Eine Stadt als Weltkulturerbe

von Horst Westphal

Als erste Stadt in Deutschland wurde Lübeck von der UNESCO im Jahr 1987 unter den Schutz des Weltkulturerbes gestellt. Nachdem vorher nur Einzelbauwerke, wie z.B. der Aachener Dom diesen Titel erhalten hatten, wurde hier die das Stadtbild prägende historische Bausubstanz aus dem 13. bis 15. Jahrhundert und die Bemühungen um ihre Erhaltung gewürdigt.

Lübeck

Lübeck lernte ich 1945, wenige Wochen nach Kriegsende, kennen. Als 15jähriger war ich 1944 mit meiner Berliner Schulklasse als Luftwaffenhelfer eingezogen worden, zuletzt in britische Kriegsgefangenschaft geraten und wegen meines jugendlichen Alters nach sechs Wochen entlassen worden. So landete ich in der alten Hansestadt.

Die Zerstörungen des Bombenkrieges

Der Anblick war furchtbar. Ein Fünftel der etwa 100 Hektar großen, von Wasserläufen umgebenen Altstadt war zerstört – die Folge eines einzigen Luftangriffs der Royal Air Force in der Nacht zum Palmsonntag 1942. Es fielen – wie man heute weiß – 8.500 Bomben und vernichteten rund 1.000 Häuser und fünf der berühmten sieben Türme. Das war der Auftakt zu den über Jahre andauernden, verheerenden Flächenbombardements deutscher Städte.

Die Lübecker Vororte entgingen diesem Schicksal, aber auch in der Altstadt blieben im Zentrum des Bombardements wie durch ein Wunder einzelne der besonders wertvollen historischen Bauwerke erhalten. Das Holstentor gehörte dazu, das prunkvolle Rathaus aus der Hansezeit bekam nur einen kleinen Kratzer und auch das Heiligen-Geist-Hospital – heute von den Touristen bestaunt – blieb stehen. Von Thomas Manns Buddenbrookhaus blieb allerdings nur die Fassade stehen.

Nach meiner Ankunft in Lübeck lief ich durch Trümmerberge. Die sieben Türme gab es nicht mehr. Marienkirche, Dom und St. Petri waren schwer beschädigt, ihre Türme ausgebrannt und eingestürzt. Hier bewiesen die Lübecker ihren Bürgersinn: Mit Hilfe großer Spendensammlungen waren bereits bis zum Jahr 1960 die zerstörten Kirchtürme wiederhergestellt.

Auch damals: Heimatlose Flüchtlinge

Ich brauchte damals Arbeit, um eine Lebensmittelkarte zu erhalten. Freiwillig meldete ich mich für eine Tätigkeit in der von der Stadt ins Leben gerufenen Flüchtlingssuchaktion. Sie war gebildet worden, weil Hunderttausende von Vertriebenen, vor allem aus Ost- und Westpreußen im Lübecker Raum gestrandet waren und nach ihren Angehörigen suchten, von denen sie auf der Flucht getrennt wurden.

Diese Suchaktion war damals eine segensreiche Idee, die heute schon fast in Vergessenheit geraten ist. Ich führte ein Jahr lang die Ostpreußenkartei, bis die vorher hermetisch abgeschlossene Zonengrenze erstmals ein Zug nach Berlin passieren durfte. Ich fuhr nach Hause und ging wieder zur Schule.

35 Jahre später: Ein Stadtbild wurde saniert

Näher lernte ich Lübeck erst kennen, als ich aus beruflichen Gründen in die Stadt wechselte. Damals war die Sanierung der erhalten gebliebenen vier Fünftel der Altstadt bereits in vollem Gange. Man hatte erkannt, dass wegen der durch die Vernachlässigung der Bausubstanz in Kriegs- und Nachkriegszeiten den historischen Kaufmanns- und Bürgerhäusern der Abriss drohte.

Es waren die Einwohner selbst, die das nicht wollten. Es entstand die Bürgerinitiative Rettet Lübeck und gab den Impuls zu einem großen Sanierungsprogramm. Das Bewusstsein, historische Stadtquartiere zu erhalten, anstatt sie abzureißen und neue Häuser zu bauen, griff von Lübeck auf viele andere zerbombte Städte über. Lübeck bildete zum Erfahrungsaustausch eine Arbeitsgemeinschaft mit Bamberg und Regensburg, die ähnliche Probleme hatten.

Seit dem Erlass des Städtebauförderungsgesetzes 1972 flossen nach Angaben der Stadtverwaltung über 300 Millionen Mark in Sanierungsmaßnahmen in der Lübecker Innenstadt. In den letzten zehn Jahren wurden jährlich etwa 12 bis 15 Millionen Mark öffentliche Gelder der Sanierung zugeführt. Obwohl seit 1990 die staatliche Förderung stark reduziert wurde, werden auch heute noch im gesamten Altstadtbereich Häuser restauriert und dem heutigen Wohnkomfort angepasst – immer unter den gestrengen Augen der Denkmalschutzbehörde.

In die Welterbe-Liste aufgenommen

Die Erfolge der Stadtsanierung waren so eindrucksvoll, dass das Welterbe-Komitee der UNESCO mit dem mittelalterlichen Stadtkern der ehemaligen „Königin der Hanse“ erstmals in Nordeuropa einen ganzen Stadtbereich als Welterbe anerkannte. „Die Altstadt stellt als Gesamtkunstwerk ein hervorragendes Beispiel eines Siedlungsgebietes dar, das einen bedeutsamen Abschnitt in der Entwicklung der Menschheit versinnbildlicht“, so wird die Begründung der Ausschussmitglieder zitiert.

Heute legt Lübeck nicht nur Wert auf die Erhaltung historischer Bausubstanz. Auch Neubauten nehmen die Bürger durchaus kritisch unter die Lupe. Stadtbildpfleger und ein Architektengremium beurteilen die Pläne vor der Baugenehmigung.

Neubau nach alten Vorbildern

Ein besonderes Beispiel ist die erst in den letzten Jahren fertiggestellte Planung für den Neuaufbau des Gründungsviertels in einem Bereich unterhalb der Marienkirche Auf 38 Grundstückparzellen soll, so heißt es, ein zukunftsweisendes lebendiges Quartier mit individuellem Wohnen und Arbeiten entstehen. Dabei sollen auf mittelalterlichen Parzellen giebelständige Stadthäuser entstehen, die sich an den historischen Vorbildern orientieren.

Dieses Projekt wurde – auch wegen der Auflagen der Weltkulturerbe-Konvention – mit großem Aufwand realisiert. Es gab eine „Gründungs-Werkstatt“, in der Bürgerinnen und Bürger engagiert ihre Ideen und Vorstellungen einbringen konnten. Der Lübecker Gestaltungs- und Welterbe-Beirat wurde an der Planung ebenso beteiligt, wie das ArchitekturForumLübeck. Europaweit schrieb man einen Ideenwettbewerb zur Fassadengestaltung aus.

Inzwischen sind die ersten Bauarbeiten begonnen worden.