von Ute Lenke
„Heimatkunde. Westfälische Juden und ihre Nachbarn“. So lautete der Titel einer Sonderausstellung im Jüdischen Museum in Dorsten.
Das Museum
Das Museum hat sich zur Aufgabe gemacht, die Spuren jüdischen Lebens in Westfalen aufzufinden und zum Verständnis jüdischen Lebens in der Vergangenheit und Gegenwart beizutragen. Eine ständige Dauerausstellung, die kürzlich beendete Sonderausstellung, Vorträge und Gespräche, Führungen, Exkursionen und Internetprojekte bieten vielfältige Gelegenheit, Kenntnisse der jüdischen Religion und Kultur zu gewinnen und zu vertiefen.
Das Jüdische Museum Dorsten wurde in den 1980er Jahren auf Initiative von S. Johanna Eichmann OSU gegründet; sie war Leiterin und ist nun Ehrenmitglied des Museums. Sie hat die Verfolgung im Nationalsozialismus überlebt, trat später in den Konvent der Ursulinen ein, war Direktorin des Dorstener Ursulinen-Gymnasiums; in ihren Lebenserinnerungen hat sie sich mit ihrer jüdischen Herkunft auseinandergesetzt.
Die Sonderausstellung
Bis zum 17.Mai 2015 zeigte die Sonderausstellung beeindruckende und oft erschütternde Lebenszeugnisse und Erinnerungsstücke, die zum Teil wieder gefunden, gerettet oder von Überlebenden bzw. deren Nachkommen zur Verfügung gestellt wurden. Man wird Zeuge des Alltagslebens von Schlachtern, Viehhändlern, Soldaten, Wandergesellen, Auswanderern, Holocaustüberlebender; es geht um den Kampf um Heimat– und Bleiberecht, Heimatschutz, Heimatverlust, Heimweh, mehrere Heimaten. Insbesondere geht es aber um die Fragen: haben Juden ein besonderes Verhältnis zu Heimat, was war und ist jetzt für sie Heimat? Wie war das nachbarschaftliche Verhältnis zwischen jüdischer und nichtjüdischer Bevölkerung vor und vor allem in Zeiten der Verfolgung?
Ein Schicksal
An Einzelschicksalen westfälischer Juden wird deutlich, wie sie als Nachbarn in den Alltag integriert waren.
Das Museum verwahrt 2 Poesiealben eines jungen Mädchens aus Gelsenkirchen, Margot Spielmann. Margot wurde 1926 geboren und erlebte und erlitt das Schicksal ihrer jüdischen Schwestern, wie zum Beispiel auch Anne Frank, deren Tagebücher bekannter wurden als Margots Poesiealben. Flucht, Entdeckung, Deportation, Konzentrationslager, medizinische Versuche und schließlich Ermordung wurden bekannt, weil eine Verwandte die Alben vor den Nazis retten, aufbewahren und weitergeben konnte. Erschütternd zu lesen sind die Eintragungen der Freundinnen und Angehörigen, wie z.B.: „Rüstig vorwärtsschreiten auf der Lebensbahn, immer tapfer streiten gegen Lug und Wahn“ – geschrieben zu einer Zeit, als sich die Bedrohungen bereits abzeichneten. Meist enden die Einträge mit den Worten: “Dies schrieb Dir zum steten Gedenken an Deine Freundin…“
Heimat heute
Einige Juden, die den Holocaust überlebt haben oder auswandern konnten, sind besuchsweise oder seltener: für immer nach Deutschland zurückgekehrt. Ihre Gefühle in und für Deutschland werden in Interviews, Briefen oder anlässlich der Ausstellung auch in persönlichen Vorträgen deutlich: die Gefühle sind sehr ambivalent, oft von Furcht, manchmal Ablehnung, aber auch von dem Wunsch nach Versöhnung und Sehnsucht geprägt.
Medien und Publikationen
Außer durch die Exponate in der Ausstellung nähert sich das Museum dem Thema „Heimatkunde“ durch ein Begleitbuch, ein Hörbuch und eine eigens eingerichtete Website.
In dem Begleitbuch steuern wissenschaftliche Analysen neben kleineren Schlaglichtern Vieles zum Wissen über jüdisches Leben, ihre Akkulturation in Westfalen, ihren Patriotismus und Ihre Bürgerrechtskämpfe, über Alltagsleben, Heimatverlust und Remigration bei.
In dem Hörbuch mit dem Titel „Und alles lebt, was einst mit mir hier lebte“ erzählt die Autorin Monika Walther die Geschichte jüdischen Lebens in Westfalen vor und nach der Shoah – vom Mittelalter bis in die höchst lebendige Gegenwart heutiger jüdischer Gemeinden.
Die Website heimatkunde-jmw bietet einen anschaulichen und fast unterhaltsamen Einstieg in das ernste und manchmal bedrückende Ausstellungsthema mit kurzen Geschichten, Hörbeispielen, Zitaten und Bildern. Sie soll nach Ausstellungsende als Archiv bestehen bleiben und ist unbedingt sehenswert.
Quellen und Links
Literatur:
Iris Nölle-Hornkamp (Hrsg. Für das Jüdische Museum Westfalen): Heimatkunde. Westfälische Juden und ihre Nachbarn, Essen 2014
J. Monika Walther: „Und alles lebt, was einst mit mir hier lebte“. Westfälische Heimat – Jüdische Nachbarn. Ein Hörbuch (erhältlich im Museumsshop oder über LWL-Medienzentrum)
Schalom. Zeitung des Jüdischen Museums Westfalen
Anschrift:
Jüdisches Museum Westfalen
Julius-Ambrunn-Straße 1
46282 Dorsten