von Sibylle Sättler
Mobbing gab es immer schon! Mobbing kann überall und in jeder Gruppierung vorkommen, sei es in der Arbeitswelt, in Schule und Ausbildung, im Sportverein, Altersheim, Gefängnis und Internet. Und in Deutschland gibt es noch kein Gesetz dagegen!
Definition Mobbing
Seit den 60er Jahren ist von Mobbing in der Schule die Rede, ab Anfang der 90er Jahre vor allem in der Arbeitswelt. Mobbing beinhaltet nach Heinz Leymann, dass eine Person von einer anderen oder einer Gruppe fortgesetzt, mindestens sechs Monate lang, mindestens ein Mal pro Woche geärgert, schikaniert oder gemieden wird mit dem Ziel des „Fertigmachens“ oder Ausgrenzens. Das Vorgehen erfolgt systematisch, wiederkehrend und gezielt schädigend.
Das Substantiv „mob“ bedeutet nach Langenscheidt: zusammengerotteter Pöbel(haufen), Gesindel, (Verbrecher)Bande, Sippschaft, Clique; das Verb (lärmend) bedrängen, anpöbeln, herfallen über, (in einer Rotte) attackieren, sich zusammenrotten.
Heinz Leymann, Pionier auf dem Gebiet „Mobbing“
Der erste Wissenschaftler auf dem Gebiet der Mobbing-Forschung war der deutsche, in Schweden lebende Professor für Psychologische Pädagogik und Psychiatrie, Heinz Leymann (1932 – 1999). Mit seinem 1993 erschienen Buch „Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz und wie man sich dagegen wehren kann“, legte er den Grundstock für die Mobbing-Forschung im deutschsprachigen Raum. Er gilt heute noch weltweit als Experte auf diesem Gebiet. Bis zu seinem Tod hatte Leymann einen Lehrstuhl für Arbeitswissenschaften inne. Seine deutsche „Mobbingenzyklopädie“
Vorkommen von Mobbing
Im Jahre 2008 betrug die Bevölkerungszahl in Deutschland rund 82 Millionen, davon waren 40,35 Millionen erwerbstätig. Wie viele Personen zu der Zeit von Mobbing betroffen waren, ist nicht bekannt. Arbeitsgruppen führten im Auftrag der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin, Dortmund, Untersuchungen durch und machten damit weithin auf das Problem „Mobbing“ aufmerksam. Erschwert wurde diese Arbeit durch die teilweise Blockade der Arbeitgeber. Mobbing gilt, zu Recht, in Unternehmen als Makel und Qualitätsmangel. Ferner fürchteten die Arbeitnehmer Repressalien, wenn sie offen sprachen. Hochrechnungen nach Leymanns Erhebungen ergaben, dass mindestens 3,5 Prozent der arbeitenden Bevölkerung in Deutschland von Mobbing betroffen waren.
Motive für Mobbing und Beteiligte
Zuerst: Es gibt keine „typischen Mobbingopfer“. Begünstigt wird Mobbing „von außen“ grundsätzlich in Zeiten konjunktureller Flauten. Innerbetrieblich tragen dazu bei ein schlechtes Betriebsklima, unqualifiziertes Führungsverhalten, Stress und Arbeitsdruck sowie unklare Abgrenzung in der Arbeitsorganisation und die Angst vor Arbeitsplatzverlust. Ein erhöhtes Mobbingrisiko zeichnet sich ab, wenn Umstrukturierungen anstehen, oder die Firma in andere Hände übergeht.
Männliche Mobbingbetroffene geraten oft in Spannungen mit ihren Vorgesetzten, während bei weiblichen Betroffenen eher Geschlecht und Aussehen eine Rolle spielen. Junge Leute bis 25 Jahre führen Mobbing häufig auf ihren Arbeits- und Lebensstil sowie Aussehen und sexuelle Orientierung zurück. Bei älteren Mobbingbetroffenen spielt selten unzureichende Leistung als Motiv eine Rolle. Im Unterschied zu Schweden scheinen in Deutschland häufiger mehrere Personen und mehr Vorgesetzte in den Mobbing-Prozess involviert.
Wie äußert sich Mobbing?
Leymann unterscheidet 45 mögliche Verhaltensformen. Eine Auswahl:
Falschbewertung der Arbeitsleistung,
feindliches Konkurrenzdenken,
Geringschätzung,
Ausschluss von Kommunikation,
Vorenthaltung von Informationen,
Kompetenzentzug oder Zuweisung unnützer Arbeiten,
Misstrauen und Neid,
Lächerlich machen,
Verbreitung von Gerüchten und Unwahrheiten,
Ausgrenzung und Isolierung,
Demütigungen,
Sachbeschädigungen am Eigentum.
Mobber und Mobbingbetroffene können Frauen und Männer sowohl als Gleichgestellte als auch Vorgesetzte gegenüber Untergebenen sein. Es kommt auch vor, dass Vorgesetzte und Untergebene gemeinsam mobben, um einen Mitarbeiter loszuwerden. Die IG Metall stellt in Fragebogen-Erhebungen
44 Prozent Kollegen
37 Prozent Vorgesetzte
10 Prozent Vorgesetzte und Kollegen
9 Prozent Untergebene.
der Belegschaft als Mobber fest.
Persönliche und volkswirtschaftliche Auswirkungen
Es besteht kein Zweifel darüber, dass Mobbing krankmacht. Kopf- und Rückenschmerzen, massive Schlafstörungen bis zu Angstattacken können die Folgen sein bis zu Depressionen und Neurosen. Die Betroffenen geraten immer tiefer in die Isolation. Laut Mobbing-Report erkrankt fast die Hälfte der 43,9 % Betroffenen länger als sechs Wochen. Posttraumatische Belastungsstörungen treten auf. Seelische Unausgeglichenheit, finanzielle Sorgen, sozialer Rückzug, Antriebslosigkeit und Depressionen setzen dazu das Privatleben schwer unter Druck. Der Deutsche Gewerkschaftsbund geht davon aus, dass jeder durch Krankheit oder Kündigung nicht besetzte Arbeitsplatz einen Betrieb 100 bis 400 Euro pro Tag kostet, je nach Qualifikation.
Die Gesamtschäden für die Volkswirtschaft werden jährlich auf bis zu 15 Milliarden Euro geschätzt für Heilbehandlungen, Rehabilitationskuren, schlimmstenfalls Dauerarbeitslosigkeit, Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung.
Wie kann man sich gegen Mobbing wehren?
Am besten so schnell und bestimmt wie möglich. Der Chef oder Betriebsrat können helfend einschreiten oder ein Ombudsmann. Wer kann, kündigt. Die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin wie auch Mobbing-Anwälte raten Betroffenen, unbedingt professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen.
Mobber und Geschäftsleitung werden zu Unterlassung/Gegenmaßnahmen aufgefordert. Bei Zuwiderhandlung werden beide vor dem Arbeitsgericht zur Kasse gebeten. Wichtig: Der Betroffene muss den Beweis des Mobbings erbringen, was durch ein konsequent geführtes Mobbing-Tagebuch gelingen kann. Dazu sind Angaben zweckdienlich darüber, wer, wann, was gesagt hat in Anwesenheit welcher Zeugen und die aufgetretenen gesundheitlichen Schäden, die vielleicht einen Arztbesuch erforderten. Die Beweisführung ist ansonsten äußerst schwierig.
Erst seit 2005 verbessert sich langsam die Situation der Mobbingbetroffenen, als ihre geltend gemachten Ansprüche rechtlich anerkannt werden. Anti-Mobbing-Gesetze gibt es mittlerweile in Schweden und Frankreich.
Pflicht des Arbeitgebers
Der Arbeitgeber ist verantwortlich für die innerbetriebliche Führungskultur, für den Arbeitsschutz und die Intervention bei Mobbing-Fällen. Stellt er in seinem Unternehmen Mobbing fest, sollte er den Mobber darauf ansprechen und abmahnen. Bei Fortführen des Mobbings kann der Mobber gekündigt werden im Hinblick auf das Wiederherstellen eines günstigen Betriebsklimas und das Wohl des Mobbingbetroffenen. Duldet der Arbeitgeber das Vorgehen des Mobbers, kann der Betroffene unter Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für Arbeitsrecht Schmerzensgeld verlangen. Schmerzensgeld für widerrechtliche Einschränkung des Persönlichkeitsrechts kann zu einer Entschädigung von Euro 25.000 führen nach einem Urteil des Arbeitsgerichts Dresden vom 07.07.2003.
Zweckdienlich in einem Unternehmen wäre eine Betriebsvereinbarung zur Fairness am Arbeitsplatz.
Möglicher Verlauf von Mobbing als „worst case“
Das Entstehen von Mobbing über einen Konflikt wird nicht von allen Forschern anerkannt. Aber ein Beispiel hier: Ein Konflikt bleibt ungelöst und unbemerkt von den Vorgesetzten. Er kann sich hochschaukeln, die typischen Handlungen gegen einen Einzelnen beginnen und werden zunehmend aggressiver, unter Umständen auch kriminell. Jetzt greifen Vorgesetzte oder Personalabteilung autoritär und unangemessen durch per Abmahnung, Versetzung oder Kündigung. Eine Konfliktlösung wird nicht mehr gesucht. Die Mehrheit ist sich einig über die Entledigung des „Störenfrieds“.
Sucht der Mobbingbetroffene Hilfe von außen, kann er zusätzliche Brandmarkung erleiden: Schlimmstenfalls stellt der Psychiater eine Persönlichkeitsstörung fest, der Arbeitsrichter sieht einen Querulanten vor sich, der Gutachter des Medizinischen Dienstes der Kranken- oder Rentenkasse vermutet Simulantentum. Der Teufelskreis wird immer enger.
Fortsetzung bis zur (Früh)Rente „worst case“
Am Ende steht der Ausschluss aus dem Berufsleben. Aus der Arbeitsunfähigkeit resultiert eine Berufsunfähigkeit und daraus schließlich die Erwerbsunfähigkeit. Es vollzieht sich ein Mechanismus insofern, als der Betroffene nach ambulanten Behandlungsversuchen im Krankenhaus landet mit darauf folgender Rehabilitationsmaßnahme. Die meisten Betroffenen sind jetzt längst nicht mehr in der Lage, Kapital aus Umschulungen, Qualifizierungsmaßnahmen und beruflichen Wiedereingliederungsversuchen zu schlagen. Der Weg führt letzten Endes zur (Früh)Rente. Dieser Werdegang wird als das scheinbar „Beste“ für alle Beteiligten gehalten. „Der Fall ist erledigt.“ Dies ist absolut als „worst case“ anzusehen und findet immer noch statt. Oft ist Selbstmord der letzte Ausweg.
Leymanns damals angestrebte und die heutige Lösung
Leymann war der Ansicht, Mobbing „von oben“ durch Eingriff des Vorgesetzten qua Autorität und Weisungsrecht oder eine Vertrauensperson stoppen zu können, wie er es selbst oft übernommen hat. Der Vorgang sollte öffentlich gemacht, eine Lösung erzwungen werden und vor dem Arbeitsgericht landen. In diesem Punkt gehen einige Fachleute, auch Leymanns Nachfolger Gerd Arentewicz, Mitautor des Buchs „Mobbing. Psychoterror am Arbeitsplatz“ andere Wege:
Best case: Achtsamkeit im Betrieb ist gefordert und spart Geld. Wann immer möglich und gewünscht, werden, sobald ein Fall von Mobbing eingetreten ist, zwischen den Beteiligten durch Schlichtung, Mediation und Coaching einvernehmliche Lösungen gesucht, die eine „Win-win“-Situation“ herbeiführen, von der beide Seiten profitieren: Es gibt keinen „Gesichtsverlust“, keinen Sieger, keinen Verlierer.
Unbedingt ist in Deutschland ein Anti-Mobbing-Gesetz von Nöten, um weitere schädigende Einflüsse an Leib und Leben von Mobbingbetroffenen zu vermeiden.
Links
“Mobbingenzyklopädie“
mobbing-anwalt-hamburg.de
Quellen:
Nachschlagewerk mit MobbingLine für Betroffene:
Werkbuch Mobbing – Offensive Methoden gegen Psychische Gewalt am Arbeitsplatz
von Martin Wolmerath / Axel Esser (Hrsg), BUND Verlag
Statistische Erhebungen zu Risiken nach Berufsgruppen, Branchen, Mobbingfolgen
nach Alter und Geschlecht:
Der Mobbing-Report – eine Repräsentativstudie für die Bundesrepublik Deutschland, Dortmund/Berlin 2002 aus der Schriftenreihe der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) von B. Meschkutat, M. Stackelbeck und G. Langenhoff
Mobbing-Definition:
Mobbing – Psychoterror am Arbeitsplatz, in der Schule und im Internet – Tipps und Hilfsangebote, von Gerd Arentewicz, Alfred Fleissner und Dieter Struck, Ellert & Richter Verlag