Stressfreie Pensionierung ist Humbug

von Ute Lenke

Aus einem Interview:

Die Antwort auf die Frage nach dem Thema des vorliegenden LernCafés: „Ruhestand“ oder auch „Unruhestand“ stieß bei meinem Gesprächspartner auf Bedenken: das sei doch ein unergiebiges und deprimierendes Thema.

HH: Stressfreie Pensionierung ist Humbug.

UL: ?

HH: Es ist nachgewiesen, dass etwa die Hälfte aller Stressereignisse in der Zeit des sogenannten Ruhestands geschehen.

UL: Aber die meisten Menschen sehnen sich doch danach, endlich freie Zeit für sich zu haben, ihren Hobbys frönen zu können, sich um Partner, Enkelkinder kümmern zu können.

HH: Ich sage, das ist Humbug. Viele Rentner fühlen sich überfordert von der Zahl der alltäglichen Entscheidungen, während andere einen Mangel an Selbstvertrauen erfahren. Todesangst ist ein echte Ruhestandsangst, die zu Depressionen und zu anderen Krankheiten führen kann.

UL: Das stimmt schon, man spricht ja nicht umsonst vom „Pensionärstod“ oder dem Ausbruch von Krankheiten, die oft in der ersten, euphorischen Phase des Ruhestands auftreten. Manche Rentner wissen auch nichts mit sich und der freien Zeit anzufangen, gehen ihren Mitmenschen auf die Nerven. Aber die meisten richten sich doch schnell in ihrem neuen Leben ein.

HH: Ruhestand ist purer Stress. Hier sind die 5 wichtigsten Faktoren – es gibt aber noch viele mehr:

Tod eines Ehepartners.

Dies ist die Nummer eins – ein  Stressor, der chronischen Stress und Depressionen verursacht und  Auswirkungen auf Gesundheit und Lebenserwartung hat. Der Tod eines Ehepartners hat auch finanzielle Auswirkungen, die zusätzlichen Stress für den überlebenden Ehepartner verursachen können.

Schwere persönliche Krankheit und eingreifende Veränderung der Gesundheit eines geliebten Menschen.

Arthritis, Krebs, Herzerkrankungen, Demenz, Diabetes und Depressionen gehören zu den häufigsten chronischen Erkrankungen von Personen über 65 Jahren. Man vermutet, dass rund 20% der Rentner an Depressionen leiden, die die Abwehrkräfte schwächen  und damit die Fähigkeit,  Infektionen zu bekämpfen. Und bei über 7% davon wurde irgendeine Form von Demenz diagnostiziert.

Berufsaustritt.

Der Renteneintritt belegt den 10. Platz stressiger Lebensereignisse mit großen psychologischen und emotionalen Auswirkungen. Der Übergang in den Ruhestand kann zu Krankheit, Depression und Angst führen. Viele Menschen leiden an Identitätsproblemen, plötzlich ist man nicht mehr die wichtige Person im Betrieb, sondern nur noch Ehepartner.

Wesentliche finanzielle Änderungen.

Die Jahre bis zur Pensionierung werden benutzt, um genug Kapital  für das Alter zu akkumulieren, entweder durch verdienen, sparen und  investieren. Bei der Pensionierung wird diese finanzielle Strategie umgekehrt, und effektiv wird das Konto nun abgebaut. Das Schrumpfen des Kapitals ist bedeutend und kann eine Quelle der Angst werden, denn heute leben mehr Leute viel länger.

Umzug in eine Seniorenwohnung.

Relocation Stress Syndrom (RSS) ist eine anerkannte Diagnose, die oft auftritt, wenn ältere Menschen gezwungen sind, die eigene Wohnung  mit dem Umzug in eine Pflegeeinrichtung zu vertauschen. RSS Auswirkungen sind leider oft Angst, Verwirrung, Hoffnungslosigkeit, und Einsamkeit. Viele Rentner verbinden einen solchen Schritt mit Verlust von Kontrolle und Freiheit, und vermeiden deshalb die Entscheidung bis es zu spät ist.

Mit anderen Worten: Stressfreie Pensionierung ist Humbug!

…so möglich wie „Stressfreie Pensionierung“ (Foto: Ryan McGuire https://gratisography.com)

Gesprächspartner: Helmke Hennig, Ute Lenke. Das Gespräch wurde mit Skype aufgezeichnet und beruht auf eigenen Erfahrungen des Gesprächspartners.