

„Altsein ist ein herrlich Ding, wenn man nicht verlernt hat, was anfangen heißt .“