von Thomas Hirth
Neulich legte ich beim Bezahlen im Bäckerladen eine 2 € Münze auf den Tresen und sagte dazu: „Da drin habe ich einmal gewohnt.“ Die Verkäuferin war verunsichert, bis ich sie darauf aufmerksam machte, dass auf der Münze das Kloster Maulbronn abgebildet sei, das 1993 von der UNESCO zum Weltkulturerbe erklärt wurde. Im Jahr 2013 erschien diese Münze in einer Serie, mit der die einzelnen Bundesländer mit jeweils einem besonderen Baudenkmal vertreten sind. Und für Baden-Württemberg steht das Kloster Maulbronn. Das ist fast symbolisch, denn Maulbronn liegt im äußersten Südwesten des ehemaligen Württemberg, hart an der ehemaligen Grenze zu Baden.
Das Besondere der Klosteranlage
a) Konventsgebäude
Seine Lage war aber nicht der Grund dafür, dass Kloster Maulbronn von der UNESCO als Weltkulturerbe klassifiziert wurde. Der Grund ist der, dass das Kloster Maulbronn die am besten erhaltene mittelalterliche Klosteranlage nördlich der Alpen ist. In Maulbronn ist nicht nur das eigentliche Kloster, die Konventsgebäude mit Kirche, Kreuzgang und Nebenräume wie Speicher, Kapitelsaal, Refektorien (Speiseräume der Mönche), fast vollständig erhalten. Zudem lässt sich an den Gebäuden Architekturgeschichte ablesen, von der Mitte des 12. Jahrhunderts (das Kloster wurde 1147 gegründet) bis ins 15. Jahrhundert, – neben dem Eingang zur Klosterkirche mit seinem Vorbau, dem sog. „Paradies“ im Stil der burgundischen Frühgotik und dem Herrenrefektorium im gleichen Stil, z.B. auch an den Fensterformen des Kreuzgangs: von schlichten romanischen Fenstern über einfaches und immer reicheres gotisches Maßwerk bis zu schlichten abstrakten Formen der spätesten Gotik am Ende des 15. Jahrhunderts.
b) Die Wirtschaftsgebäude
Erhalten geblieben sind sie, weil sie durch die Jahrhunderte benutzt wurden, wenn auch für wechselnde Aufgaben. Ein riesiger Speicher mit beindruckenden Dachgauben aus dem 16. Jahrhundert wurde zum Festsaal der Gemeinde Maulbronn umgebaut. In der ehemaligen Klostermühle befindet sich die Jugendherberge. Die Klosterschmiede ist heute ein Restaurant. Das Gebäude des klösterlichen Bursarium wurde im Herzogtum zum Kameralamt (Finanzverwaltung) und bekam 1742 einen Neubau, der 1897 noch eine Fachwerkimitation erhielt. Der ehemalige Pferdestall ist heute das Rathaus der Stadt Maulbronn. Weitere im Kern mittelalterliche Bauten sind die ehemalige Speisemeisterei, die Bäckerei sowie weitere Gebäude, die später als Wohnungen genutzt wurden und werden. Zwar wurden einige Gebäude abgebrochen bzw. zerstört, so z.B. eine Kapelle am Eingang zum Kloster, der Torturm und das Klosterspital. Dennoch bietet die Klosteranlage eine Einheit. Dazu trägt sicherlich bei, dass bis heute eine praktisch geschlossene Mauer die Anlage, den geistlichen und weltlichen Bereich umgibt und zusammenhält. Davon sind auch noch zwei Türme erhalten, der sogenannte Faustturm und der Hexenturm.
Die Erhaltung
a) Seminar
Dass die Klosteranlage in ihrer Gesamtheit so gut erhalten geblieben ist, liegt daran, dass Kloster und Wirtschaftsgebäude auch nach der Reformation 1534 (im Herzogtum, damals „Wirtenberg“ genannt ) weiter genutzt wurden. In den eigentlichen Klosterräumen, der sog. Klausur, wurde 1556 eine kirchliche Schule eingerichtet, das Seminar. Ein Seminar ist eine Internatsschule, die man nach Bestehen einer zentralen Aufnahmeprüfung kostenlos besuchen durfte. Der Grund dafür lag darin, begabte Kinder aus ländlichen Gebieten zu fördern, die im 16.Jahrhundert keine Möglichkeit zu einem höheren Schulabschluss und einem Universitätsstudium hatten. So nutzte man die vorhandene „Manpower“ (so würde man heute sagen) zur Heranbildung von akademisch gebildeten Pfarrern und Lehrern, die das Rückgrat der Beamtenschaft des Herzogtums bildeten. Diese Schule besteht, wenn auch mit vielen Modifikationen, bis heute. So wurden die Klostergebäude auch nach der Aufhebung des Klosters genutzt und mussten instand gehalten wurden.
Heute dienen manche Räume neuen Zwecken. Schon länger hat die evangelische Kirchengemeinde ihre Gottesdienste im Winter in das schon ehemals heizbare Winterrefektorium der Mönche verlegt. Im Laienrefektorium finden im Sommer regelmäßig Konzerte statt.
b) Verwaltung
Zum Erhalt der Klosteranlage trug bei, dass Maulbronn durch kriegerische Ereignisse nicht in Mitleidenschaft gezogen wurde. Zwar präsentierte sich das Klosterareal in der Neuzeit nicht so proper wie heute. Es gab durchaus Verfall, der aber immer wieder behoben wurde. Weiterhin trug sicher auch dies zum Erhalt des Klosterareals bei, dass Maulbronn ein wirtembergischer Verwaltungssitz wurde, später sogar ein Oberamt (heute wäre das ein Landkreis). Das brauchte natürlich Räumlichkeiten, Büro und (Dienst-)Wohnungen für die Mitarbeiter in der Verwaltung. Für die wechselnden Nutzungen mussten die Gebäude immer wieder entsprechend angepasst werden.
c) Das herzogliche Jagdschloss
Mit der Einziehung des Klosterbesitzes im Zuge der Reformation kamen große Waldgebiete in der Umgebung Maulbronns in den Besitz der Herzöge von Wirtenberg. Diese Herren waren passionierte Jäger, und bauten sich 1588 im Klosterareal, gegenüber dem Herrenhaus im hinteren Klosterhof, ein Jagdschloss. Die für die Jagden nötige Infrastruktur (Verpflegung, Transport, Bedienung usw.) erforderte ebenfalls Räumlichkeiten, wie Speicher, Keller und Küchen, Ställe und Remisen für die Wagen und Kutschen. Vieles davon war von Klosters Zeiten her schon vorhanden. So wurde z.B. der noch aus Klosterzeiten im Kern gotische (Mar-)Stall weiter genutzt und baulich unterhalten, um 1600 erneuert und mit einem Renaissance-Giebel versehen.
Leben im Weltkulturerbe
Die durchgehende Nutzung der gesamten ehemaligen Klosteranlage bis zum heutigen Tag, trägt zu dem besonderen Ambiente des Ortes bei. Es hat ihn lebendig erhalten und davor bewahrt, zu einem (Freiluft-)Museum zu werden, wenn sich auch in den Sommermonaten die Touristen dort drängen.
a) Die Schüler
Die Schüler sind das gewöhnt. Die Erklärungen der Klosterführer an ihren einzelnen Stationen können sie auswendig. Wenn die Führung im Kreuzgarten am Brunnenhaus angelangt ist, skandieren sie den Text im Chor, – eine halbe Sekunde eher als der Klosterführer. Was dieser sagt wird zum Echo. (Das ist natürlich der Konzentration auf den Unterricht nicht immer förderlich, aber sehr amüsant.)
Die Vergangenheit ist natürlich ständig präsent. Natürlich ganz stark durch die Räume, in denen man lebt:, z.B. das Oratorium (Bild 8) mit seinen nur noch dekorativen Zwecken dienenden Kreuzrippen. Dann durch Einzelheiten: Durch Grabplatten der Äbte, die im Kreuzgang liegen und über die man mehr oder weniger achtlos hinwegging oder Namen früherer Seminaristen, die diese in den Stein der Fensterlaibungen des Kreuzgangs eingeritzt haben und so „fortleben“. Berühmtheiten wie Kepler, Hölderlin oder Hermann Hesse haben sich allerdings nicht verewigt.
b) Wohnen in historischem Gemäuer
Wohnen in historischem Gemäuer hat seinen eigenen „Flair“. So etwa ein Flur von 3 m Breite, die den tragenden Balken der Halle im Erdgeschoss des Herrenhauses (im hinteren Klosterhof), Baujahr 1508, Bauherr Abt Entenfuß) zu verdanken ist. Die Mauern der oberen Geschosse, die die Zimmer aufteilen, liegen direkt auf diesen mächtigen Balken auf. Als Wohnraum ist dieser Flur nur bedingt zu gebrauchen, – wenn auch Kinder dort wunderbar Dreirad fahren können, – im Winter ist der Boden sehr kalt; die Halle darunter ist offen und es kommt vor, dass sich auf den Fliesen, mit denen er belegt ist, nach dem Putzen im Winter Eis bildet…
Die erwähnten Balken haben sich im Lauf der 400 Jahre, in denen sie dort eingebaut sind durchgebogen – von unten her hat man Stützen eingefügt, – aber die Böden der darüber liegenden Räume müssen aufgefüttert werden. Erfolgt das nicht, kann es sein, dass die Schräge so stark wird, dass man mit seinem Bürostuhl auf Rollen rückwärts vom Schreibtisch wegrollt, wenn man nicht entsprechendes Bremsen vorsieht…
c) Im Kreuzgang
Touristen sind überall. Aber am Abend „gehört“ das Kloster wieder den Bewohnern. Wenn man dann das Glück hat, einen Schlüssel zum Kloster zu besitzen, hat man dieses abends für sich allein. Im Kreuzgarten herrscht Stille, man lauscht dem Sonnenuntergang nach, lässt den Blick an den Fenstern des Kreuzgangs (Bild 9) entlang gehen, man blickt auf die Klosterkirche und kann sich hinter den Mauern den Lettner, das geschnitzte Chorgestühl und den steinernen Kruzifixus vorstellen, man hat die Front mit den zugemauerten romanischen Fensteröffnungen vor sich, hinter denen die Schlafräume der Mönche lagen und heute die Wohnräume des Seminars liegen. Von dieser besonderen Atmosphäre können auch die Besucher der Konzerte etwas spüren. In den Pausen geht man in den Kreuzgang; an den langen Sommerabenden ist es noch nicht ganz dunkel und man kann Romantiker verstehen, die für diesen Eindruck weite Anfahrtswege auf sich nehmen.
d) Brunnen
Im Hintergrund ist immer der Brunnen zu hören , das Wahrzeichen des Klosters. Er ist aber nicht der einzige. Es gibt noch eine Reihe anderer im Klosterareal. Im vorderen Klosterhof ist ein Brunnen. Dann gibt es noch den Brunnen im Garten hinter dem Herrenhaus, wo die Anwohner gelegentlich das Wasser für den Nachmittagskaffee holen. Einer der schönsten ist in seiner Schlichtheit der Brunnen zwischen Jagdschloss und Herrenhaus. An ihm haben Kinder ihre Freude, wenn auch das Spielen an und mit dem Brunnen von den Aufsehern über das Weltkulturerbe kritisch gesehen wird.
Es ist schon etwas Besonderes in einem Bereich gelebt und gearbeitet zu haben, der jetzt zum Weltkulturerbe erklärt worden ist. Zehn dieser Bilder sind in den Jahren 1970/71 entstanden, die Dias wurden jüngst digitalisiert. Wenn wir mit unseren Enkeln in Maulbronn verweilen werden die Erinnerungen an meine erste Arbeitsstelle und unsere Familiengründungszeit wiederbelebt.