von Liane Rohn
Wir können weder der gemessenen noch der gefühlten Zeit entrinnen. In der Gefolgschaft der Zeit befindet sich die Gesellschaft gleichermaßen mit der Technik, Wirtschaft und dem Geld.
Diktierte Zeit.
Als Martin Heidegger den Begriff der „vulgären Zeit“ prägte, wollte er nichts weniger ausdrücken, als den Unterschied zwischen gemessener und Sinn-Zeit aufzeigen. Das heißt bei Heidegger, diktierte Zeit der sich nicht entzogen werden kann, ist vulgär. Alles Bemühen, sich der Diktatur der Zeit zu entziehen schlägt fehl – es gibt kein Entrinnen.
Ohne Uhr geht nichts, weil die Technik bestimmt, dass nichts mehr stillsteht. Selbst Aristoteles müsste heute von seiner Philosophie abrücken: „wenn der Webstuhl von alleine läuft, bräche das Goldene Zeitalter an“. Wir sagten heute, da wäre das Goldene Zeitalter vorbei.
Ernst Peter Fischer, Physiker und Wissenschaftshistoriker der Konstanzer Universität zitierte in einem Interview Albert Einstein, der auf die Frage nach der Zeit kurz und bündig antwortete: Zeit ist, was eine Uhr anzeigt.
Weiter erklärte Prof. Fischer, dass ursprünglich die Menschen zyklisch dachten: Tag/Nacht/Jahreszeiten-mäßig. Und des Weiteren sei es eine christliche Idee, dass Zeit nur eine Richtung hat,: vom Schöpfungsakt zum Jüngsten Gericht.
Zeitdruck.
Wie sich im Laufe der Jahrhunderte Zeit und Zeitvorgänge veränderten, lässt sich an Beispielen festmachen. Betrug die Arbeitszeit eines Arbeiters 60 Stunden in der Industrie im vorletzten Jahrtausend, beträgt sie heute etwa 38 Stunden in der Woche. Ergo gibt es viel Freizeit. Aber die Menschen stehen in Folge dessen unter einem noch größeren Zeitdruck, als in der Arbeitszeit, Sie war organisiert, jetzt gilt es, alles selbst auf die Reihe zu bekommen, Vielleicht sehnt sich mancher danach, nicht so gehetzt durchs Freizeitleben zu gehen!
Zeitformen.
Ist das nun auch eine Frage der Funktionalität von Zeit im menschlichen Dasein? Muss den drei Zeitformen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft eine jeweils eigene Definition zugestanden werden? Dem scheint eher nicht so zu sein, weil die Gegenwart den flüchtigsten Zeitpunkt der gemessenen Zeit ausmacht, ist es die Nanosekunde, die menschlich nicht mehr wahrnehmbar ist?
Gegenwart nur auf den Wechsel zwischen Vergangenheit und Zukunft zu reduzieren wird ihr nicht gerecht.
Heidegger nannte die drei Zeitformen Zeitekstasen, und der Mensch kann in allen drei Zeitformen leben, gerade dann, wenn die G e g e n w a r t unerträglich scheint, und die Flucht in die Zukunft oder Vergangenheit als Ausweg erscheint. Für Viktor Frankl ist das keine Flucht sondern Zukunft vorweg nehmen, (Buch: Trotzdem ja zum Leben.) oder Vergangenheit rekonstruieren. Gegenwart erhält eine neue Dimension, die uns Menschen die Möglichkeit gibt, sich beispielsweise erinnernd eine Biografie zu schreiben, oder zukünftige Strategien zu entwickeln.
Sinnhaftigkeit der Zeit.
Was bedeutet nun im engen oder weiteren Sinne Gleichzeitigkeit? Sie hat weder Sinn noch Wert. Weder der eine Teil, dessen zu tun ist, noch der zweite kann ordentlich behandelt werden. Aus Gleich-zeitigkeit wird Gleich-gültigkeit, der Wert dessen was erreicht werden will, ist gering bis wertlos. Die verfügbare Zeit soll also sinn-voll genutzt werden.
Der Begriff Pünktlichkeit drängt sich unmittelbar auf. Im täglichen Umgang mit Menschen und Dingen, Termine einzuhalten, pünktlich am Esstisch zu sitzen (Erziehung in der Kindheit!) lässt erkennen, dass das erwähnte Diktat der gemessenen Zeit den Menschen zu beherrschen droht. Scheinbare Zwänge engen ein, der Spruch: ich habe keine Zeit weil . . .ist unaufrichtig, denn jeder hat immer Zeit, selbst dann, wenn er glaubt, ein vielgefragter Mensch zu sein, sein Selbstwertgefühl so zu steigern versucht!.
Unsinnig ist auch die Annahme, Zeit sparen zu können. Es kann ein Tätigkeitsablauf verkürzt werden, das stimmt, indem gewisse Dinge helfen, Arbeitsgänge abzukürzen. Das bedeutet aber auch, je schneller etwas erledigt wird, umso mehr kann/muss getan werden.
An dieser Stelle sei ein Statement von Gerhard Schmidt, Autor des Werkes: Du. Ich? eingefügt, das eher eine spirituelle Sicht zum Zeit-Wert ausdrückt:
„Ich meine, jeder hat genau die Zeit zur Verfügung, die er braucht. Wir sind hier, um Erfahrungen zu machen – jeder in seiner eigenen Lerngeschwindigkeit. Also, wir haben alle Zeit der Welt. Wenn wir aber zu rechnen beginnen, ist es wie mit dem Geld, man hat nie genug! Wenn ich aber sorglos, in tiefem Vertrauen auf die geistige Welt das Leben an- und achtsam wahrnehme, was mir das Leben serviert, durchlaufe ich die Lernprozesse, die ich mir selbst vorgenommen habe, zu durchleben. Theorie in der Praxis zu erfahren und dadurch bereichert in die gegenwärtige Zeit zurück zu kehren! So einfach ist das!“
Prosa und Poesie.
Vielleicht gelingt es an dieser Stelle, sich der Geschichte des Kleinen Prinzen und der Fuchs von Antoine de Saint Exupery zu entsinnen. Zeit „verschwenden“, um sich gebührend freudig auf glückliche Stunden vorzubereiten verlangt Pünktlichkeit, die nicht nur ein Wertbegriff sondern wie schon erwähnt, ein Zeitbegriff ist. Eine bestimmte Stunde unterscheidet sich beispielsweise von anderen Stunden, ein besonderer Tag von anderen Tagen.
Wird damit der Wert der Zeit reduziert oder relativiert?
Könnte es gar sinnvoll sein, gewonnene Zeit einem Menschen zu schenken, mit Sicherheit eine kostbare Gabe – ein Luxusgut?
Quellen u. Links
Viktor Frankl : Trotzdem ja zum Leben sagen
Martin Heidegger über Nähe und Ferne, Sein und Zeit.
Günter Funke: Luxusgut Zeit