von Ute Lenke
Die Liebe zu Europa geht (auch) durch den Magen
Ungarn
Meine frühesten Eindrücke von Europa waren lukullischer Art:
Da 
kam zunächst Elisabeth: sie war Flüchtling aus Ungarn, half meiner 
Mutter im Haushalt und kochte ein phantastisches Gulasch: scharf, würzig
 mit zartem Fleisch – nicht angebrannt und mit zähem, fettrandigen 
Fleischstücken wie bei meiner Mutter. So bekam ich einen Eindruck von 
Europa als noch nicht einmal die Bundesrepublik etabliert war.
Italien
Nach Ungarn lieferte mir dann Italien die nächsten Freuden: Mit den 
ersten Gastarbeitern aus Italien zogen auch deren Lebensmittel in die 
deutschen Lande: Spaghetti, Tomatenmark, Pizza, Gewürze wie Basilikum, 
Rosmarin und Knoblauch. Letzterer war in den 50er Jahren noch ein Horror
 für deutsche Gaumen und Nasen, und die armen Italiener mussten sich als
 Knoblauchfresser beschimpfen lassen. Italienische Restaurants und 
Pizzerien wurden aber bald gesellschaftsfähig und mancher deutsche 
Gaumen gewöhnte sich an die fremde Küche.
 Spaghetti al sugo mit 
„richtigem“ Parmesan ist noch heute mein Lieblingsgericht. Mit Schrecken
 denke ich an die deutsche Variante: matschige, zerkochte Nudeln , der 
Käse bestand aus einer gepressten, grünen Masse mit undefinierbarem, 
strengem Kräutergeschmack.
Reisen
Als Europa auch politisch immer einheitlicher wurde und Grenzen  fielen, wurden Reisen ins benachbarte europäische Ausland immer  beliebter und häufiger. Von jeder Reise in Schul- und Studienzeit,  später mit der ganzen Familie brachten wir Rezepte mit, die wir zu Hause  nachkochten. Das waren keineswegs die bekannten und raffinierten  Gerichte. Die Pizza wurde schnell das Lieblingsessen unserer Kinder,  dazu Zwiebelkuchen und Flammkuchen aus dem Elsass, Fisch und  Bouillabaisse aus der Bretagne, Palatschinken und Marillenschnaps aus  Österreich. Aus England kamen Fish&Chips, Plumpudding, englische  Frühstücksgewohnheiten, Tee und Scones auf den heimischen Tisch. In  Dänemark waren brune kager, Brunsviger und Snaile, natürlich auch rode  grode med flode und smörre brod in bester Erinnerung. Holländische  Matjes und Kibbelinge gehören auch heute noch zu jedem Einkaufsbummel in  den für uns im Ruhrgebiet nahen Niederlanden. Griechenland imponierte  uns mit Bauernsalat, Gyros und Lammbraten, aus Teneriffa brachten wir  die Vorliebe für Tortillas und Tapas mit.
Unsere neueste Entdeckung  ist isländisches Vulkanbrod: ein Roggenbrot, das aus Mehl, Wasser,  Sirup, Milch und Hefe über Nacht in Milchkartons bei 100° eher  getrocknet als gebacken wird. In Island backt man es in heisser  Vulkanasche oder im Geysir. Aber auch im Herd wird es zu einer Art  Pumpernickel und schmeckt köstlich.
 
Einkaufen
Die Liste ließe sich beliebig verlängern; jedes Land hat Spezialitäten, die es zu entdecken gilt und die den heimischen Speisezettel und den nationalen Horizont erweitern. Mittelmeerküche wird nicht nur Herzkranken empfohlen, sie schmeckt auch Gesunden.
Heute ist es für uns selbstverständlich, dass wir die Zutaten für die europäische und sogar internationale Küche in fast jedem Supermarkt kaufen können. Auch die Preise sind kaum anders als in den Herkunftsländern: es gibt keinen Zoll mehr, die Währung ist einheitlich in €.
Europäische Gerichte sind aus unserem Speiseplan nicht mehr wegzudenken und selbst Euroskeptiker genießen sie wie selbstverständlich.
Der Philosoph Ludwig Feuerbach sagte einmal: der Mensch ist, was er isst – danach sind wir also heute längst alle Europäer.

