JÜDISCHE FRIEDHÖFE – Zeugen einer besonderen Vergangenheit

von Dietrich Bösenberg

Friedhöfe sind überall Orte der Trauer und des Gedenkens an verstorbene Angehörige oder Persönlichkeiten. Daneben haben Friedhöfe aber auch eine kulturelle Bedeutung, zum Beispiel kulturgeschichtlich oder architektonisch. Jüdische Friedhöfe eignen sich in besonderem Maße für geschichtliche Rückblicke.

Der jüdische Friedhof

auf dem Friedhof in Lübeck

Jüdische Friedhöfe sind nicht nur einfach Ruhestätten Verstorbener, sondern sie besitzen einen religiösen Charakter und werden als heilige Orte verstanden. Aus der Bibel oder der jüdischen Tradition abgeleitete Namen, wie „Haus des Lebens“ oder „Guter Ort“ kennzeichnen die Hoffnung und Erwartung auf Auferstehung der Toten und ein ewiges Leben.
Aus diesem Grunde sind im Judentum die Gräber Eigentum des Toten und für die Ewigkeit angelegt. Gräber werden weder neu belegt noch abgeräumt. Die Grabpflege ist traditionell auf ein Minimum reduziert und Blumenschmuck nicht üblich. Erst im Zuge der Emanzipation der Juden in Deutschland hat sich eine gewisse Angleichung an christliche Begräbnissitten entwickelt, die sich im Stil der Grabsteine und Schmuck ausdrückt.
Nach außen sind jüdische Friedhöfe zumeist durch eine Mauer oder Zaun begrenzt, ein abschließbares Tor schützt vor unbefugtem Betreten.

Spiegel jüdischer Geschichte in Deutschland

Jüdische Friedhöfe spiegeln das Leben ihrer jeweiligen Gemeinden wider, denn sie bewahren ihr vergangenes Leben auf. (Brocke). Der Zustand der Friedhofsanlage, des Wegenetzes und der Grabsteine sowie die Inschriften geben Zeugnis vom Schicksal der Menschen, die dort gelebt haben. Die oftmals gekippten und umgefallenen Grabsteine und von Pflanzen überwucherten Gräber und Wege entsprechen der jüdischen Praxis, die auf Dauer angelegten Gräber sich selbst zu überlassen.

Geschichte

Die Friedhöfe sind Zeugen der wechselvollen Geschichte des Judentums in Deutschland seit dem Mittelalter. Grabsteine auf dem ältesten erhaltenen Friedhof auf deutschem Boden in Worms datieren auf die Jahre 1076/77. In den Städten Mainz und Frankfurt sind Gräber aus dem 12. und 13. Jahrhundert gefunden worden. In vielen anderen Städten (Ulm, Rothenburg, Erfurt, Köln, Breslau) haben ebenfalls schon früh jüdische Gemeinden bestanden, die sicherlich damals vorhandenen Friedhöfe sind jedoch nicht erhalten. Pogrome, Ausweisungen und Niederlassungsverbote haben den Fortbestand jüdischer Friedhöfe bis in die heutige Zeit nur selten erlaubt.
Die Judenverfolgungen in Zuge der Pestepidemie im 13./14. Jahrhundert sowie auch danach aus religiösen, politischen und vielfach auch wirtschaftlichen Gründen führten dazu, dass die Bildung von Gemeinden sehr erschwert war. Demzufolge sind bis zum 16. Jahrhundert auch nur wenige jüdische Friedhöfe erhalten. Erst als Juden sich in vielen Städten niederlassen durften, wurden auch wieder Friedhöfe angelegt. Beispiele aus der Zeit um 1600 sind Breisach (1550), Wiesloch (1600) oder Mannheim (1674).

Folgen der Beschränkungen

Die Ansiedelung von Juden in Städten und Dörfern war so stark reglementiert, dass bei weitem nicht jede Gemeinde einen eigenen Friedhof errichten konnte. Der für die Friedhofserrichtung notwendige Landerwerb wurde von den Obrigkeiten erschwert oder gar verhindert. Daher wurde häufig der Zusammenschluss mehrerer Gemeinden zur Anlage eines gemeinsamen Friedhofs notwendig. Die Folge war, dass  die Verstorbenen in vielen Fällen weite Wege über Land zur Begräbnisstätte transportiert werden mussten, mitunter auch auf Flüssen per Boot (Gailingen am Unterrhein). Die Leichentransporte überschritten infolge der territorialen Zersplitterung in Deutschland oftmals mehrere Grenzen, an denen Wege- und Leibzölle erhoben wurden. Weitere Abgaben an die jeweiligen Landesherren oder gar an christliche Geistliche (Buttenwiesen) konnten dazukommen.

19. Jahrhundert

Erst im 19. Jahrhundert erreichten die Juden nach und nach eine Verbesserung ihrer Rechtslage und schließlich die völlige Gleichstellung. Dadurch kam es schon bald nach der napoleonischen Zeit zu vielen Neugründungen jüdischer Friedhöfe. Im Laufe des 19./Anfang des 20. Jahrhunderts bemühten sich immer mehr jüdische Gemeinden um eigene Friedhöfe, die nun auch als Teile der kommunalen Friedhöfe entstanden. Dabei spielte die Besonderheit eine Rolle, dass der Grund in das Eigentum der jüdischen Gemeinden übergehen musste.

Gegenwart

Es blieb der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft vorbehalten, in ganz Deutschland systematisch jüdische Friedhöfe zu schänden und zu zerstören. Friedhofsgelände wurde enteignet und für Industriebauten, Gebäude und Straßen zweckentfremdet.
Heute sind in Deutschland noch cirka 2300 Friedhöfe in unterschiedlichem Zustand erhalten. Sie stellen ein beredtes Zeugnis der Geschichte der Juden in Deutschland dar, die immer auch Geschichte der Deutschen ist.
Im Verein ViLE – Virtuelles und Reales Lern- und Kompetenznetzwerk Älterer Erwachsener e. V.- hat sich ein ständig wachsendes Netzwerk von Frauen und Männern gebildet, deren Mitglieder sich seit Jahren der Erkundung der jüdischen Friedhöfe und Veröffentlichung im Internet widmen. Persönliches Engagement und Erleben hat bis heute über 100 Friedhofsbeschreibungen zwischen Nordsee und Alpen entstehen lassen.

Link

ViLE und das Projekt Jüdische Friedhöfe