von Helmke Hennig
Vor Hunderten von Jahren wurde im ländlichen China eine etwas abwegige Idee ausgebrütet: das tausendjährige Ei. Die Überlieferung sagt, dass ein Bauer konservierte Enteneier in einem schlammigen Teich mit Wasser und gelöschtem Kalk fand. So entstand eine Delikatesse, die sich seit Jahrhunderten als ‚Komfort‘ Essen in Hongkong, China und Teilen Südostasiens eingebürgert hat.
So wird’s gemacht
Nachdem der Bauer das Probieren lebend überstanden hatte, war sein nächster Schritt, das bewusst nach zu machen. Natürlich sind über die Entdeckung keine schriftlichen Belege erhalten, aber China-Kenner schätzen, dass die Herstellung von tausendjährigen Eiern mindestens 500 Jahre alt ist und aus der Ming Dynastie stammt. Abgesehen von der industriellen Herstellung heute ist der Ei -Konservierungsprozess relativ unverändert geblieben.
Zur Herstellung der Eier wird ein Fass mit einer Brühe von starkem schwarzen Tee, gelöschtem Kalk, Salz, frischer Holzasche, sowie Sägespänen gefüllt. Das muss dann über Nacht abkühlen. Am nächsten Tag werden Enten-, Wachtel- oder Hühnereier eingelegt und sieben Wochen bis fünf Monate mariniert.
Geschmackssache
Tausendjährige Eier sind unter vielen anderen Namen bekannt, so wie fermentierte Eier, hundertjährige Eier oder chinesische Eier. Doch egal wie das Ei heißt, diese allgemeinen Appetitshappen kann man überall bekommen: Einkaufladen, Restaurants und am Reis- Stand. Um ehrlich zu sein – man muss sich an den Geschmack erst gewöhnen, sie fallen in die selbe Sparte wie Hühnerfüße oder Schlangen- Suppe.
Kann man das essen?
Erstmal muss man den Anblick überwinden. Man bekommt nicht weiß mit leuchtend orangem Eigelb, sondern ein geleeartiges Ding mit dunkelbraunen und sumpfgrünen Schattierungen. Auch der Geruch ist umwerfend: reines Hirschhorn-Salz. Das führte zu dem unfeinen Spitznamen ‚Pferde-Urin-Ei‘. Trotz Aussehen und Geruch wachsen viele Kinder in China damit auf, und es wird dann ein Teil ihrer geliebten Jugenderinnerung. Denn Mütter verwöhnten ihre Kinder mit Reis und einem tausendjährigen Ei als Tröstung für viele Kindersorgen.
Wo findet man welche?
Tausendjährige Eier wurden von Bauern und Dorfbewohner seit Hunderten von Jahren selbst hergestellt. Aber sie erschienen auch auf den Speisekarten von Restaurants in Hongkong, als einige bekannte chinesische Küchen-Chefs in den 1940er Jahren vor Maos Revolution flohen. Natürlich brachten sie auch ihre Rezepte von regionalem Gerichten mit. So entstanden die berühmtesten Restaurants in Hongkong, wie zum Beispiel ‚Yung Kee‘. Deren Spezialität ist Gänsebraten mit einer Vorspeise von tausendjährigen Eiern, serviert auf einem Bett von leuchtend rosa Ingwer. (Das Fortbestehen des Restaurants ist leider fraglich denn die Familienmitglieder prozessieren.)
Psychologische Barriere
Ausländer betrachten tausendjährige Eier mit Vorsicht. Sie sind fast schwarz, hässlich klebrig und grün, mit einem penetranten Geruch. Aber das ist alles nur psychologisch – genauso wie die Idee, Limburger Käse zu essen. Da reden die Liebhaber auch nur von sehr aromatischem Geruch und würzigem Geschmack. Tausendjährige Eier haben ein verhältnismäßig großes Eigelb, das grünlich-gelb und von konzentrischen Ringen von braun, grün und marineblau umgeben ist. Die Farben zeigen die verschiedenen Phasen der Marinierung an, denn je größer und verlaufender das Eigelb ist, desto besser. Ähnlich wie beim Limburger ist der Geschmack nach dem Geruch völlig unerwartet. Das Ei ist überraschend cremig, wie Samt und saftig, zusammen mit den süßen und würzigen Ingwer Scheiben werden diese tausendjährige Eier als Vorspeise zur Geschmacks- Sensation.
Wann isst man sie?
Tausendjährige Eier isst man in China eigentlich den ganzen Tag: Frühstück, Abendessen, und als Snack oder Vorspeise. Weinliebhaber sind überzeugt, dass sie vollendet zum Bordeaux und Sekt passen. Die Eier werden auch in Backwaren benutzt. Als die ‚Dim-Sum‘ Konditorei 1920 aufmachte, war ihre Spezialität tausendjährige Eier in goldbraunem knusprigen Blätterteig. Das relativ einfache Rezept hat sich nie verändert, es besteht immer noch aus einem tausendjährigen Ei, eingelegtem Ingwer, Blätterteig und Bohnenpaste. Dieses Traditions- Rezept wird an jeden ’sifu‘ Bäcker der Konditorei weitergegeben. Das Ergebnis ist ein knuspriges und butterweiches Gebäck mit einem weichen, gut gewürzten Ei innen. Das Geheimnis ist das richtige Ei, eines das nicht zu hart oder zu weich ist.
Wie wird es weitergehen?
Die älteren chinesischen Generationen und neugierige Touristen sind noch immer die besten Kunden, denn leider ist die jüngere Generation nicht mehr an traditionellen Gerichten mit fermentierten Zutaten interessiert – die wollen nur noch ‚Burgers‘.
Obwohl die Zukunft dieser Köstlichkeiten etwas unsicher ist, kann man nur hoffen, dass dieses kulinarische Erbe erhalten bleibt. Schließlich soll keinem der Genuss der Kindheitserinnerung genommen werden, wie auch schon Proust sagte (Auf der Suche nach der verlorenen Zeit)!
Bildquellen:
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