Zeitenwende

von Roma Szczocarz

Über die letzte magische Jahrhundertwende 2000 schrieb die polnische Nobelpreisträgerin Wislawa Szymborska folgendes Gedicht, das von Karl Dedecius ins Deutsche übertragen wurde.

„Das Ende eines Jahrhunderts“ von Wislawa Szymborska

Es hatte besser sein sollen als die vergangen,
unser 20. Jahrhundert.
Ihm bleibt keine Zeit mehr, das zu beweisen,
gezählt sind die Jahre,
der Schritt schwankt,
der Atem geht kurz.

Zu viel ist geschehen,
was nicht hat geschehen sollen,
und was hat kommen sollen,
kam leider nicht.

Es ging auf den Frühling zu, hieß es,
und, unter anderem, aufs Glück.

Die Angst hatte Berge und Täler verlassen sollen,
die Wahrheit schneller am Ziel
sein als alle Lügen.

Einige Unglücksfälle
sollten nicht mehr geschehen,
zum Beispiel Krieg,
Hunger und so.

Die Wehrlosigkeit der Wehrlosen,
das Vertrauen und so weiter
sollten Achtung genießen.

Wer sich an der Welt hat freuen wollen,
steht vor der Aufgabe,
die nicht zu erfüllen ist.

Die Dummheit ist gar nicht zum Lachen,
die Klugheit ist gar nicht lustig.

Die Hoffnung
ist nicht mehr das junge Mädchen
etcetera, cetera, leider.

Gott sollte endlich glauben dürfen
an einen Menschen, der gut ist und stark,
aber der Gute und Starke
sind immer noch zweierlei Menschen.

Wie leben? – fragte im Brief
mich jemand, den ich dasselbe
hab fragen wollen.

Weiter und so wie immer,
wie oben zu sehn,
es gibt keine Fragen, die dringlicher wären
als die naiven.

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