Von Inga Engels
Feierlichkeiten in Lettland
Die Bräuche in Lettland, die heute gelebt und gefeiert werden, sind eine Mischung aus Traditionellem, Christlichem und Historischem (wie die Gründung des Staates). Die Zeitrechnung und Lebensweise der lettischen Stämme richtet sich an den sichtbaren Veränderungen in der Natur und somit am Sonnenverlauf aus.
Sonnenwende
Die Sonnenwende ist der Zeitpunkt, wenn der Tag am kürzesten oder am längsten ist. Auf Lettisch wird diese Zeit auch „Sonnenstand“ („saulstāvji“) genannt, weil einige Tage vor und nach der Sonnenwende der Sonnenstand sich nicht ändert. In Europa wird die Sommersonnenwende zwischen dem 20. und 22. Juni gefeiert, wenn der Tag am längsten ist. Die Wintersonnenwende, die am 21. oder am 22. Dezember liegt zeigt den Winteranfang an. Mit der
Christianisierung von Lettland im 13. Jahrhundert kamen die christlichen Gebräuche hinzu. Sie verdrängten jedoch die heidnischen Feierlichkeiten wegen der starren Gesellschaftsstruktur nicht.
Bezeichnung des Weihnachtsfestes in Lettland
Die Bezeichnung für Weihnachten auf Lettisch lautet „Ziemassvētki“, was so viel wie „Winterfest“ bedeutet und zeigt damit keine zwangsläufig vorhandene Verbindung zum Christlichen. Sie steht aber für beide Arten von Weihnachtsfeierlichkeiten – sowohl für die Wintersonnenwende als auch für die Geburt Christi. Die rein heidnische Feierlichkeit wird zudem auch „Bluķa vakars“, „Kaļedas“ oder „Ķūķu vakars“ genannt.
Balkenziehen
„Bluķa vakars“ bedeutet so viel wie „Balkenabend“ und beschreibt die Hauptattraktion des Abends. Die Zeit um die Wintersonnenwende ist eine sehr dunkle Zeit, weil die Sonne nur sehr kurze Zeit am Tag über den Horizont verweilt. Um aber nicht zu depressiv zu werden, wird traditionell bei diesem Fest nicht über die Dunkelheit, sondern über die Helligkeit geredet. Denn alle Aktivitäten, die bei der Feier vorkommen, sollen dazu dienen, der Sonne zu helfen, sich wieder Richtung Helligkeit zu wenden. Man nimmt einen Balken und zieht oder rollt ihn um das Haus herum über Hof, den Garten, über die Felder, durch das Dorf bis zu einem zentralen Ort. Das Ziehen des Balkens symbolisiert zum Einen die Sonne, der man nun hilft wieder auf den Sonnenberg“ hochzukommen. Daneben steht es aber auch für die eigene Stärkung und Reinigung von allem Veralteten und Unnötigem.
Das Ziehen von Balken geschieht nie leise, man hat immer verschiedene „Musikinstrumente“ dabei, die Lärm erzeugen. Denn Lärm und Zusammensein steht für das Leben und für die Gemeinschaft. Und mit Lärm kann man diejenigen aufwecken, die eingeschlafen sind, oder auch diejenigen vertreiben, die eventuell etwas Böses im Sinn haben. Wenn der Balken an seinem Ort angekommen ist, wird er verbrannt. Dabei werden auch die Kränze von der Johannisfeier (Sommersonnenwende) verbrannt und zeigt so die Wechselseitigkeit der Natur an.
Balkenabend
An diesem Abend der Wintersonnenwende geht die Feierlichkeit mit dem Verbrennen des Balkens nicht zu Ende. Nun kommt die Tätigkeit, die traditionell gesehen bis zum nächsten Morgen andauern sollte, es wird gegessen. – Dabei setzt man sich im Laufe des Abends neun Mal zu Tisch und isst neun verschiedene Gerichte. Die Anzahl der Gerichte steht für den Wohlstand – damit man immer genügend zu Essen hat. Einige der Gerichte sollten auf dem Tisch nie fehlen: „Kūča“ (oder „ķūķis“), graue Erbsen mit Speck, Schweinerüssel und Fisch. „Kūča“ ist ein Brei aus Graupen, Zwiebeln und Speck und symbolisiert die Wiedergeburt des Lichts. Der Schweinerüssel steht für Fruchtbarkeit bei den Menschen und in der Natur sowie für gutes Gelingen. Alles, das es in großer Vielzahl gibt – wie Erbsen oder auch Fischschuppen – steht für Reichtum.
Während des Festes wird sehr viel getanzt und gesungen. Dabei haben die Weihnachtslieder alle einen Refrain mit „kaladū“, „kalando“ oder Ähnlichem, wovon auch die dritte Bezeichnung des Weihnachtsfestes stammt. Neben einfachen Tänzen werden auch verschiedene Spiele gespielt. So spielt man das Spiel „Der Wolf frisst die Ziege“. Dabei steht der Wolf für die Dunkelheit und das Zicklein für das Licht. Am Ende des Spieles wird das Zicklein nicht vom Wolf aufgefressen, sondern beide tanzen miteinander. Der Wolf ist auch nicht böse, weil man weder in ewiger Nacht noch bei ewigem Tag leben kann – alles muss im Gleichgewicht sein. An diesem Abend verkleiden sich die Leute. Dabei gibt es die typischen Figuren wie Wolf, Ziege, Bär, Bärendresseur (er lässt den Bären tanzen), der Tod. Die Nacht der Sonnenwende ist auch dazu da, um verschiedene Rätsel zu raten und in die Zukunft zu schauen (wahrsagen).
Weihnachten in Lettland in der Sowjetzeit (1940 – 1991)
Während der Sowjetzeit war es verboten die Geburt Christi zu feiern. Weihnachten wurde als ein zurückgebliebenes Fest bezeichnet. In den Schulen und Betrieben wurde Neujahr mit einem Neujahrsbaum, Frostmann und Schneewittchen gefeiert. Zwar wurden auch die Neujahrsfeste, genannt „Eglītes“ („Tannenbäumchen“), in der Adventszeit gefeiert, jedoch die christlichen Weihnachtslieder waren verboten.
Diejenigen die Christi Geburt feierten, standen für die alte Ordnung und somit auch für die Ausbeutung der Arbeiter, denn nicht Gott bringt Wohlstand, sondern die Arbeiter mit ihrer Arbeit selbst. So wurde auch die christliche Aussage „Ehre sei Gott in der Höhe und Frieden auf Erden und den Menschen ein Wohlgefallen“ folgend interpretiert: Alle Geistlichen propagierten die Idee des Friedens, insbesondere den Frieden zwischen den verschiedenen Gesellschaftsklassen. Sie forderten die Arbeiter auf, ihre Feinde zu lieben und so mit dem Arbeiterkampf gegen den Kapitalismus aufzuhören.
Eine interessante Situation
Eine interessante Situation ergab sich im Jahre 1940. Nachdem Lettland in der Mitte des Jahres okkupiert und annektiert wurde, hat die neue Macht vergessen die Kalender anzupassen. So standen der 25. und 26. Dezember als Feiertage im Kalender. Es ergab sich die interessante Situation, dass man gegen christliche Feiertage protestieren musste, aber auch nicht arbeiten durfte, weil dies ja gegen das Arbeitsgesetz verstoßen würde. Somit wurden sowohl diejenigen verhöhnt, die Weihnachten feiern, aber auch diejenigen, die an diesen Tagen arbeiten wollten.
Ebenfalls als rückständig wurden die heidnischen Feierlichkeiten mit Sommer- und Wintersonnenwende angesehen und somit verboten. In den 80er Jahren mit der allgemeinen Veränderung in der Sowjetunion haben die Leute in Lettland nicht nur die eigene Sprache als schätzenswert, sondern auch die eigenen Traditionen wieder entdeckt. Die lettischen Farben, die Lieder, Tänze, das Essen und die Feste wurden zunehmend öffentlich gelebt und gefeiert.
Weihnachten heutzutage
Mit dem Zugsamenbruch der Sowjetunion und damit auch dem aufgehobenen Kirchenverbot kamen die traditionellen christlichen Weihnachten wieder in den Festkalender in Lettland. In den 90er Jahren kam es zu einer sehr starken Wiederbelebung der Kirchen.
Heutzutage wird Weihnachtsfest am Abend des 24. Dezembers gefeiert. Es ist ein Familienfest mit einem Weihnachtsbaum und Geschenken, also ein Fest so wie man es auch hier in Deutschland kennt.
Jedoch haben viele Familien keine kirchliche Bindung zum Weihnachtsfest. Es geht eher um das Zusammensein und eine gewisse Dankbarkeit gegenüber Gott, der Natur oder dem Schicksal dafür, was man hat. Die Nachbarn und Freunde werden mit Pfefferkuchen und Weihnachtskarten beschenkt, um gegenseitig zu zeigen, dass niemand allein ist und gebraucht wird. Der Weihnachtstisch wird reichhaltig mit grauen Erbsen und Speck, Piroggen, Schweinebraten, Sauerkraut und vielem mehr gedeckt, sodass man dann davon auch wirklich drei Tage und drei Nächte essen kann. Dabei hört man sowohl die christlichen als auch heidnische und die schönsten unpolitischen sowjetischen Lieder.
Links
Über Sonnenwende bei Wikipedia (auf Lettisch)
Über Sonnenwende (auf Lettisch)
Über Weihnachten im Jahre 1940 in Lettland (auf Lettisch)
Koča-Rezept (auf Lettisch)