von Uwe Bartholl
Die Bilder sind im Kopf: Almabtrieb, Weinlese oder der Zug von geschmückten Erntewagen durch das Dorf. Überall geht es festlich zu. Im milden Licht der schon tiefer stehenden Sonne Bilder freudvoller Gefühle. Der Lohn für Arbeit und Mühsal wird eingefahren und gebührend gefeiert.
Brauchtum
Dieses Brauchtum hat seine frühen Wurzeln aus einer Zeit, in der die Menschen all ihre Mühe aufwenden mussten für das tägliche Brot, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie lebten in engstem Kontakt mit dem, was in der Natur wächst und lebt und sich als Nahrung nutzen ließ. Gute Witterung, fruchtbarer Boden, Kenntnis von Nachhaltigkeit der Nutzung waren lebensnotwendig. Aus dieser existenziellen Abhängigkeit heraus entwickelten sich Rituale, die diese Voraussetzungen begünstigen sollten bis hin zu Opferkulten und Dankesriten. Ernte konnte nur sein dank all dessen, was nicht in des Menschen Hand liegt, jedoch das Geheimnis allen Lebens bleibt.
Christliche Erntedankfeier
Um das 8. Jahrhundert unserer Zeitrechnung entsteht in der christlichen Kirche die Tradition der Erntedankfeier. Pflügen, Säen, Wachstum und Ernten waren der Takt des Lebens. Die ständige Bedrohung dieser elementaren Vorgänge durch die Naturgewalten war gegenwärtig. Im Bewusstsein war tief verankert, dass alles Wachstum und Gedeihen in Gottes Hand liegen. Gott zu danken dafür, was die Scheunen füllt – die meisten Menschen lebten von der Landwirtschaft – dafür wurde im Laufe der Zeit ein fester Platz im Kirchenjahr eingeräumt, der erste Sonntag im Oktober. Den Menschen in der Stadt war stets bewusst, schlechte Ernte bedeutete unsichere Lebensbedingungen wegen Teuerung und Hunger, gute Ernte sicherte die Grundlage allen Schaffens. Gefährdeten Trockenheit und Regenfluten was auf den Feldern wuchs, suchten die Menschen Unterstützung durch Gebet für die Bewahrung vor Missernten.
Entfremdung
Das Bild „Erntedankfest“ wird noch heute mit den Früchten des Feldes gemalt, wenn gleich die Früchte der Arbeit in der Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft vielfältigste Produkte sind, die den Zusammenhang mit diesem Erntebild nicht aufkommen lassen. Doch alles Menschenwerk ist darauf gegründet, was die Erde hervorbringt. Essen und Trinken hält Leib und Seele zusammen. Und die Schätze der Erde, seien es nun Nährstoffe für Pflanzen oder Rohstoffe für Handwerk und Industrie, sind die Keimzelle jeden Wachstums. Im Zusammenwirken mit der menschlichen Schöpferkraft ist im Laufe der Zeit eine Weltsicht mit einem Bewusstsein entstanden, welches Leistung und Ertrag dem menschlichen Vermögen allein verdankt. Gott mit seinen Botschaften für menschliches Handeln und den Umgang mit der Schöpfung scheint dabei aus dem Spiel zu sein. Gott ist keine allumfasende Dankesadresse mehr für das, was Menschen als Früchte ihrer Arbeit einbringen.
Grenzen des Wachstums
Dabei wächst die Einsicht, dass wir Gefahr laufen, die Grundlagen jeglichen Wachstums zu vernichten. Von der Rohstoff-Plünderung des Planeten ist die Rede, von den bedrohlichen Veränderungen der natürlichen Wachstumsbedingungen durch den Eigenanteil an der Klimaveränderung und Landumnutzung, von der fehlenden Nachhaltigkeit beim Verbrauch der Ressourcen bis hin zu überhöhten Leistungsanforderungen an menschliche Arbeit.
Sollen auch künftige Generationen nachhaltig säen und ernten können, dann muss menschliches Handeln von der Verantwortung für die Bewahrung der Schöpfung verlässlich durchdrungen sein. Das Motto des diesjährigen Evangelischen Kirchentages „Soviel Du brauchst“ kann unser Anspruchsdenken zu gezügelterem Umgang mit den Früchten dieser Erde lenken. „Soviel Du brauchst“ im Umgang mit den Gütern zu bedenken, ist auch im Angesicht denen gegenüber, die heute noch nicht aber morgen hoffentlich satt werden, oberstes Gebot.
Matthias Claudius
Vor mehr als 200 Jahren dichtete Matthias Claudius das bekannte Erntedanklied: „Wir pflügen und wir streuen den Samen auf das Land, doch Wachstum und Gedeihen steht in des Himmels Hand …“. Und weiter heißt es dann: „… Alle gute Gabe kommt her von Gott dem Herrn, drum dankt ihm, dankt, drum dankt ihm, dankt und hofft auf ihn.“ Hoffen darauf, dass alles, was geschieht, um Ernten hervorzubringen, unter Gottes Segen steht und stehen wird. Es ist der Blick auf ein Lebensgefühl, in dem Denken, Handeln und Ertrag sich nicht nur dem eigenen Verdienst verdanken.
Johannes Calvin
Johannes Calvin
Und vor 500 Jahren war es der Reformator Calvin, der Arbeit und Erfolg in diesen Zusammenhang stellte. Der Mensch müsse bei all seinen Tätigkeiten die Erfolgsbetrachtung auf den daraus resultierenden Nutzen lenken. Der wirtschaftliche Erfolg seines Handelns müsse jedoch wieder investiert werden, die eigene Lebensführung sei dabei fern von luxuriöser Ausprägung. Bei dieser gottgefälligen Arbeitsmoral ist der Erfolg ein Zeichen, zu den Auserwählten Gottes zu gehören. Durch ständigen Rückbezug der eigenen Lebensführung und dessen Erfolg auf diesen Gottesbezug erhält der Glaube seine Vergewisserung. Es ist Sache der Selbsterkenntnis, das Ausgewähltsein zu erkennen, denn letztendlich, so die Diskussion, sind alle ausgewählt zum Volke Gottes.
Nachlese
Wieweit nun dieses Antriebspotenzial oder der Eigennutz für die Triebfeder des Kapitalismus, der für etwa ein Fünftel der Menschheit erhebliche Wohlstandsmehrung ermöglichte, verantwortlich ist, bleibt dahingestellt. Christlich und mitmenschlich ist es eben sehr oft nicht, wie wir mit unseren Erträgen und dem, was dazu führt, umgehen. Von Gier bis obszön reichen die Begriffe, wenn es um Top-Gehälter und Boni geht und der Blick gleichzeitig Minijobber und Näherinnen in Bangladesch erfasst. Unser Erntedank will bei dieser Betrachtung nicht so recht glücklich machen. Er könnte einmal mehr Mahnung sein für Verhaltensänderung, und dies nachhaltig.
Hintergrund
Erntedankfest
Nochmals Erntedankfest
Zu Fragen des Wirtschaftens
Buch
Klaas Huizing: Calvin … und was vom Reformator übrig bleibt; Edition Chrismon, ISBN 978-3-938704-67-7