Wohnverhältnisse wie im Museumsdorf

von Roswitha Ludwig

In vielen Bauerndörfern hat sich seit den 60er Jahren ein Wandel vollzogen. Sie wurden zu Wohngemeinden mit Gewerbegebieten und wenigen Aussiedlerhöfen. Ich wuchs auf in einem Dorf alten Typs, in einem Bauernhaus. Solche Wohnverhältnisse präsentieren heute Freilichtmuseen.

Wohnhaus seit Generationen

Jede Generation veränderte die Gebäude nach ihren Bedürfnissen. Erst ein Umbau meiner Eltern 1954 brachte den Fortschritt eines modernen Bades mit fließendem Wasser und WC. Die allgemeine Wasserversorgung und Kanalisation wurde in Berwangen (Nordbaden) erst 1957 in Betrieb genommen.
Teile des Hauses blieben dabei unverändert. Als eine Tante meines Vaters in dem Zimmer stand, in dem sie früher geschlafen hatte und wo auch mein Bett stand, bemerkte sie, die Decke habe schon zu ihrer Zeit etwas durchgehängt gewirkt. „Kind, hab keine Angst, die hält weiterhin!“ Mein Großvater wurde in diesem Haus geboren und starb dort auch. Ich habe erlebt, dass er 1954 als Toter in einem Raum aufgebahrt lag. Die Trauerfeier begann damals mit der Aussegnung am Haus. Von dort geleitete der Trauerzug den Toten durch das Dorf zum Friedhof.
Von dieser Landwirtschaft lebten früher zwei Familien. Die aktive Bauernfamilie, die den Betrieb führte und die mithelfenden Altbauern versorgte.

Vom Altbestand des Hauses

Dazu gehörten die Küche, vier Zimmer und zwei Kammern. Zu heizen waren nur die Küche und zwei Zimmer. Betrat man das Haus, so gelangte man über eine schon etwas ausgetretene Holztreppe in den Hauptwohnbereich. Die Treppe wurde täglich gefegt, oft auch mit Stahlwolle gereinigt, wenn nötig wurde nass geputzt und Bodenöl angewendet. Das musste öfter sein bei den damals nur teilweise mit Sandsteinplatten befestigten Flächen des Gehöftes. Aus der Küche führte eine sehr massive Hintertüre mit zwei Riegeln in den Garten. Eine Glocke an der Türe gab es nicht. Der meist angekettete Hofhund schlug an, wenn Fremde kamen.
Der Speicher diente als Abstellraum und Vorratsfläche und war eine Art „Hausarchiv“, in dem ich oft stöberte. Ich erinnere mich noch an den Kinderwagen meines Vaters, an Schulhefte meiner Onkel. Doch es wurde auch Getreide im Speicher gelagert. In schweren Säcken trugen es die Männer am Dreschtag über die Treppen. Einen speziellen Schrank mit Geräuchertem gab es auch.

Das Wohnzimmer

Das Wohnzimmer mit Eichenmöbeln, die ein Dorfschreiner hergestellt hatte, verdiente diesen Namen vor allem, als die Großeltern Altbauern waren. Früher war es eher das Besuchs-, Fest- und Sonntagszimmer. Das Gästebuch zeigt, dass öfter Besuch eingeladen war. Die Ausstattung ging über das Funktionelle hinaus, eine halbhohe Vertäfelung der Wände war wohl modern. Aufwändig gerahmte Porträtfotos gehörten zum Wandschmuck.
Möbel, Geschirr, Tisch- und Bettwäsche zeigten, dass meine Großmutter eine gute Aussteuer mitgebracht hatte. Jahrelang muss sie Monogramme gestickt und Handarbeiten angefertigt haben. Ein Nähtischchen stand im Zimmer, auch eine Nähmaschine. Zum Nähen der Aussteuer wurden Weißnäherinnen beschäftigt. Bei manchen Hochzeiten in Großmutters Zeit gab es sogar die Präsentation der Aussteuer für die Gäste.

Weitere Wohnräume

Lebensmittelpunkt war die Küche. Dort war es warm, dort gab es Essbares und Wasser. Bei meinen Großeltern führte eine Türe zum Stübchen, dem Alltagswohnraum. Gemütlich und heimelig ist es in meiner Erinnerung.
Geschlafen wurde in nicht heizbaren Räumen. Betten der damaligen Zeit waren natürlich für die winterliche Jahreszeit mit dicken Federbetten, Unterbett und Wolldecken ausgestattet. Mit der Bettflasche holte man sich die Wärme ins Bett. Und morgens waren oft Eisblumen auf den einfach verglasten Fensterscheiben.
Nicht jeder nahm es auf sich, nachts zum Toilettenhäuschen zu gehen, das über die Hintertüre der Küche zu erreichen war. So gehörte zur Ausstattung der Schlafräume das Nachtgeschirr.

Häusliches Miteinander

Wollte man die Familie aufsuchen, war die große Wohnküche das Ziel im Haus. Hier wurde alltags gegessen. Am Tisch saßen Familienangehörige und ständig Beschäftigte sowie die Tagelöhner nach der Feldarbeit. Den Haushalt hatten die Frauen zu organisieren. Pünktlich mussten die Mahlzeiten auf dem Tisch stehen. Oft half die Bauersfrau nachmittags bei der Feldarbeit mit und sorgte für die Verköstigung abends. Üblich war ihre Einsatz auch in den Ställen.
Jede helfende Hand war gefragt und gefordert ob im Kindes- oder im Greisenalter. Pflege und Krankheitssituationen forderten die Frauen zusätzlich.
Wundert es, dass viele Jungbauern sich nur schwer verheiraten konnten?
Kurz war der Feierabend. Gerne hörte man Radio oder las die Lokalzeitung. Sonntags unterblieb die Feldarbeit, aber das Vieh musste versorgt werden.  Die freie Zeit wurde gern für Besuche und Verabredungen genutzt, dann wurde im Wohnzimmer gesessen. Ich erlebte noch, dass Gäste mit der Pferdekutsche am Bahnhof des Nachbarortes abgeholt wurden.

Der Küchenherd

Der Herd wurde mit Holz und Kohlen befeuert. Mit dem Ofenrohr war er an den Kamin angeschlossen. Das seitlich eingelassene Wasserschiff lieferte warmes Wasser. Im Backofen neben der Feueröffnung konnte gebacken und geschmort werden. Gekocht wurde entweder auf abgedeckter Herdplatte oder direkt über der Flamme. Dazu mussten runde Einsätze oder Ringe herausgenommen werden. Ich erinnere mich an ein schwarzes gusseisernes Waffeleisen, das im Innenteil drehbar war.
Wer früh aufstand, hatte das Feuer anzuzünden meist mit zerknülltem Papier und Baumreisig. Um rasch einen anderen Ofen anzufeuern, wurde Glut mit einer Schippe hingebracht. Im Winter wurde die Asche als Streumaterial verwendet.
Die tüchtige Hausfrau achtete auf eine saubere Herdplatte. Erst meine Mutter ergänzte die Kochmöglichkeiten durch einen Propangasherd.  Meine Großmutter gebrauchte zusätzlich eine Kochkiste zum Nachgaren oder Warmhalten.

Ohne fließendes Wasser

Kein Wasserhahn in der Küche – heutzutage unvorstellbar. Die Pumpe in der Küche war die Wasserstelle des Haushalts, drei weitere gab es außerhalb. Das Wasser floss in den Spülstein. Darunter standen, verdeckt von einem Vorhang, mehrere Schüsseln, unter anderem Spülschüsseln für das Geschirr. Da gab es auch eine weiße emaillierte Waschschüssel, die von denen gebraucht wurde, die sich hier wuschen.
Zum Schlafzimmer meiner Großeltern gehörte die Waschkommode. Sie war mit einer Marmorplatte belegt und hatte einen Aufsatz mit einer Reihe Jugendstilfliesen und einem Spiegel in der gesamten Breite. Darauf stand das Waschgeschirr. Es bestand aus einer große Porzellanschüssel und einem Waschkrug. Ein Badezimmer gab es bis 1954 nicht.
Im umgebauten früheren Backhäuschen stand eine Zinkwanne, die so genannte Volksbadewanne. Dass es kein WC geben konnte, versteht sich von selbst. In dem Klohäuschen hing keine Klorolle, stattdessen gab es einen Haken mit zugeschnittenen Zeitungsblättern.

Der Keller mit seinen Vorräten

Auf den Tisch kam, was Stall, Garten und Feld lieferten. Was nicht gleich gegessen wurde, musste gelagert und verarbeitet werden. Da wurde eingekocht, entsaftet, eingeweckt und gedörrt.
Am kühlsten konnte man Vorräte im Keller lagern. Ein großer Gewölbekeller mit Lehmboden durchzog den hinteren Teil des Hauses. Da lagerten Kartoffeln. Möhren und andere Rüben. Was aus dem Garten zu überwintern war, fand seinen Platz.
Mehrere Steingutgefäße wurden für Vorräte genutzt: Sauerkraut, Bohnen, Gurken. Eier wurden in Wasserglas eingelegt oder Kalk für die Zeit, in der die Hühner weniger legten. Auch abgedeckte Milchprodukte in Tongefäßen standen da.
In großen Holzfässern auf einem Balkenlager reifte und lagerte der Apfel- und Birnenmost, der Haustrunk.
Am Eingang des Kellers hing eine Brothange von der Decke. Manchmal war sie mit sechs Brotlaiben belegt. Den Teig dafür hatten die Frauen geknetet und aufgesetzt und im Dorfbackhaus backen lassen. Vorräte gab es außerdem in Gläsern und Dosen. Den Geruch eines solchen Kellers vergisst man nie.

Der Garten

Hinter dem Haus gab es einen eingezäunten Hühnergarten mit Hühnerhaus. Darin wuchs Meerrettich und ein Haselnussstrauch. Der größere aufwendig angelegte Bauerngarten mit einem großen Birnbaum nahe am Haus zeigte, dass Gartengestaltung das Hobby meiner Großmutter und auch meiner Urgroßmutter war. Sogar ein Gartenhäuschen gab es.
Sandsteineinfassungen begrenzten die etwas niedrigeren geraden Gartenwege. Wo sie sich kreuzten, gab es einige mit Steinen umlegte Blumenrondelle. Blumenrabatten führten entlang vieler Wege. Senkrecht dazu verliefen die Beete des Nutzgartens. Alle Arten von Beeren waren angepflanzt.
Die heutigen Besitzer haben ein Haus in diesen Garten gebaut.

Weiterentwicklung dieses Familienbetriebes

Durch die Realteilung waren in Süddeutschland die Betriebe klein, oft zu klein für zwei Familien. Schon unser Vater, dessen beide Brüder nicht aus dem Krieg heimkehrten, knüpfte 1957 an seine Berufstätigkeit vor 1945 an. Er freute sich, dass sein Sohn Landwirt werden wollte. Dieser übernahm nach seiner Heirat 1960 den Betrieb.
Die Agrarpolitik drängte auf Vergrößerung. Die Anlage der Wirtschaftsgebäude gestattete eine Aufstockung des Viehbestandes nicht. Deshalb folgte mein Bruder dem Trend der 60er Jahre und baute 1963 einen Aussiedlerhof. Die Flurbereinigung sorgte für größere Ackerflächen. Eine neuerlich angeratene Vergrößerung in den 70er Jahren veranlasste ihn zur Umschulung. Die Felder bewirtschaftete er weiter  im Nebenerwerb.

Produktionsstätten für Nahrungsmittel

Wenig große spezialisierte Vollerwerbshöfe außerhalb der Dörfer sind übrig geblieben. Sie arbeiten mit hohem Maschineneinsatz. Die Haushalte nutzen modernste Technik. Diese Betriebe präsentieren sich in Aktionstagen, um zu zeigen, wie Lebensmittel erzeugt werden. Nicht jeder Bewohner des heutigen Dorfes ist darüber informiert.
Die gute alte Zeit gab es in der Landwirtschaft eben so wenig wie in anderen Sparten. Schwere körperliche Arbeit mit wenig Freizeit war angesagt. Mehrere Generationen lebten zusammen, vorteilhaft in Notsituationen, doch konfliktträchtig bei Fragen betrieblicher Entscheidungen.
Die alten Dorfkerne mit solchen Häusern wie unserem früheren zeigen das Gestern, das über Generationen gelebt wurde. Das damalige Wirtschaften ist vorbei, aber das Zusammenleben nachbarschaftlich und Generationen übergreifend wird heute in neuen Formen erprobt.

Links und Quellen:

Sieben Freilichtmuseen in Baden Württemberg mit Aktionsprogrammen

Kurzinformation zur heutigen Landwirtschaft im Kreis Heilbronn

Eigene Bilder und Fotos von Museumsexponaten (Heimatmuseum Malsheim Renningen)