von Elisabeth Grupp
Es war der Beginn des zweiten Weltkrieges.
Man schrieb das Jahr 1939, als wir drei Geschwister am Tisch saßen und zu unserer Mutter sagten: „Einen Hefezopf ohne Glasur essen wir nicht.“
Auch im Brotkasten waren Brotreste zu finden, der Wohlstand war mäßig, aber dennoch gab es gewisse Ansprüche von Seiten der Kinder.
Die folgenden Jahre
Schon in den ersten Jahren gab es Lebensmittelkarten. Da wir auf dem Land wohnten mit Haus, Scheune und Garten war in fast allen Haushalten ein kleiner Nebenerwerb vorhanden. Wir hatten zwei Ziegen, die alle den Namen des Besitzers trugen, ein Schwein, mehrere Hühner und Hasen, Gänse, die einen Wachhund ersetzten, eine Katze und einen Hund. Natürlich war dadurch bei uns Kindern in der Futterbeschaffung eine Mithilfe angesagt.
In der Weingegend war ein Weinberg selbstverständlich, und so hatten wir Wein und Most. Wir waren in Sachen Grundnahrung mit Essen und Trinken gut versorgt.
Vorratsbeschaffung
Durch Erfahrung aus dem ersten Weltkrieg waren meine Eltern bestrebt, die erhaltenen Lebensmittelmarken in Waren einzutauschen, es wurde Essens-Vorrat angelegt.Der Keller diente zur Aufnahme aller Produkte unserer Lebensbedürfnisse. Besonders gefüllt war er im Herbst mit Heizmaterial, Most- und Weinfässern, Eingemachtem aus Obst und Gemüse, von der Schlachtung mit Fleisch und Wurst, sowie in Kalk eingelegte Eier.
Der Plan mit dem Vorrat ging nicht auf. Erstens kommt es anders, zweitens als man denkt. Ein paar Tage vor dem Ende des Krieges wird unser Haus und alles drum herum total ausgebombt.
In einem Leiterwagen, den der Luftdruck ausgeworfen hatte, fuhren wir mit Essensvorräten und Decken in den Wald. Dort hatte mein Vater für den Fall der Besatzung mit zwei anderen Männern zuvor einen Bunker gebaut. Bei unserer Ankunft waren schon mehrere Familien anwesend.
Es war an Ostern, als eine mutig beherzte Frau ins Dorf ging und mit einem Eimer Milch, ja sogar mit gefärbten Eiern zurückkam.
Am Ende des Krieges kam der Hunger
Nach der ersten Belagerungszeit durch die Franzosen kehrten die Familien ins Dorf zurück. Unsere Familie konnte beim Großvater auf engstem Raum Unterschlupf finden. Die Armut und die Enge der Wohnverhältnisse ist kaum zu beschreiben.
Unaufhaltsam schlich sich der Hunger ein, wir wurden nicht mehr satt. Eine Essensgier machte sich breit. Ein Arbeiter erhielt 1600 Kalorien, Kinder viel weniger, nur Schwangere und stillende Mütter wurden besser berücksichtigt.
Über eine längere Zeit erhielt jede Person 1000 g Brot in der Woche. Meine Mutter hat uns darauf den Besuch des Freibads untersagt, weil wir sonst abends vor Hunger weinten.
Das Mittagessen bestand oft aus Stampf-Kartoffeln geschichtet mit Dörrobst und oben etwas Butter in flüssiger Form (eine Tagesration pro Person 10 g.) Die Menge war nicht mehr teilbar.
Die Natur hatte ein Einsehen
Man aß unglaubliche Mengen, die durch den Magen marschierten, schlief mit Hunger ein und wachte hungrig auf. Das größte Geschenk war für mich das Ausstreichen vom leeren Schmalztopf, ich hätte am liebsten in Fett gebadet.
Jetzt hätten wir gerne unglasierten Hefezopf gegessen, der Brotkasten war meistens leer, nicht einmal Krümel waren vorhanden.
Die Natur in Feld und Wald hatte nach dem Krieg ein Einsehen. Der Waldboden war dick übersät mit Bucheckern, die man aufsammelte und da der Aufenthalt im Freien Hunger machte, aß man die Früchte, von denen meine Schwester eine Blausäurevergiftung bekam.
Um die Weihnachtszeit fand ich morgens im frischen Schnee ein paar Springerle, die jemandem vom Backblech gefallen waren. Sofort hob ich sie auf, brachte sie zum Bäcker und holte sie nach der Schule ab. Nun suchte ich einen stillen Platz, um allein nagend die harten jedoch köstlichen Brötchen zu essen.
Langsam wurde es besser
Irgendwann konnte mein Vater eine Ziege besorgen, die beim Großvater im Schweinestall eingestellt wurde. Leider hatten wir kein Heu und auch kein Stroh. Zur Beschaffung von Stroh (Einstreu) sammelten wir Laub im Wald. Auf dem Heimweg sah meine Mutter einen Schäfer mit seiner Herde.
Vor Müdigkeit und Schwäche liefen meiner Mutter die Tränen über das Gesicht und sie meinte: Ich würde ein Schaf mit Fell essen wenn ich es hätte.
Doch nun hatten wir Milch. Mein Vater konnte über seinen Betrieb eine Milch-Zentrifuge besorgen, die Milch und Rahm trennte und so wurde nach längerem Rahm-Sammeln Butter hergestellt.
Meine Mutter war sehr praktisch veranlagt. Durch ihre gute Beobachtung bei den Hausschlachtungen hat sie mit meinem ältesten Bruder ein kleines Schwein und eine Ziege schwarz geschlachtet, was damals sehr gefährlich war. Aus Tannenzapfen, gefüllt mit Strohblumen, machte sie für die Schaufenster in den Läden kleine Körbe oder fabrizierte Schuhbürsten, die meine ältere Schwester bei Geschäftsleuten anbot. Dafür brachte sie Wurst oder Mehl mit nach Hause.
Die Not macht erfinderisch
Mein Vater baute auf einem kleinen Acker Raps an. Wir hatten ja keine Landwirtschaft und so mussten wir immer einen Bauer finden der uns das Feld bestellte, es war so beschwerlich. Der Anbau gelang aber und nach dem Dreschen kam der Rapssamen in die Ölmühle. Ich werde nie das sättigende Glücksgefühl vergessen, als das Öl gelbgrün und dick in die Flasche floss.
Nur mit viel Fleiß und Ideen, manchmal oft mit Schläue, List, Kraft und Ausdauer, vor allem aber durch Gebet und Gottvertrauen sind wir durch diese schwere Zeit gekommen.
Wie unterschiedlich das Schicksal der Kriegskinder auch verlief, eines haben sie alle gemeinsam:
Der Hunger und die Entbehrungen haben sie geprägt.