Hinterglasmalerei – naive Kunst ?

von Dietrich Bösenberg

„…die verkehrte Art Farbe aufzutragen“ so beschrieb der Augsburger Chronist Paul von Stetten 1779 eine in seiner Stadt reich vertretene Kunst.

Die andere Malkunst

Schwarzwald 19. Jh.

Bei der Hinterglasmalerei wird das Motiv im Gegensatz zur Glasmalerei seitenverkehrt auf die Rückseite einer Glasplatte gemalt. Zuerst werden die feinen Linien, wie die Gesichtszüge, Schriften und Verzierungen aufgebracht. Anschließend werden die Flächen ausgemalt und schließlich  darüber der Hintergrund gemalt. Verwendet wurden und werden hauptsächlich lichtundurchlässige Farben, aber auch andere Materialien wie Blattgold. Eine von diversen Varianten ist eine Art Radierung, bei der aus dem zuvor gefärbten Glas die Motive herausgekratzt wurden.

Nur naive Heiligenbilder ?

Heutzutage wird die Hinterglasmalerei meistens der Volkskunde zugeordnet. Das liegt daran, dass Hinterglasbilder in großem Umfang im ländlichen Raum entstanden und hier zeitweise in großen Mengen produziert wurden. Gegenstand waren meist Heilige, Patrone und Gnadenbilder, wobei der Wunsch der Menschen, Abbilder der schützenden Heiligen auch in ihren Häusern zu haben, eine Rolle gespielt haben dürfte.

Hinterglasmalerei als eigenständige Kunst

In der Tat gibt es eine absolut hochwertige Hinterglasmalerei, deren Ausführung hohe künstlerische Fähigkeiten erforderte. Es kamen so ziemlich alle Motive vor, die auch in  der sonstigen Malerei erschienen. Dazu gehören mythologische und religiöse Themen, ebenso wie Landschaften, höfische Szenen und Porträts.
Da die Farben auf der Rückseite einer Glasfläche aufgetragen sind und somit das Licht durch das Glas fällt, ergeben sich völlig neuartige Effekte, hervorgerufen durch Lichtbrechung und Spiegelung.  Auch Farbintensität und Glanz erfahren eine Steigerung. All das führt zu einer eigenständigen künstlerischen Ausdrucksform.

Entwicklung der Hinterglasmalerei

Hinterglasprodukte waren lange Zeit wegen der äußerst teuren Herstellung Fürsten und Kirche vorbehalten. Das dafür erforderliche hochwertige, absolut reinweiße Glas konnte anfangs nur in Venedig hergestellt werden, später wurde die Produktion dann auch in anderen Regionen Europas möglich. So entstanden jetzt  hervorragende Hinterglasobjekte in Norditalien, am Niederrhein, in Böhmen und in Augsburg. Gemälde, Schalen, Pokale und Becher wurden hergestellt.
In der Barock- und Rokokozeit wurden Hinterglasbilder in den vermögenderen Kreisen der Bevölkerung bis hin zu dem aufstrebenden Bürgertum immer beliebter. Man verwendete sie nicht mehr nur für religiöse Zwecke, sondern auch als Wandschmuck, wofür Porträts oder auch Genrebilder beliebt waren.

Die künstlerische Ausführung

Hinterglasbilder wurden von den Künstlern zwar auch nach eigenen Entwürfen hergestellt, die hauptsächliche Methode war jedoch die Wiedergabe von Motiven aus Gemälden und anderen Vorlagen. Von wesentlicher Bedeutung für die Entwicklung war das Aufkommen des Kupferstichs. Aus Kupferstichen hergestellte Reproduktionen dienten vielen Hinterglasmalern als Vorlagen. Sowohl Gemälde, die von Kupferstechern in Stiche umgesetzt wurden, als auch eigens für diesen Zweck angefertigte Zeichnungen wurden verwendet. Dabei wurde manchmal der Stich auf eine Glasplatte gelegt, durchgepaust und anschließend koloriert.
Ein anderer Weg war, zunächst Risse, also Umrisszeichnungen zu erstellen, die auf das Glas gelegt und abgemalt wurden. Nicht zuletzt dienten so auch Werke von Albrecht Dürer als Vorlagen.

Inspiration – keine Imitation

Die exzellenten Hinterglasmaler schufen durchaus eigenständige Kunstwerke, auch wenn Motive oft von Vorbildern übernommen wurden. Ihre Arbeiten zeichneten sich durch die formale Darstellung, die Interpretation der Motive, insbesondere aber auch durch die Wirkung des Werkstoffes Glas sowie die spezifische Farbgebung aus.

Beispiel Porträt

Charles I von England.

Im 17. Und 18. Jahrhundert war eines der Hauptanliegen der Porträtkünstler, die Herrschenden in Szene zu setzen und ihre Macht und Bedeutung zu demonstrieren. Es entstanden Personendarstellungen von Kaisern, Königen oder Fürsten in aufwändiger Umgebung, herrschaftlicher Haltung und  Kleidung sowie mit entsprechenden Attributen wie z. B. Orden.
Diese Aufgabe der Inszenierung der Herrscher fand auch in der Hinterglasmalerei ihren Niederschlag.

Beispiel Landschaft und Genre

Ländliche Szene

Idealtypische Landschaften und Szenen aus dem Alltag, häufig aus dem ländlichen Leben, waren immer wieder verwendete Motive der Künstler des 18. Jahrhunderts in Gemälden und Kupferstichen. Oftmals wurden alle möglichen Hirtenidyllen dargestellt, aber auch spezielle Landschaftsformen wie Küsten und Schiffe auf See. Eine ländliche Szene eines Augsburger Meisters aus dem 18. Jahrhundert soll als Beispiel dienen.

Beispiel Allegorie

Allegorische und mythologische Darstellungen sind seit der Antike in der darstellenden Kunst bekannt. Motive aus der klassischen Mythologie dienten vielen Arbeiten als Grundlage. Auch  in der Renaissance und Barockzeit erfreuten sich derartige Motive großer Beliebtheit, sie fanden Ausdruck in Kunsthandwerk, Architektur und Gemälden.
Die Hinterglasmalerei folgte auch dieser Strömung und schuf hochwertige Darstellungen verschiedenster Art, von Allegorien der Jahreszeiten bis zu Götterszenen. Hier die Umsetzung eines Werkes von  Hans Conrad Gyger (1599–1674). Überraschung der Venus bei Mars durch Vulkan.

Die volkstümliche Hinterglasmalerei

Geburt Jesu 19. Jh.

Gegen Ende des 18. Jahrhunderts  entstanden in den ländlichen Regionen Süddeutschlands, Böhmens und Oberösterreichs  regelrechte Werkstätten, in denen Hinterglasbilder in großen Stückzahlen hergestellt wurden. Bäuerliche Familien teilweise auch Familienverbünde, erschlossen sich damit eine Einnahmequelle, vornehmlich als Winterarbeit. Der Vertrieb erfolgte durch Hausierer, die die Erzeugnisse bis in weit entfernte Gebiete ganz Europas transportierten.
In dem kleinen Ort Sandl in Oberösterreich war ab ca. 1760 ein Zentrum der bäuerlichen Hinterglasmalerei entstanden. Zu dem hier vorhandenen mundgeblasenen Tafelglas aus lokalen Glashütten kam die aus Böhmen übernommene Technik des Bemalens, des Schliffs und der Verspiegelung. Es wurden riesige Stückzahlen produziert, zeitweise bis zu 60 000 Bilder pro Jahr. Die Bilder waren so populär, dass das „Sandl-Bild“ als das Hinterglasbild schlechthin verstanden wurde.
Zeugnis der Blüte bäuerlicher Hinterglasmalerei legen noch heute Sammlungen in vielen Museen ab,  so in Oberammergau, Murnau, Salzburg und in Oberösterreich.

Die Gegenwart

Hinterglasbild Fia Erkens

Die Hinterglasmalerei hatte mit Aufkommen des Farbdruckes an Bedeutung verloren.
Inzwischen  hat jedoch eine Neubelebung stattgefunden. Beispielsweise entdeckten Franz Marc und Wassily Kandinsky in ihrer Murnauer Zeit Anfang des 20. Jahrhunderts diese Technik. Auch in heutiger Zeit erstellen Künstler in ihren Ateliers Bilder verschiedensten Inhalts, traditionelle religiöse Motive in naiver Maltechnik, aber auch kreative Eigenschöpfungen gegenständlicher und abstrakter Art. Darüber hinaus  wird Hinterglasmalen in großem Maße in Hobbykursen angeboten.

Grundlage: Steiner Wolfgang: “…eine andere Art von Malerey“, Deutscher Kunstverlag München Berlin, 2012 u.a.

Die Bilder wurden aus der u.g. Website wikipedia entnommen und sind gemeinfrei. Ausnahme letztes Bild privat.

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Murnau

Sandl


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