Die Fuggerei in Augsburg: ein modernes Konzept aus dem 16. Jahrhundert

von Ute Lenke

Das Goldene Augsburg

Wer Augsburg heute besucht hat die Qual der Wahl zwischen vielen Sehenswürdigkeiten aus der langen Geschichte der Stadt; eine Sehenswürdigkeit sollte man sich aber auf keinen Fall entgehen lassen: die Fuggerei. Diese älteste bekannte Sozialsiedlung der Welt liegt mitten im Zentrum, in Sichtweite von Dom und Rathaus. Erbaut wurde die Siedlung ab 1516 auf Veranlassung von Jacob Fugger und seiner Frau Sybilla Artzt und 1521 seiner Bestimmung übergeben. Kein Almosen, sondern Hilfe zur Selbsthilfe für unschuldig in Not geratene, unbescholtene Augsburger Bürger wollte Jacob Fugger, genannt der „Reiche“ vor fast 500 Jahren mit der in der Augsburger Lechvorstadt gelegenen Siedlung schaffen.

An der Wende vom 15. Zum 16. Jahrhundert war Augsburg eine reiche, weltoffene Stadt, reiche Handwerker – und Kaufmannsfamilien sorgten für ein hohes Steuereinkommen.

Wie in allen Großstädten der Welt bis heute zog der Reichtum aber auch andere an: Tagelöhner, Zuwanderer, nicht jedem war es möglich Augsburger Bürger zu werden. 20 000 Einwohner mit geringem oder kaum Einkommen, aber 20 reiche Kaufmanns- und Bankiersfamilien – das war der Stand um 1500.

Augsburg und die Fugger

Jakob Fugger, der Reiche

Eine der reichsten und einflussreichsten Familien waren die Fugger, seit dem 14. Jahrhundert in Augsburg angesiedelte Familie aus Webern und Tuchmachern. Unter Ulrich Fugger (1441-1510) seit 1469 und seinem Nachfolger Jacob Fugger(1459-1525), der Handels- und Bankgeschäfte bei den Medicis gelernt hatte, gewann der Familienbetrieb immer mehr Vermögen und Einfluss auf die Reichspolitik. Durch die Verknüpfung von Fernhandel, der auch in die Neue Welt reichte, Bergbau, Bankgeschäfte großen Stils, nicht zuletzt auch durch geschickte Familienpolitik, schuf Jacob Fugger eine Weltfirma und wurde zum Haus-,Hof- und Staatsbankier deutscher und europäischer Fürsten, allen voran der Habsburger als es 1519 darum ging , die Wahl zum Kaiser zu finanzieren.

Jakob der „Reiche“ als Stifter

Stiftungstafel

Das Denken der Menschen in dieser Zeit – nicht mehr Mittelalter, aber auch noch nicht ganz Neuzeit – war vom Glauben an Gottes Plan und die Werte der Religion bestimmt. 
Reichtum und Armut wurden als gottgegeben angesehen und es war ein Gebot christlicher Nächstenliebe für die Reichen, Armen zu helfen. Andererseits begann man nun auch zu erkennen, dass der Zustrom von Arbeitskräften wichtig für das Funktionieren und Blühen der Wirtschaft war.

Auch ein Jacob Fugger führte seine Verdienste nicht auf eigenes Können, sondern auf die Fügung Gottes zurück: „ich bin reich von Gottes Gnaden und jedermann ohne Schaden“. Jakob Fugger war tiefgläubig, den von Gott empfangenen Reichtum wollte er, als Kaufmann am liebsten mit Zins und Zinseszinsen, zurückzahlen. So legte er den Grundstock für eine Stiftung, die dem Wohl der Stadt Augsburg, ihrer Bürger und dem Seelenheil aller verstorbenen und zukünftigen Fugger dienen sollte. Als Stifter sind Jakob, sowie seine früh verstorbenen Brüder Ulrich und Georg Fugger genannt: sie haben „aus Frömmigkeit und hochherziger Freigebigkeit 106 Behausungen mit allen Einrichtungen ihren fleißigen, aber armen Mitbürgern geschenkt, gestiftet und geweiht“ – so verkünden in der Fuggerei noch heute drei Stiftungstafeln.

Jakobs Nachfolger, sein Neffe Anton Fugger fügte weitere Gebäude hinzu und stattete die Fuggerei finanziell noch besser aus. Auch die Verwaltung wurde neu geordnet und „Administratoren“ übertragen; hieraus entstand im Laufe der Zeit das Fuggersche Seniorat, das noch heute die Fuggerei und alle weiteren Fuggerschen Stiftungen betreut.

Die Fuggerei

Gasse in der Fuggerei

Aus anfangs „106 Behausungen“ in 6 Gassen ist heute eine Anlage mit 67 kleinen Reihenhäusern mit je 2 Wohnungen von 60 qm entstanden; im Erdgeschoß gehört ein Garten dazu, den die Bewohner sorgsam pflegen, für die Bewohner im Obergeschoss gibt es einen Speicher. Es ist eine kleine Stadt für sich: mit Toren, Kirchen, Strassen und Gassen, Gärten.

Während der Bauphase kümmerte sich Jakob um jede Kleinigkeit des Baus. In der Stiftungsurkunde hatte er genau festgelegt, wer in der Siedlung Aufnahme finden konnte: es mussten unbescholtene, katholische Augsburger Bürger sein, die unverschuldet in Not geraten waren; sie konnten ihrer gewohnten Arbeit als Handwerker oder Tagelöhner nachgehen, sollten die Siedlung aber wieder verlassen, wenn sie ihren Lebensunterhalt aus eigener Kraft sichern konnten. Der Mietzins betrug damals wie auch heute noch 1 Rheinischen Gulden, etwa 0,88 € pro Jahr (heute kommen noch pro Monat Nebenkosten dazu).

Strenge Regeln

Nacht in der Fuggerei

Die Wohnungen waren begehrt, die Wartelisten lang, die Aufnahmebedingungen streng: ein Stiftungsrat entschied (und entscheidet noch) über die Aufnahme, für die man zahlreiche Fragebögen, Atteste, Zeugnisse und einen Bittbrief vorlegen musste. Ablehnungsgründe gab es zahlreiche: Wer arbeitsfähig war, Vermögen oder Hausbesitz hatte, zu alt war, so dass er die Aufnahme womöglich nicht erleben würde, oder wer protestantisch war, hatte keine Chance. Kinderreichtum war ebenfalls ein Ausschlussgrund, weswegen manche Leute ihre Kinder ins Waisenhaus gaben.

Wer es geschafft hatte, unterlag Verpflichtungen: abgesehen vom Einhalten der Hausordnung, von Ruhe, Ordnung und gesittetem Lebenswandel hatten – und haben auch die heutigen Bewohner -3 mal täglich in der Kapelle der Fuggerei für die Stifter zu beten.
Ein Hausmeister wacht über die Einhaltung der Vorschriften, zu denen auch gehört, dass ab 22 Uhr die Tore geschlossen werden: wer zu spät kommt, muss zahlen. Es war und ist ein Privileg, dort zu wohnen, und keineswegs eine Armensiedlung; ausgewiesen zu werden, weil man sich nicht anständig aufführte oder nicht arbeiten wollte, wurde als Schande empfunden.

Arm im Sinne Fuggers

Wie bereits erwähnt nahm man Armut bis zum Ausgang des Mittelalters als gottgegeben hin, Caritas als Ausdruck christlicher Nächstenliebe war noch immer gültig. Daneben erkannte man aber zunehmend die Nützlichkeit von Menschen, die als Handlanger und Tagelöhner für das aufblühende Handwerk und Gewerbe gebraucht wurden. Armut hatte an der Schwelle von Mittelalter und Neuzeit nun zwei Bedeutungen: man unterschied zwischen arbeitsfähigen „würdigen“ und arbeitsfähigen „unwürdigen“ einerseits und „eigenen“, einheimischen und fremden, mobilen Armen andererseits. 
Arm im Sinne Jakob Fuggers waren arbeitsfähige , aber unverschuldet arbeitslose Augsburger – arm aber fleißig“- mit Bürgerrecht; Bettler und Arbeitsscheue und Fremde oblagen weiterhin dem „Wohlwollen“ von Stadt und Kirche. Darum war das strenge Auswahlprinzip berechtigt und allgemein akzeptiert. Fugger erkannte als einer der ersten seiner Zeit den Zusammenhang von Arbeitslosigkeit und sozialem Abstieg; das größte Elend konnte er durch seine Stiftung verhindern.

Berühmter Bewohner

Eine Steintafel an dem von ihm bewohnten Haus erinnert an ihn.

Man weiß wenig über die ersten Bewohner, erst im 19.Jahrhundert wurden Daten systematisch erfasst. Die Archive sind noch längst nicht alle ausgewertet.

Über einen späteren Bewohner allerdings weiß man etwas mehr: Franz Mozart (1649-1693), den Urgroßvater von Wolfgang Amadeus Mozart. Franz Mozart war Maurermeister, nach anderen Quellen, ein „nur mäßig erfolgreicher Maurermeister, der seinen Lebensunterhalt kaum bestreiten konnte“. Ihm drohten der Verlust seiner Handwerkerehre und damit jede Verdienstmöglichkeit, weil er unerlaubt an der Beerdigung eines Scharfrichters teilgenommen hatte. Urgroßvater Franz Mozart war also kein armer Tagelöhner, sondern wie viele Bewohner der Fuggerei, Handwerksmeister, er wurde später von der Stadt Augsburg rehabilitiert, seine Handwerkerehre wiederhergestellt. Vermutlich war er auch nicht verarmt, sondern hatte Wohnrecht in der Fuggerei, weil er dort an Baumaßnahmen beteiligt war.

Fazit

Jakob Fugger schuf mit seiner Stiftung eine 500 Jahre alte Wohnanlage mit kleinen Reihenhäusern und Wohnungen von für damalige Zeit geradezu luxuriösem Zuschnitt, in der es sich noch heute gut leben lässt, die den Bewohnern ihre Selbstständigkeit lässt, aber auch Verantwortung und Gemeinsinn abverlangt.

Die Grundidee: nicht Almosenempfang oder wie später „Umerziehung“ in Arbeitshäusern, sondern Hilfe durch Selbsthilfe sollten die Ehre, Selbstachtung und den Stand wiederherstellen – ist ein erstaunlich modernes Konzept aus dem 16.Jahrhundert, das sich bis heute bewährt hat.

Die Differenzierung zwischen unverschuldet in Not geratenen einerseits und andererseits Armen, die arbeitsunwillig und auf Dauer auf Unterstützung durch die Allgemeinheit angewiesen sind, sowie die Erkenntnis vom Nutzen menschlicher Arbeitskraft, die zu erhalten nicht mehr nur christliches Gebot, sondern wirtschaftliches Kalkül ist, kennzeichnet den Beginn der Neuzeit; das erkannt und in die Tat umgesetzt zu haben, ist Verdienst Jakob Fuggers. Auch wenn mittelalterliche Frömmigkeit der Anlass für die Stiftung war, wies die Fuggerei weit in die Zukunft.

Quellen und Informationen:

Prekariat im 19. Jahrhundert: Armenfürsorge und Alltagsbewältigung in Stadt und Land (Materialien zur Geschichte der Fugger) (German Edition) . Wißner-Verlag. Kindle-Version.

Alle Bilder:
https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Fuggerei?uselang=de

Zum Nachlesen und Weiterforschen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Fugger
http://www.fugger.de/de/fuggerei.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Augsburg#Geschichte
https://de.wikipedia.org/wiki/Franz_Mozart_(Baumeister)

mit Bildern:
https://www.wiwo.de/politik/deutschland/fuggerei-augsburg-ein-besuch-in-der-aeltesten-sozialsiedlung-der-welt/20473818.html