von Barbara Heinze
Alle Welt warnte mich davor, dass ich nach meinem sehr intensiven Berufsleben als Wissenschaftlerin nicht „loslassen“ könnte. Und außerdem: ohne Kinder und Enkelkinder, was bleibt da noch zu tun für die Rentnerin? Noch dazu, wenn ohne Ehemann oder Partner! Nun, es waren meine eigenen Entscheidungen, deshalb ist es mir leichter gefallen, darauf zu verzichten.
Wie kam ich zu einem „Unruhezustand“? Irgendwie hat es sich so ergeben und ich bin selbst erstaunt, dass mir gar nicht viel Freizeit bleibt. Beispielhaft möchte ich deshalb die Abläufe einer Woche beschreiben und erläutern:
Mittwoch
Drei Termine stehen im Kalender. Morgens um 10:00 bis 11:30 Tennis in der Tennisanlage des SSV Ulm. Wir vier Frauen spielen schon ein paar Jahre zusammen und sind Freundinnen geworden. In unserer Altersgruppe gibt es öfter Terminprobleme, wegen Urlaub, Krankheit oder „Enkeldienst“. Deshalb ist gleich eine Ersatzperson in unserem Spielplan eingetragen. Um 12:30 gehen wir zum Mittagstisch ins Fischrestaurant und anschließend für einen Cappucino zum Italiener. Um 14:00 wartet der Friseur auf mich, der mir einen flotten Sommerschnitt verpasst, und dabei das Schwätzchen nicht versäumt. Der Abend klingt aus mit einem Treffen der Kolleginnen meiner ehemaligen Arbeitsstelle. Inzwischen bin ich zwar schon lange ausgeschieden, aber wir 10 – 15 Leute haben uns meist viel zu erzählen, wenn man sich nur alle drei Monate sieht.
Donnerstag
Es ist diese Woche „Großkampftag“. Morgens um 10:00 bis 11:30 Tennis wieder in der Tennisanlage des SSV Ulm. Wir – drei Männer und eine Frau – spielen seit Jahren schon zusammen. Nach dem Tennisspielen wird heuer vor Ort ein runder Geburtstag gefeiert, mit Butterbrezeln, Sekt, Bier und Saft. Ursprünglich war ich in den Verein eingetreten, um möglichst viele Sportarten betreiben zu können. Nun ist es aber beim Tennisspielen und Baden im Freibad geblieben. Um 13:30 trafen wir uns zum Arbeitstreffen des Arbeitskreises Lebensgestaltung im Alter bei Angela. Bei Kaffee und Kuchen wird besprochen, wie wir die Internet/Computerunterstützung für die Mitbewohner des „Betreuten Wohnens“ im Seniorenheim in der Friedrichsau weiter unterstützen können. Um 18:00 treffen wir uns zum Rudern im Ruderclub Ulm .Das Rudern habe ich seit meinem beruflichen Wechsel nach Ulm wiederentdeckt. Wie jung dieser Sport hält sehe ich bei meinen beiden Mitruderinnen, die 80 und 81 Jahre alt sind und immer noch problemlos ins Boot hinein und wieder hinauskommen. Wir fahren meist gemischt: Alt und Jung zusammen, Frauen und Männer. So etwas war vor 40 Jahren nicht selbstverständlich in Ulm. Uns stehen im Club verschiedene Bootsgattungen zur Verfügung, vom Einer bis zum Achter. Diesen Abend kommt ein Achterrudern zustande, weil wir einen versierten Steuermann haben.
Freitag
Um 14:00 bin ich mit M verabredet, einem Freund aus einem der Arbeitskreise des ZAWiW. Ich besuche ihn im Krankenhaus. Er weiß erst seit wenigen Wochen, dass er Krebs hat, leider bereits mit Metastasen. Wir reden auch über die Patientenverfügung, wer ihn alles besucht, und dass wir beide an das Jenseits glauben. Ab 19:00 verbringe ich fröhliche Stunden beim alljährlichen Chorfamilienabend der Martin-Luther-Gemeinde, bei dem es allerlei Leckereien gab, fast nur selbstgebackenes, -gekochtes, und – gebratenes. Viele gute Gespräche kommen zustande. Nach Lust und Laune wechselte man die Sitzordnung, um sich mit möglichst vielen der 40 Chormitglieder austauschen zu können.
Samstag
Nach spätem Aufstehen und gemütlichem Frühstück geht es mittags mit dem Fahrrad zum Ruderclub. Wir vier rudern in einem schmalen Vierer-Boot. Aber leider wackelt das Boot, weil wir uns doch nicht ganz so harmonisch zusammen bewegen. Danach radele ich zum Clarissenhof, wo meine ehemalige Nachbarin seit zwei Jahren im Seniorenheim untergebracht ist. Ich habe mich mit ihren beiden 13jährigen Enkelinnen verabredet. Wir schieben den Rollstuhl zur nächsten Eisdiele und genießen zu viert den schönen Sommerabend. Verpasst habe ich das Schwörkonzert im Ulmer Münster, sowie die Lichterserenade, die ich sonst immer besuche.
Sonntag
Morgens ein ausgedehntes Frühstück einschließlich Zeitungen lesen. Das schöne Sommerwetter lädt dazu auf meinen Balkon ein. Nach dem Mittagessen Arbeit am Computer mit Emails Beantworten und Schreiben und Wochenplanung für die folgende Woche. Um 15:37 fährt mein Bus zum Ulmer Ruderclub. Von dort werde ich zu einem Konzert in Oberelchingen abgeholt. Das Konzert, das von einem Mitglied des Ulmer Theaters gestaltet wird, besuche ich, weil auch Freunde aus dem Ulmer Ruderclub in dem Chor „Hope“ mitsingen.
Montag
Es ist Schwörmontag, beginnend mit der Schwörrede des Oberbürgermeisters von Ulm, um 11:00. Schweren Herzens verzichte ich auf die Schwörrede, denn ich habe einfach keine Zeit. Aber die Stadt Ulm bietet glücklicherweise einen live-link an*), den ich mir fünf Minuten lang anschaue. Nachmittags ab 15:00 ist das „Nabada“, was ich mir auch schenke, obwohl es so lustig ist wie ein Faschingsumzug. Aber mir ist die Einladung einer Chorschwester aus der Wiblinger Kantorei wichtiger. Wir beide singen seit über 30 Jahren dort mit. Anschließend gehen wir gemeinsam zur Chorprobe – trotz des Schwörwochenendes. Die extra-Probe am „heiligen“ Schwörmontag wurde eingeschoben, weil wir eine Messe von Nikolai im Oktober singen werden und wegen der Sommerferien nur noch wenig Zeit zum Üben verbleibt. Die Probe ist sehr ergiebig, weil nur die Hälfte der normalen Chorbesatzung anwesend ist und konzentriert geübt werden kann.
Dienstag
Heute stehen nur zwei Termine an: Um 12:00 Zum Chinesenrestaurant in der Nachbarschaft essen gehen. Dort will ich mich mit der Tochter der Inhaber treffen, um sie zu ihrer beruflichen Zukunft zu beraten. Abends geht es wieder mit dem Fahrrad zum Ruderclub Ulm. Wir wollen trainieren, für eine Regatta auf der Mosel, die Ende September stattfinden wird. Das Boot wird ein Vierer sein, mit zwei „jungen Frauen“ von 80 und 81 Jahren. Ich habe mich von diesem Vorhaben abgemeldet – es wird mir einfach zuviel, denn vorher bin ich vier Wochen nicht zu Hause in Ulm. Das wird mir sonst zu stressig.
Mein Resümee
Warum habe ich weniger Zeit als Rentnerin: ich bin inzwischen 73 Jahre alt und brauche einfach für alles ein bisschen länger als früher. Vor 5 Jahren habe ich mich von meinem Auto getrennt, bewege mich zu Fuß, mit Fahrrad, ÖPN oder mit der Deutschen Bahn, was alles mehr Zeit braucht und gut geplant sein muss. Wahrscheinlich habe ich einfach auch zu viele Aktivitäten: 2 Arbeitskreise beim ZAWiW, 2 Tennisgruppen, 2 Rudergruppen, 2 Chöre, zwei Vereine (als Vorsitzende, als 2. Vorsitzende), drei Patenkinder, viele Freund*innen. Aber wie die Auswahl treffen? Überall sind es Menschen, mit denen ich so viel verbinde.
Was waren für mich die Voraussetzungen für ein gutes Leben in Rente: ein erfülltes Berufsleben, Tätigkeiten und Hobbies schon während des Berufslebens, ein großer Freundeskreis, der über die Jahre gepflegt wurde, ehrenamtliches Engagement, gute finanzielle Voraussetzungen, aktiv sein in verschiedenen Bereichen – geistig, sportlich und musisch, das Wohnen in einer mittelgroßen Stadt (125 000 Einwohner) wie Ulm mit vielen kulturellen Angeboten. So wird einfach die Versuchung zu einem „Unruhestand“ groß.
Seit 15 Jahren bin ich in Rente, und ein zufriedener Mensch, der bisher ein erfülltes Leben hatte, noch bei relativ guter Gesundheit ist und gerne noch ein wenig länger auf unserem schönen Planeten Erde bleiben möchte.
Anmerkungen
*) https://www.ulm.de/
Bilder: B.Heinze