Schulen und Schulbildung um die Jahrhundertwende

von Erdmute Dietmann-Beckert

„Streng
die Lehrer
die Kinder litten
sie bestraften die Kinder“,
nicht mit zusätzlichen Aufgaben, sondern mit dem Stock. 
(aus Texten  der Klasse 3 a zum Thema “Schule früher” Grundschule Heimstettenbei München)

Eine Schulgeschichte

Was mir eine alte Freundin einmal aus ihrer Schulzeit erzählte:
„Ich ging in den Jahren 1930 bis 1938 in die Dorfschule. Das Schulhaus hatte vier Klassenräume, in denen jeweils zwei Klassenstufen gleichzeitig unterrichtet wurden. Unser Lehrer hatte schon einige Jahre auf dem Buckel und ließ sich leicht von einem meiner gewitzten Schulkameraden hinters Licht führen.
So Karl-Friedrich. Er konnte aus dem Stegreif einen Aufsatz “vorlesen“, den er gar nicht aufgeschrieben hatte. Der klang wohlgesetzt und authentisch. Wollte der Lehrer seinen Text auf der Schiefertafel sehen, wischte Karl-Friedrich mit dem Ärmel über irgendeine frühere Niederschrift auf der Schiefertafel, so dass nichts mehr deutlich zu erkennen war. Der Lehrer versuchte nicht zu lesen und war mit dem Gehörten zufrieden.“ Nach diesem Bericht pflegte meine Freundin herzlich zu lachen.

Schulen im 19. Jahrhundert

In Preußen galt seit den 1860er Jahren die allgemeine Schulpflicht für Mädchen und Jungen bis zur 8. Klasse. Der Unterricht war kostenlos.

Dorfschulen

Auf dem Land wohnte der Lehrer mit im Schulhaus. Seine Wohnung befand sich über dem Klassenzimmer. Zwei bis drei Jahrgänge wurden in einem Raum unterrichtet. Mädchen und Jungen saßen hier getrennt zusammen. In einer Schulstube konnten bis zu 50 Kinder sitzen. Die intelligenten jüngeren Kinder profitierten vom Unterricht bei den älteren, weil sie dort zuhörten. Sie hatten in der nächsten Stufe einen gewissen Vorsprung vor den langsameren, denen sie wiederum helfen konnten. Das förderte den Sozialzusammenhalt.
Die Schüler hatten ruhig zu sitzen. Für Antworten auf Fragen standen sie auf und stellten sich neben die Bank. Das waren starre Holzpulte. In der Tischplatte befand sich eine Vertiefung für das Tintenfass.
Beheizt wurden die Räume mit Holzöfen, die Kinder, die in deren Nähe saßen, schläfrig machten. Andere hingegen bekamen kalte Füße und Hände.

Stadtschulen

In der Stadt gab es größere Schulhäuser mit Klassenzimmern für je einen Jahrgang. Die Einrichtung unterschied sich nicht von der auf dem Land. Es gab kein fließendes Wasser. Schwamm und Hände wurden in der Schüssel gewaschen. Wie allgemein üblich saß der Lehrer hinter einem erhöhten Katheder. Zu seiner Ausstattung gehörten der Rohrstock und eine Geige.

Unterrichtsziele

Gehorsam, Fleiß, Ordnung und Sauberkeit waren die Tugenden, die gefördert wurden. Für Disziplin sorgten Stockschläge und Handtatzen. Die Erziehung zu gläubigen Christen und gehorsamen Untertanen waren wichtige Unterrichtsziele. Dazu standen auf dem Lehrplan die Grundkenntnisse in Lesen, Rechnen, Schreiben. Zu letzteren zählte auch das Schönschreiben.Die Musik wurde ebenfalls gepflegt. Mindestens drei Lieder waren zu lernen. Den Gesang begleitete der Lehrer mit der Geige.
Weil in vielen Familien nicht sehr auf Reinlichkeit geachtet wurde, zählte auch die Erziehung zur Sauberkeit zum Unterrichtsstoff. Kinder wurden ermahnt, mit sauberen Kleidern und Händen und gekämmten Haaren zum Unterricht zu kommen. Es gab auch eine gewisse Gesundheitserziehung. So wurde gerades Sitzen und die Füße parallel mit ganzer Sohle aufgestellt vorgeschrieben, um Fehlhaltungen vorzubeugen.

Lehrerbildung

In den Dorfschulen unterrichteten häufig die „Schulmeister“ die, um ihre Einkommen zu verbessern, nebenher ein Gewerbe betrieben. Sie bewirtschafteten zum Beispiel etwas Land, im Sommer halfen schon einmal die älteren Jungen mit. Die Mädchen lernten Nähen, Stricken und Häkeln. Darin unterrichteten sie tüchtige Frauen des Dorfes.
In den Städten arbeiteten in Seminaren ausgebildete Lehrer. Hier erfuhren sie auch von neuen Gedanken zur Erziehung, die nicht nur auf Auswendiglernen zielte, sondern zum eigenen Denken anleitete. Pestalozzi hatte schon um die Mitte des 19. Jahrhunderts eine Erziehung für „Kopf, Herz und Hand“ gefordert. Und nachfolgende Pädagogen wie Georg Kerschensteiner schrieben, dass den Kindern Gelegenheit geboten werden müsse, „Charakterqualitäten“ auszubilden, die dem „Buckeln nach oben und dem Treten nach unten im Laufe einer Generation ein Ende“ bereiteten.

Die Professionalisierung der Lehrer

Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich allgemein durchgesetzt, dass Männer und Frauen, die unterrichten wollten, eine Ausbildung nachweisen mussten. Diese erfolgte nicht an Universitäten, sondern in Seminaren. In „Präparandenanstalten“ wurden die jungen Leute nach Abschluss der Volksschule für die eigentliche Lehrerausbildung im Seminar vorbereitet.
Der Lehrerstand gewann ein gesellschaftliches Ansehen, das ihm vorher nicht zukam. Auch die Besoldung wurde verbessert. Nach wie vor standen Lehrer unter der Aufsicht des Ortspfarrers. Diesem oblag die Schulvisitation. Als die Schulen später verstaatlicht wurden, verloren die Kirchen ihren direkten Einfluss.
Die Revolution von 1848 war mit ihrem Drängen nach geistiger Freiheit bei den Lehrern vielfach auf fruchtbaren Boden gefallen. Doch wenn sie im Staatsdienst bleiben wollten, mussten sie sich auf die Gedankenfreiheit beschränken und besser schweigen.

Lehrerinnenausbildung

Neben den Knabenschulen bestanden Mädchenschulen , die weitgehend privat betrieben wurden. Hier unterrichteten junge Frauen. Sie hatten sich in privaten Lehrerinnenseminaren ausbilden lassen. In Berlin leitete die Frauenrechtlerin Helene Lange ein solches Seminar.
Die jungen Lehrerinnen mussten sich verpflichten nicht zu heiraten, solange sie im Schuldienst arbeiteten. Dieses „Zölibatsgebot“ galt bis weit ins 20. Jahrhundert. Da Frauen, die an Privatschulen arbeiteten, hatten keinen Anspruch auf eine Pension, wenn sie aus Altersgründen ihren Beruf aufgeben mussten. Auguste Sprengel, selber eine ausgebildete ledige Lehrerin und Zeitgenossin Helene Langes, gründete eine private Pensionskasse für alt gewordene Lehrerinnen und ließ in ihrem Heimatort ein Feierabendhaus bauen.

Schulen im zweiten Jahrtausend

Heute sind Lehrer und Lehrerinnen finanziell auch im Pensionsalter gesichert. Ihr Ansehen in der Gesellschaft ist jedoch deutlich gesunken. Sie werden gerne für Missstände in der schulischen Erziehung und Bildung verantwortlich gemacht, obwohl Eltern inzwischen mehr Mitspracherechte in der Schule haben und beanspruchen.
Staatlichen Schulen stehen häufig weniger Mittel zur Verfügung als privaten und sie sind weltanschaulich neutral. Darum entstehen immer mehr private Einrichtungen. Diese verfügen über eine bessere Ausstattung und sind religiös oder weltanschaulich ausgerichtet.
Ich war Lehrerin an einer staatlichen Schule und bedauere diese Entwicklung. Sie spaltet die Gesellschaft und erschwert die wichtige Integration unserer zugewanderten Mitbürger.

Literatur und Links

Wilhelm, Theodor. Pädagogik der Gegenwart. Stuttgart 1977.
Wittmütz,Volkmar. Die Preußische Elementarschule. In:

Bildung im 19. Jahrhundert


Unterricht um 1886

Dorfschulen