Die Eisenbahn macht der Industrialisierung Dampf

von Anne Pöttgen

Hundert Kilometer in einer Woche, 300 Kilometer in einer Stunde – das ist der Unterschied zwischen Mittelalter und unserer Zeit, zwischen Leiterwagen und Thalys.
Die Wasserstraßen und die Chausseen erhielten Konkurrenz.

Die Zeit war reif

Es scheint, als hätte die Welt auf sie gewartet: die Eisenbahn. Wie Pilze schossen in der ersten Hälfte des Neunzehnten Jahrhunderts im Westen Europas private Gesellschaften aus dem Boden, die Eisenbahnlinien eröffneten.
Die Idee der Eisenbahn entstand nicht aus dem Nichts. Im Bergbau gab es seit langem Wagen, die in Geleisen fuhren und von Pferden oder Menschen gezogen wurden. Im Ruhrkohle-Bergbau entstand seit 1787 ein 30 km langes Netz von Pferdebahnen, mit denen die Kohle zu den Verladestationen an der Ruhr befördert wurde. Allerdings brauchte im achtzehnten Jahrhundert ein Kohlentransport von Witten zum Rhein mehr als 16 Stunden, obwohl zu dieser Zeit die Ruhr schon schiffbar war.
Zur gleichen Zeit fuhr in England die erste Eisenbahn: Die Derby Canal Railway beförderte 1785 Kohle aus drei Bergwerken sowie die Erzeugnisse einer Keramikmanufaktur über fünf Meilen zur Verladestelle am Derby-Kanal. Die erste Eisenbahn, die auch Personen beförderte, war die Stockton- und Darlington Railway in Nordostengland. Sie wurde am 27. September 1827 mit einer ersten Teilstrecke von neun Meilen eröffnet.

Auch in Deutschland

Die Wende vom Leiterwagen zum Schienenfahrzeug kam in Deutschland im Jahre 1835. Der Beginn des Eisenbahnzeitalters in Deutschland, genauer gesagt im Deutschen Bund, war nicht gerade glanzvoll: Die sechs Kilometer lange Strecke der Bayerischen Ludwigsbahn von Nürnberg nach Fürth wurde noch überwiegend als Pferdebahn betrieben. Aber am 7. Dezember 1835 war es eine Dampflokomotive mit dem stolzen Namen „Adler“, die die Jungfernfahrt bestritt. Gebaut wurde sie in England.
Warum aber die Linie Nürnberg – Fürth? Weil die Chaussee zwischen diesen beiden Städten die frequentierteste in Bayern war. Diese Linie war übrigens äußerst lukrativ, es gab schon 1836 eine Dividende von 20 Prozent.
Das beginnende Eisenbahnzeitalter hatte etwas von einem Perpetuum Mobile: Die Eisenbahngesellschaften brauchten Eisen für die Strecken und die Wagen, dazu Kohle für den Betrieb. Und wer beförderte diese Güter? Die Eisenbahnen.
Schon bald überzog ein Netz von privaten Eisenbahnlinien das Land, bis sich der Staat, vor allem Preußen, der Neuerungen annahm. 1870 war das Streckennetz zwischen den wichtigsten Industrieorten und den Häfen fertiggestellt.

Regionale Linien an Rhein und Ruhr

Bahnkarte Coeln-Minden 1849

Eine der ersten Linien war die der Düsseldorf-Elberfelder Eisenbahn-Gesellschaft. Im Oktober 1835 gegründet, eröffnete sie 1838 die erste Teilstrecke in Richtung auf das heutige Wuppertal, von Düsseldorf nach Erkrath; Düsseldorf hatte seinen ersten Bahnhof. Die Region Wuppertal war um die Mitte des Neunzehnten Jahrhunderts eines der größten Wirtschaftszentren Deutschlands. Die Gesellschaft arbeitete eng mit der Bergisch-Märkischen Eisenbahn-Gesellschaft zusammen, die die Strecke Elberfeld – Dortmund – Hagen – Witten betrieb. Zusammen mit der Cöln-Mindener Eisenbahn-Gesellschaft, die 1843 begann, wurden für die aufstrebende Rheinisch-Westfälische Industrie wichtige Strecken aufgebaut. Die Station Minden brachte den Anschluss an die Nordsee über die Weser. Den linken Niederrhein mit der Verbindung zum früh eisenbahnbegeisterten Belgien erschloss die Rheinische Eisenbahn-Gesellschaft.
Eisenbahnbrücken über den Rhein gab es zu dieser Zeit noch nicht, das preußische Militär war dagegen.

Jahrhunderte lang: Leiterwagen

Ältere Mitbürger kennen aus ihrer Kindheit noch den Leiterwagen, der von zwei Ochsen oder auch Pferden gezogen wurde und die Ernte vom Feld auf den Hof beförderte. Ein ausgesprochenes Erfolgsmodell, denn mit ihm wurden seit dem Mittelalter Waren befördert, auf Straßen, die auch nicht besser waren, als die Feldwege unserer Jugend. Zum Schutz der Waren wurde ein Verdeck aus Stoff oder Leder übergestülpt. Der Händler selbst ging zu Fuß oder war beritten.
Dass Handel und Wandel in vorindustrieller Zeit trotzdem florierten, war ein Wunder. Allein der Transport von Baumaterial für die vielen Klöster und Kirchen des Mittelalters war eine Meisterleistung der Fuhrleute.
Dieses „Equipment“ diente bis zur Erfindung der Kutsche auch dem Personenverkehr. Ab der Mitte des fünfzehnten Jahrhunderts wurde in Ungarn der Gutschi-Wagen erfunden, ob das Wort Kutsche daraus entstand, ist umstritten. Was die Bequemlichkeit betrifft, war es ein Fortschritt.

Der Aufschwung

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Wenn man die Geschichte der Entwicklung von Eisenbahn und Industrie betrachtet, hat man den Eindruck, dass der „Staat“ wenig zu den Erfolgen beitrug. Was vielleicht auch daran lag, dass es in Deutschland zahlreiche Staaten gab. Ein Großteil bildete ab 1834 wenigstens eine Zollunion.
Die Eisenbahnen machten es möglich, auch abseits von Flüssen und Kanälen Industriebetriebe zu errichten. Ein Beispiel ist die später weltweit größte Glashütte in Gerresheim, für deren Gründung die Bahnstrecke Düsseldorf-Wuppertal bestimmend war. Die Eisenbahngesellschaften selbst beschäftigten viele Arbeiter für den Streckenbau und den späteren Betrieb.
In der Folgezeit gab es für die Eisenbahnen ein Auf und Ab. Die Deutsche Bundesbahn (DB) wurde 1992 in Deutsche Bahn (DB) umgetauft. Der Börsengang, der die Privatisierung komplett machen soll, fehlt noch. In den vergangenen Jahren wurde erheblich modernisiert und die Bahn wird heute von erheblich mehr Menschen genutzt als vor zwanzig Jahren.
Der Güterverkehr der Deutschen Bahn ist ein Minusgeschäft; man sieht übrigens weiterhin Kohletransporte auf dem Rhein.

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Über die Industrielle Revolution berichtet unsere Autorin Erna Subklew