von Sibylle Sättler
“Deutschland ist kein Einwanderungsland“ stellte Bundeskanzler Kohl Mitte der 90er Jahre noch fest. Dieser Ausspruch fand schon damals nicht allgemein Zustimmung.
Fremde Laute auf den Straßen, in Bus und Bahn
Menschen aus aller Herren Länder gibt es heute in deutschen Städten. Geht man aufmerksam durch die Straßen oder benutzt öffentliche Verkehrsmittel, wundert sich mancher über die fremden Sprachen, in denen vor, neben oder hinter einem gesprochen wird. Manchmal hört man kaum ein deutsches Wort ringsum. Das geübte Ohr kann inzwischen die eine oder andere Landessprache erkennen.
Begonnen hat der Zuzug aus anderen Ländern mit der Anwerbung der sogenannten Gastarbeiter Anfang der 60er Jahre. Der Wiederaufbau bedurfte zusätzlicher Hilfskräfte. Sie kamen vor allem aus der Türkei, Griechenland, Italien, Spanien, Jugoslawien. Arbeit fanden sie oftmals in der Bauindustrie. Deutschland wurde Wirtschaftswunderland! So blieb ein Teil der „Angeheuerten“ und gründete eine eigene Existenz, viele unter Mithilfe ihrer nachgereisten Familien. Andere fanden hier ihre Lebenspartner.
Buntheit im öffentlichen Leben
Der Zuzug aus Europa setzte sich fort mit Flüchtlingen aus Ex-Jugoslawien und aus internationalen Krisengebieten. Hinzu kamen Wirtschaftsflüchtlinge aus der ganzen Welt. Vertreten sind inzwischen Menschen aller Haut- und Haarfarben, oft in ihrer typischen, uns manchmal auch befremdenden Landestracht, wie die mögliche arabische „Verkleidung“ per Burka, aber auch die eleganten farbenfrohen Sommerkleider und kunstvoll drapierten Hüte der Damen aus Afrika. Das Leben auf unseren Straßen ist bunter und vielfältiger geworden. Man rätselt über das Herkunftsland der Fremden. Mutige, wie meine Freundin, fragen bei jeder Gelegenheit nach: So kam eine WC-Aufwartefrau aus Togo, eine Bedienung im Lokal aus Brasilien, ein Kellner aus Griechenland. In unserem Haus wohnt eine Familie nordafrikanischen Ursprungs.
In den 70er Jahren arbeitete ich in einer Exportabteilung mit Kolleginnen aus Frankreich, Norwegen, Schottland, Holland, Österreich, Spanien und Indien.
Internationalität in deutschen Kochtöpfen
Wir essen seit Jahren international und sprechen die Bezeichnungen dieser Speisen oft falsch aus: Cevapcici, Pizza und Pasta, Gnocchi, Zucchini, Tapas, Döner, Zatziki, Okra, Gyros und israelische, libanesische, chinesische, japanische, koreanische, thailändische und indonesische Spezialitäten. Es gibt kaum ein Land der Welt, das in Düsseldorf kulinarisch nicht vertreten ist. A propos: Für den heimischen Kochtopf sind die entsprechenden Gemüse, Obstsorten, Gewürze und exotischen Zutaten in den Läden zu erwerben und per Rezept nachzukochen.
Japan ist in Düsseldorf übrigens nicht nur durch seine Restaurants gut aufgestellt. Hier besteht die größte japanische „Kolonie“ in Deutschland mit Schulen, Banken, niedergelassenen Firmen und Geschäften. Es gibt sogar den „Japanischen Garten“ am Rande des Nordparks. Die Welt ist auf jeden Fall näher zusammengerückt.
Nur am Rande: Düsseldorf bewirbt sich zurzeit um die Einrichtung des Chinesischen Generalkonsulats.
Zuwanderung nach Deutschland
2012 gab es mehr als eine Million Zuwanderer nach Deutschland, darunter 117.000 Rumänen und 59.000 Bulgaren, davon 27.000 hoch qualifizierte. Ab 2014 gilt für Rumänien und Bulgarien die Arbeitnehmer-Freizügigkeit innerhalb der Europäischen Union (EU). Man rechnet mit einem erhöhten Zuzug nach Deutschland. Das Institut für Arbeitsmarkforschung stellt fest, dass die hier lebenden Rumänen und Bulgaren nur mit 7,4 Prozent an der durchschnittlichen Arbeitslosenquote von 7,7 Prozent beteiligt sind. Der Antrag auf Zahlung staatlicher Leistungen an Zuwanderer aus anderen EU-Ländern müsse drei Monate nach Einreise zumindest geprüft werden, so ein EU-Sozialkommissar. Generell sei der Aufenthalt in einem anderen EU-Land auf fünf Jahre begrenzt, wenn der Betroffene keine Arbeit gefunden habe und sich nicht selbst finanziell über Wasser halten könne. Ein pauschales Aufenthaltsrecht nach einem Zeitraum von sechs Monaten gebe es nicht.
Integration nicht gelungen
Auch „arme Zuwanderer“ aus der Volksgruppe der Sinti und Roma ziehen zunehmend nach Deutschland. Über einen Sozialfonds der EU stehen Hilfsmittel für diese Menschen zur Verfügung, die von Bulgarien und Rumänien abzurufen sind. Das Geld wurde bisher nicht angefordert.
Leider gibt es auch große Widerstände bei der Integration, dargestellt am Beispiel Duisburg: Hier besteht eine konzentrierte Ansammlung bulgarischer Flüchtlinge ohne Schulausbildung, die vom Kindergeld leben. Die angebotenen Deutschkurse werden nicht besucht, von 40 – 50 Kindern gehen nur vier zur Schule. Es ist laut, Müll liegt umher, der Park wird als WC genutzt und Polizei-Razzien kommen öfter vor. Der „normale“ Bürger fühlt sich bedroht. Die Politik lässt die Bürger im Stich. Wer kann, zieht weg.
Eine ähnlich konzentrierte Wohnanlage gibt es in Berlin. In einem Haus für 60 Menschen sind jetzt 200 untergebracht, darunter viele Roma ohne richtige Ausbildung.
Integration
Grundsätzlich gilt, dass der Zugang zu Arbeit und Bildung Fortkommen und Integration fördert.
Auch in Düsseldorf gab es harsche Kritik an der schlechten Unterbringung von Asylbewerbern. Man warf der Stadt Konzeptlosigkeit vor. Baudezernent Bonin spricht sich aus gegen Großunterkünfte und sieht eine Verteilung der Menschen im ganzen Stadtgebiet mit guter Infrastruktur vor, um soziale Brennpunkte zu vermeiden. Auch die schulische und soziale Betreuung werden erweitert. Um die soziale Betreuung kümmert sich die Diakonie: „Wir sind alle etwas überrollt worden von den steigenden Zahlen“, so ein Diakonie-Vertreter.
Deutschkurse für Ausländer werden angeboten, Begleitung und Hilfestellung beim Kontakt mit amtlichen Stellen sowie Nachhilfe für Schulkinder und vieles mehr.
Das syrische und afrikanische Flüchtlingsproblem
Ganz akut ist die Aufnahme syrischer Flüchtlinge in Deutschland. Bundespräsident Gauck hat sich das Thema „Flucht, Asyl, Integration und Menschenrechte“ künftig auf die Fahne geschrieben. Der Präses der Evangelischen Kirche im Rheinland plädiert für die Aufnahme von 100.000 statt 10.000 Syrer. Nordrhein-Westfalen (NRW) prüft derzeit 5.500 Aufnahmeanträge.
147 Staaten haben sich 1951 der Genfer Flüchtlingskonvention angeschlossen. Afrika ist immer wieder von Bürgerkriegen betroffen. Die Katastrophe vor Lampedusa im Oktober 2013 hat der Welt vor Augen geführt, wie hunderte afrikanischer und syrischer Flüchtlinge bei dem Versuch, über das Meer nach Europa zu gelangen, zu Tode kamen. Frontex sorgt für Ordnung an den europäischen Außengrenzen und schickt Flüchtlinge, besonders aus Afrika, die mit seeuntauglichen und völlig überladenen Booten unterwegs sind, wieder auf das Meer hinaus. Pro Asyl beklagt, dass in den 20 Jahren bis 2008 etwa. 8.100 Menschen an den EU-Außengrenzen ums Leben kamen. Hier gibt es ganz dringend politischen Handlungsbedarf. Es handelt sich um Menschen!
Positives persönliches Miteinander
Wir sollten nicht vergessen, dass nach dem Zweiten Weltkrieg die Flüchtlinge aus den deutschen Ostgebieten hier durchaus nicht mit offenen Armen empfangen wurden, und wie schwer der Anfang in ein neues Leben war. Wie viele Hausbesitzer wollten damals keine Flüchtlinge aufnehmen! In diesem Bewusstsein und eingedenk unseres Lebens in jahrzehntelangem Frieden könnte unser Verständnis für die notleidenden neuen Flüchtlinge wachsen.
Im täglichen Leben überwiegen, meiner Ansicht nach, die positiven Auswirkungen der Menschenvielfalt aus unterschiedlichen Ländern. Ich habe regelmäßig zu tun mit einer rumänischen Kosmetikerin mit Volkswirtschaftsdiplom, das vor 40 Jahren hier nicht anerkannt wurde, meiner türkischen Mitsportlerin, die die deutschen Feiertage mit der Familie ihres Schwiegersohns begeht, der früheren polnischen Zugehfrau meiner Mutter. Mit meinen ehemaligen Kolleginnen bin ich nach wie vor gut bekannt oder befreundet. Ich möchte diese Begegnungen auf keinen Fall missen.
Links
Quellen:
Rheinische Post, 19. Januar 2014
Rheinische Post, 23. Januar 2014
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