von Hildegard Neufeld
Brot gehört zu den ältesten Grundnahrungsmitteln der Welt und hat sich inzwischen auch zum Genussmittel entwickelt. Die Brotvielfalt ist laufend gewachsen. Mit etwa 300 verschiedenen Brotsorten führt Deutschland in Europa das breiteste Sortiment.
In meinem Elternhaus
Ich bin zwischen den beiden Weltkriegen in einer traditionsreichen Bauernfamilie mit zwei etwas älteren Geschwistern aufgewachsen. Nahezu alle unsere Nahrungsmittel bestanden aus selbst angebauten und erzeugten Produkten, wie auch das Brot, das meine Mutter für uns gebacken hat, oder das kräftige dunkle Vollkornbrot, das der Dorfbäcker für die landwirtschaftlich Beschäftigten aus unserem Getreide buk und regelmäßig auslieferte.
Zu jeder der drei Hauptmahlzeiten (Frühstück, Mittagessen und Abendbrot) versammelten wir uns gemeinsam am Familientisch, während das Personal in eigenen Räumen speiste. Das Abendessen bestand nicht nur aus Brot, sondern werktags aus warmen Mahlzeiten, die meine Mutter zubereitete.
Zum Frühstück und nachmittäglichen Vesper gab es am Familientisch fast ausschließlich Brot und Butter. Dazu wurde Gerstenkaffee und Milch getrunken. Die landwirtschaftlich Beschäftigten erhielten natürlich Beilagen, wie Wurst und Käse, zu ihrem Brot.
Das Schulfrühstück und meine Brottasche
Als ich eingeschult wurde, war ich stolze Besitzerin einer nagelneuen Brottasche. Meine Eltern meinten, dass ein Schulranzen zu schwer für mich sei, und überzeugten meine etwas ältere Schwester, dass in ihrem Schulranzen noch genügend Platz für meine Schiefertafel, Bücher und Schreibutensilien sei. Ihr Frühstücksbrot durfte in meiner Brottasche Platz nehmen.
Meine Mutter sorgte regelmäßig für nahrhafte Wurstbrote für ihre Töchter, und ich vergaß nie, meine Brottasche zu schultern, war sie doch ein Zeichen meiner neuen Würde als Schülerin. Das nahrhafte Frühstücksbrot hat uns Schwestern nur selten interessiert, zumal wir regelmäßig gefrühstückt hatten. Dagegen wurde es sehr bald schon von unseren Mitschülern erwartet, die es als Leckerbissen werteten. Damals landete kein Brot in den Papierkörben.
Heute kommen zwei von drei Kindern ohne Pausenbrot in die Schule, schrieb kürzlich die „Initiative Gesundes Pausenbrot“ im Internet unter dem Motto „Starke Pausenbrote für starke Schüler“ und warb für regelmäßige und gesunde Frühstücksbrote.
Die Hungerjahre – oder Brot auf Lebensmittelmarken
Noch während meiner Schulzeit erhielt das Brot in der Lebensmittelversorgung der Bevölkerung einen wohl kaum erwarteten Stellenwert und rangierte lange Zeit unter den „bewirtschafteten Lebensmitteln“.
In Deutschland wurden am 28. August 1939 Lebensmittelmarken ausgegeben. Die Lebensmittelversorgung wurde bis 1941 im Allgemeinen noch als befriedigend gesehen. Im April 1942 kam es jedoch zu drastischen Einschnitten: die Brotration für Normalverbraucher wurde von 9,6 kg auf 6,4 kg im Monat gekürzt, und die Fleischzuteilung von 1600 g auf 1200 g. — In den Berichten der SS wurde gemeldet, die starken Kürzungen hätten auf einen großen Teil der Bevölkerung niederschmetternd gewirkt, denn die Erinnerung an die Hungerwinter 1917/18/19 war im kollektiven Gedächtnis noch präsent.
Die wöchentlichen Lebensmittelrationen wurden im Zweiten Weltkrieg wiederholt gekürzt und beliefen sich beispielsweise für Brot eines Normalverbrauchers:
im September 1939 auf 2400 g – im April 1942 auf 2000 g – und im März 1945 auf 1778 g.
Im Internierungslager
Von 1945 bis 1947 war ich als Ostflüchtling in Dänemark interniert und lebte dort unter anderen Bedingungen als die Bewohner der im Krieg zerstörten Städte und Ortschaften in Deutschland. Gehungert haben wir in Dänemark nicht, wenn wir auch oft nicht richtig satt wurden. Mittags gab es eine warme Mahlzeit, morgens und abends Tee und Brot, das stets für einige Tage in genau zugemessenen Portionen zugeteilt wurde. Nicht selten wurde das Brot sofort gegessen, dann hieß es, mit knurrendem Magen bis zur nächsten Zuteilung auszuharren.
Im Internierungslager haben wir nicht nur den Wert des Brotes, sondern auch seine Vielseitigkeit erkannt. Beispielsweise ließ es sich erfolgreich als Tauschmittel verwenden. Etwa zwei Scheiben Brot für eine Strick- oder Häkelnadel oder die doppelte Menge Brot für einen Kochlöffel.
An Geburtstagen und Festtagen haben wir manchmal aus wenigen Scheiben Brot mit etwas Margarine und Marmelade, leckere „Torten“ gefertigt. Unserer Phantasie waren hier keine Grenzen gesetzt, nur an den Zutaten mangelte es.
Die Währungsreform
Nur einige Monate nach meiner Ankunft in Deutschland überraschte mich am 20.06.1948 die Währungsreform. Plötzlich waren die Läden wieder voll mit all jenen Waren, die man jahrelang nicht mehr hatte kaufen können. Mich beeindruckten vor allem die drei frischen Frühstücksbrötchen, die wir – ich lebte damals in einem Studentenheim — morgens auf unserem Teller fanden, und die, ohne Krümel zu hinterlassen, sofort verzehrt wurden.
Ein Brötchen kostete damals 5 oder 6 Pfennig, ein Zweipfund-Brot 72 Pfennig und eine Laugenbrezel 10 Pfennig.
Die zu Beginn des Zweiten Weltkrieges in Deutschland eingeführten Lebensmittelmarken
wurden nun abgeschafft, und zwar in der Bundesrepublik 1950 und in der DDR 1958.
Ernährungsgewohnheiten heute
Schon mehr als ein halbes Jahrhundert lang sind Hunger und Mangelernährung bei uns in Europa kein Thema mehr, jedenfalls sofern es uns nicht persönlich betrifft. Es stehen uns heute deutlich mehr Lebensmittel zur Verfügung als wir benötigen, und wir können unter vielen unterschiedlichen Angeboten und Sorten wählen.
In keinem anderen Land gibt es beispielsweise so viele Brotsorten wie bei uns in Deutschland. Von 300 Brotsorten und noch weit mehr Brötchenspezialitäten ist die Rede. Und das hat einen Grund:
Immer mehr Verbraucher haben sich zu Genusskonsumenten entwickelt, und die Produktion und das Angebot berücksichtigen die neuen Wünsche und Bedürfnisse der Konsumenten und verändern oder erweitern ihr Sortiment.
Veränderte Essgewohnheiten
Früher haben die Menschen in der Regel täglich drei Mahlzeiten zu sich genommen, und das gemeinsam mit der Familie. Das änderte sich erst zur Zeit der Industrialisierung, als der Lebensunterhalt überwiegend außerhalb des eigenen Wohnbereichs erwirtschaftet wurde.
Inzwischen hat die Arbeitsmobilität stark zugenommen, und die wenigsten Berufstätigen arbeiten so nahe ihrem Zuhause, dass sie die Mittagspause daheim verbringen können. Hinzu kommt die zunehmende Berufstätigkeit der Frauen, so dass die Zubereitung des Mittagessens oft gar nicht möglich ist, mit der Folge, dass viele Menschen heute ihr Mittagessen an ihrem Arbeitsplatz, in der Kantine, einem Restaurant oder als Schüler in der Mensa einnehmen.
Ich habe im Laufe meines Lebens verschiedene „Mittagessen-Stationen“ kennen gelernt und auch genutzt. Am deutlichsten erinnere ich mich an meine „Rund-um-die-Uhr“-Vollkorn-Brotmahlzeiten. Schon damals konnte man das Brot in Scheiben geschnitten und fest verpackt kaufen. Die vielen Brotsorten und das leckere Brötchenangebot habe ich allerdings erst entdeckt, als ich schon im Ruhestand war.
Unsere moderne Ernährung heute
Nicht nur die Verzehr- und Einkaufsgewohnheiten der Verbraucher haben sich geändert, auch das Backwarenangebot ist anders und vor allem vielfältiger geworden. Die Verbraucher haben heute die Wahl zwischen mehreren Varianten unserer Backwaren und der Produkte anderer Länder. Infolge der zunehmenden Mobilität und den neuen Kommunikationstechniken ist das Angebot größer und vielfältiger geworden.
Das traditionelle Abendbrot, wie es in meiner Kindheit noch üblich war, wird immer häufiger durch eine Kurzmahlzeit oder einen Imbiss ersetzt, der nicht selten aus einer gelieferten Pizza oder Fast Food besteht. Das hat zur Einschränkung des Brotverbrauchs geführt.
Schon seit Jahrzehnten habe ich meine tägliche „dritte Mahlzeit“ komplett gestrichen. Auslöser hierfür waren vor allem meine langen Arbeitszeiten, die anschließend sehr bald in die Nachtruhe überwechselten. Später wurde mir der Verzicht auf das Abendessen zur Gewohnheit, die mir auch gestattete, schon nachmittags einen Imbiss einzunehmen, der sich vorzugsweise aus leckeren Backwaren zusammensetzte.